Eine wundersame Fügung wollte es, dass innerhalb von drei Tagen drei verschiedene Shakespeare-Stücke an drei Berliner Bühnen Premiere hatten. Was Gelegenheit gibt, im direkten Vergleich etwas über den Umgang mit dem Monolithen der dramatischen Literatur und darin etwas über das künstlerische Selbstverständis der Häuser zu erfahren - und sich auf die ein oder andere Weise zu wundern.
Die Bühne von Alex Harb wird aus einem schier endlos langen metallenen Steg gebildet, der das Publikum der Schaubühne am Lehniner Platz der Länge nach durchtrennt. Was die Regisseurin des Abends (Christina Paulhofer) förmlich dazu zwingt, die Schauspieler statt in Ruhe ziel- und planlos auf- und ablaufen zu lassen, wobei sie - die Entfernung will überbrückt sein - in einem fort schreien. Lautstärke steht hier für Dramatik, und Hechelatmung ist deren Ausdruck - von dem man nicht genug in die Waagschale werfen kann, wenn es um solch abscheulich Dinge wie Mord und Totschlag geht. Weshalb aus wahren Stalinorgeln unablässig bedrohliche Lichtkaskaden abgefeuert werden und das Treiben mit einem Klangteppich unterlegt wird, der jede Emotion-als-Motivation im Keim erstickt, indem er sie verdoppelt.
Macbeth von Shakespeare kündeten die Plakate an. Bar jeder Ironie teilt der Pressetext mit, dass "im Zentrum der Inszenierung Lord und Lady Macbeth stehen, deren Traum vom großen Leben im Wahnsinn zu Grunde geht". Traum, Leben, Untergang - leere Worthülsen, für die es in der Inszenierung keinerlei Entsprechung gibt, weil sie sich einzig darauf konzentriert, den Wahnsinn zu bebildern. Der Wahnsinn heißt Krieg, und um uns dessen Schrecken gleich zum Auftakt nahe zu bringen, vollführen halbnackte, durchtrainierte Knaben Leibesübungen. Aus logistischen Gründen (der Premiere sollen weitere Vorstellungen folgen) verhindert eine Sprungmatte, dass sich die Untoten bei ihren eleganten Stürzen in den Graben ernsthafte Blessuren zuziehen. Dafür sorgt eine Sprinkleranlage für stimmungsvolle Berieselung: Schottland ist ein Regenloch.
Solches Missverständnis eines "körperlichen" Realismus zieht sich wie ein roter Faden durch den Abend. Vor allem in jenen bunten Abziehbildern des Schreckens, in denen der Tragödie systematisch das Tragische ausgetrieben wird, indem in körperliche Aktion verlagert wird, was Shakespeare aus gutem Grund dem Wort überlässt. "Mein Herz so weiß" zeigt sich Lady Macbeth (Karin Pfammatter) nach dem (hier gezeigten!) Mord an des Königs Dienern ungerührt. Auf der Bühne jedoch rutscht ihr die "Scham", die sie empindet, vom Herz in die Hose - und das im Wortsinn. "Weiß" ist einzig ihr Slip, dessen sie sich - in Schottland regnet es mal wieder - entledigt, um ihrem Gatten (André Szymanski) die "Angst" zu nehmen, die den Königsmörder (live und in roter Farbe) umtreibt. Was völlig unnötig ist, weil der statt von Gefühlen ausschließlich von Bewegungsdrang geleitet wird.
Es bleibt dabei: Der Versuch, der falschen Innerlichkeit des bürgerlichen Theaters durch "Authentizität" einer "Körpersprache" zu entgehen, zeugt nicht von künstlerischem Gestaltungswillen, sondern ist Beleg für dessen radikale Abwesenheit.
Komödien sind dann unerträglich, wenn sich ihr Fortgang aus der Dummheit ihrer Figuren speist. Sich über solche Karikaturen des Komischen zu erheben, fällt allzu leicht. Shakespeares Was ihr wollt bezieht seine Komik daraus, dass es Überzeugungstäter aufeinander prallen lässt, denen ihr komisches Treiben bitter ernst ist, bis es als Schicksal über sie zusammenschlägt. Aus dieser "Fallhöhe" bezieht die Komödie ihr tragisches Moment.
Am Anfang war der Schiffbruch. Statt in ein lichtdurchflutetes Phantasiereich namens Illyrien verschlägt es Viola auf der Bühne des Deutschen Theaters jedoch in die schummrig-abgewetzte Bürgerlichkeit des Herzogs und seiner angebeteten Olivia. Als Mann verkleidet, wird Viola beauftragt, zwischen diesen Welten zu vermitteln - ein Auftrag, den ihr die Regie (Staffan Valdemar Holm) nur halbherzig erteilt, weil diese Welten im Bühnenbild von Bente Lykke Möller von Anfang an identisch sind. Der Komödie tut das insofern Abbruch, als dass sie ihrer Fallhöhe beraubt ist: Wo das Gefälle fehlt, plätschert der Strudel der eitlen Verliebtheit als Rinnsal dahin. So bleibt der Abend letztlich bloße Unterhaltung und damit eigentümlich langweilig - allerdings auf höchstem Niveau.
Was dem Ensemble zu verdanken ist, ein Wort, in dem sich hier noch eine Überzeugung ausdrückt, der bis hin zum Schlussapplaus die Treue gehalten wird. So ehrenhaft solche Betonung des "Zusammens" - bedenklich wird es dann, wenn sich mit dem Spiel auch die Figuren allzu ähnlich werden. Ob der grobe Zynismus der Junker oder das blinde Rasen der Liebenden, ob der "Sündenbock" Malvolio (Dieter Mann), der arrogant genug ist, dem falschen Glücksversprechen Glauben zu schenken, oder der melancholisch weise Narr (Christian Grashof) - mit der Identität des Witzes geht der Aberwitz der Komödie verloren. Der sich aber im Spiel zweier Schauspieler erhält, die aus dem Ensemble herausragen, ohne den Ensemblegedanken zu verraten. Jürgen Huth als Priester legt allein durch stimmliche Variation der wenigen Sätze jene Fallhöhe in eine einzige Figur, die deren Summe fehlt. Und erst der unbedingte Ernst, den Anika Mauer der Viola durch die Präzision des körperlichen Spiels verleiht, verleiht der Verwirrung der Gefühle jene Verzweiflung, aus der sich ihre Tragik speist.
Theater im Theater. Auf diesen Begriff lässt sich, bewusst verkürzt, Shakespeares Sommernachtstraum bringen. Weder Tragödie noch Komödie und beides zugleich, ist das Stück "Diskurs" über Bedingungen und Möglichkeiten des Theaters. Zumal, wenn es um die Frage nach der "Echtheit" nicht irgendeines, sondern des Gefühls schlechthin geht: "Liebe" - mithin auch deren Bedingungen und (Un-)Möglichkeiten reflektiert werden. In dieser doppelten "Meta"-Struktur des Stücks mag seine ungebrochene Faszination liegen, die jeder denkbaren Inszenierung den Zorn gekränkter Liebhaber garantiert.
Die letzte Nacht muss lang gewesen sein. "And together we could be", benennt ein einsamer Gitarrist (Patrick O´Beirne) mit rauer Stimme auf der leeren Bühne des Berliner Ensembles seinen ganz privaten Sommernachts-Traum. Mal sehen, was draus wird. Um es vorwegzunehmen: "Nüscht" wird draus, muss Peter Squenz einsehen, wenn am Ende das Schauerstück von Pyramus und Thisbe, das er mit den athenischen Handwerkerkollegen einstudiert hat, ohne das Bühnenpublikum stattfindet, zu dessen Erbauung es gedacht war: "Schnauzi hat die Liebe totgemacht."
Viel kann nicht dran gewesen sein, wenn es lediglich eines alten Kofferradios und eines tiefen Blicks in Helenas Augen bedarf, um die Liebe zur Strecke zu bringen. In welcher Konstellation auch immer - und deren gibt es bei Shakespeare reichlich -, dem Trost der falschen Versöhnung verweigert sich die Inszenierung.
Doch niemand kann Regisseur Leander Haußmann und seinen Mitstreitern vorwerfen, sie hätten es nicht versucht. Im Gegenteil. In vier kurzen Stunden werden sämtliche Mittel, die dem Theater zur Verfügung stehen, auf ihre Tauglichkeit hin überprüft, das Theater als Ort der Wunscherfüllung zu retten. Nacht und Tag, Tannenbäumchen und Urwaldriesen, Vogelgezwitscher und Donnergrollen, Kitsch und Kunst, durch die Drehbühne ständig auf dem Laufenden gehalten - letztlich erweist sich, wie das Pappmaschee, aus dem es besteht, alles als zu "leicht".
Weshalb die Inszenierung gute Gründe hat, der Tragfähigkeit des Glücksversprechens, das sich diesen Mitteln verdankt, zu misstrauen. Was sie zwar mit Trauer, vor allem aber mit unbändiger Lust tut. Es mag "Irrsinn" sein, doch noch der geschmähteste aller Liebhaber wird Shakespeares Elfen Recht geben müssen, dass "doch Methode hat", was die Schauspieler im Namen der Liebe aufführen. Von ihnen seien stellvertretend Katharina Thalbach als Puck und David Bennent als Zettel genannt - Protagonisten jener Gegenwelten, die in einem identisch bleiben: In der Erkenntnis nämlich, dass das Theater, ob als "fester Wohnsitz" oder "luft´ges Nichts", nicht der Ort ist, wo Wünsche in Erfüllung gehen.
Schon gar nicht der nach der "Echtheit" des Gefühls - weshalb eine Winzigkeit reicht, um das eben erst erneuerte Versprechen zu brechen. Doch lag die Versuchung, der die Jugend erlegen ist, wohl nicht im Blick des akkurat Gescheitelten und auch nicht im Kofferradio, das er bei sich trug. Sondern in der Musik, die daraus ertönt. Gerade weil sie das Gegenteil von Glück verkündet, ist in ihr die Utopie der Versöhnung aufgehoben: "And together we could be". Dass sie das Theater mit dem Konjunktiv versöhnt, darin liegt die Meisterschaft der Inszenierung.
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