Die heiligen Familien

Frankreich Präsident François Hollande braucht taktisches Gespür, wenn er eine stabile Regierung formen will. Eine Übersicht

Jetzt weiß er, dass er es wirklich geschafft hat. François Hollande ist in den Élyséepalast eingezogen, sein Vorgänger hat ihm die Sache mit den Atomwaffen erklärt, 21 Salutschüsse wurden ihm zu Ehren abgefeuert und die Nationalhymne gesungen. Es wird ernst. Hollande braucht taktisches Gespür, wenn er eine stabile Regierung formen will. Alle Fraktionen in der Sozialistischen Partei wollen beachtet, Weggefährten und Gegenspieler bedacht sein. Kein Kabinett ohne Proporz. Alles andere schadet der Politik. Eine Übersicht:

Der politische Freund

Jean-Marc Ayrault (63), Bürgermeister von Nantes und Fraktionsvorsitzender der Sozialisten in der Pariser Nationalversammlung, wird neuer Ministerpräsident. Er gilt als politischer Freund von Präsident Hollande, zählt wie dieser zu einer der moderaten Parteiströmungen im Parti So­cialiste (PS), die sich selbst als pragmatische Sozialdemokraten verstehen.

Der ausgebildete Lehrer für Deutsch und Französisch, der ein Semester in Würzburg studiert hat, spricht fließend Deutsch und erscheint deshalb als Mann der Stunde für die bevorstehenden Debatten mit der deutschen Regierung über den Kurs der EU in der Finanz- und Wirtschaftskrise. 2007 gehörte Ayrault zu einer der „Familien“, wie die Fraktionen im PS genannt werden, die eine Präsidentschaftskandidatur von Ségolène Royal vehement unterstützten. In seiner Funktion als Bürgermeister, Parlamentsab­geordneter und Fraktionsvorsitzender sowie Inhaber einiger Ehrenämter ist Ayrault ein für Frankreich repräsentativer Politikertypus. Mit Hollande verbindet ihn nicht nur die politische Nähe, sondern auch die durch einen Aufstieg in der Provinz begründete Tatsache, bisher nie Minister gewesen zu sein.

Die energische Friedensstifterin

Lange galt Martine Aubry (62) als Favoritin für das Ministerpräsidenten-Amt. Hollande hätte mit der Repräsentantin des linken Flügels des PS seinen Willen für innere Reformen und den Umbau der EU untermauern können. Doch nun hat sie das Nachsehen.

Die Parteichefin der Sozialisten hat seit 2008 das Kunststück vollbracht, dass sich die „sozialistischen Familien“ weniger bekriegen und die Partei nach außen geschlossen auftritt. Die Tochter von Jacques Delors, des einstigen Präsidenten der EG- bzw. EU-Kommission, absolvierte ebenfalls die Elitehochschule ENA und gehörte mehreren Regierungen als Ministerin an. Sie gilt als energisch und durchsetzungsfähig. Aubry ist innerparteilich auch deshalb stark und anerkannt, weil sie auf eine eigene Präsidentschaftskandidatur zu­gunsten von Dominique Strauss-Kahn, des zunächst aussichtsreichsten Bewerbers der Sozialisten, verzichtete. Nachdem Strauss-Kahn vor einem Jahr in New York wegen versuchter Vergewaltigung festgenommen worden war, sorgte Aubry dafür, dass die Partei geschlossen hinter Hollande stand, was bei deren notorisch zerstrittenen Flügeln an ein Wunder grenzte. Um die Linken im PS einzubinden, könnte Präsident Hollande Martine Aubry das Arbeits- und Sozialministerium anbieten.

Der linke Großbourgeois

Laurent Fabius (65) gilt als einer der erfahrensten Politiker des Parti Socialiste, er war mehrfach Ressortchef und mit 37 Jahren 1984 schon Premierminister ­unter Präsident François Mitterrand. Seine Herkunft aus der Großbourgeoisie trug ihm den Ruf ein, er stehe für einen „Sozialismus der Schlossbesitzer“. Seinen familiären Wurzeln angemessen absolvierte Fabius mehrere Elitehochschulen und verfügt über blendende intel­lektuelle Fähigkeiten, die er gern jene spüren lässt, die er für ­unterlegen hält. So soll denn auch von ihm der Spitzname Pudding für Hollande stammen. Allerdings gibt es zwei Affären, die seine Karriere trüben: Er wusste von der Versenkung des Greenpeace-Schiffes Rainbow Warrior durch den französischen Geheimdienst im Jahr 1985 und war politisch ver­antwortlich, als von Aids verseuchte Blutkonserven in Krankenhäusern benutzt wurden. ­Fabius stellte sich einem daraufhin eröffneten Gerichts­ver­fahren und wurde freige­sprochen.

Seinem linken Credo „zwischen dem Markt und dem Plan gibt es den Sozialismus“ von 1979 blieb er bis heute ebenso treu wie seinem Vorbild Mitterrand. Als Außen- oder Finanz- und Wirtschaftsminister ist er durchaus vorstellbar.

Die ehrgeizige Ex-Frau

Ségolène Royal (58) unterlag 2007 als Präsidentschaftskandidatin des PS dem Konservativen Nicolas Sarkozy, verlor danach den Kampf um den Parteivorsitz gegen ihre Dauerrivalin Martine Aubry, blieb jedoch Vorsitzende des Regionalrates Poitou- Charentes. Hier setzte sie auch ihr Konzept der „partizipativen Demokratie“ an 50 Gymnasien in die Praxis um. Das heißt, sie ermöglichte die direkte Teilhabe von Lehrern, Schülern und Eltern an der Schulpolitik.

Die Offizierstochter studierte in den siebziger Jahren an der Elitehochschule École Nationale d’Administration (ENA) – zusammen mit François Hollande, von dem sie sich als Mutter von vier gemeinsamen Kindern 2007 trennte. Dieser familiäre Hintergrund dürfte dafür verantwortlich sein, dass die Aussichten der ehrgeizigen Frau auf einen Ministerposten derzeit eher gering sind. Doch könnte aus ihrer PS-Fraktion der 50-jährige Manuel Valls zum Zug kommen. Er stammt aus Spanien, wuchs in Frankreich auf und erwarb die französische Staatsangehörigkeit. In den parteiinternen Debatten der achtziger Jahre schlug er sich auf die Seite des Technokraten Michel Rocard (gegen Mitterrand). Valls gehörte 2007 zu den Beratern von Royal und half ihr im Kampf um den Parteivorsitz. Er zählt als Mann des Parteizentrums zu den Kandidaten für das Innenministerium.

Der entschlossene Stratege

Pierre Moscovici (55) war in seiner Jugend Trotzkist und an der ENA ein Schüler von Dominique Strauss-Kahn. Wie sein Lehrer verstand er sich danach als Sozialdemokrat und gehörte im PS zur politischen Plattform Sozialismus und Demokratie.

Moscovici war Parteisekretär und Schatzmeister, bevor er in die Nationalversammlung einzog und unter dem Premier Lionel Jospin zum Europaminister avancierte. Bekannt wurde er durch seine Entschlossenheit, sich in den neunziger Jahren demonstrativ von François Mitterrand abzusetzen, als dessen Beziehungen zu René Bousquet bekannt wurden, einem notorischen Antisemiten während der Vichy-Verwaltung (1940 bis 1944). Nach der Ver­haftung Strauss-Kahns im Mai 2011 schloss sich Moscovici dem Lager von Hollande an und organisierte dessen Wahlkampagne. Er genießt das volle Vertrauen des Präsidenten, der ihm auch die Regelung der Amtsübergabe von Nicolas Sarkozy anvertraute. Dem engagierten Europäer – er war bei der Ausarbeitung fast aller EU-Verträge in den vergangenen zehn Jahren dabei – werden Ambitionen auf das Außenministerium nachgesagt, aber auch andere Ämter sind möglich, etwa das des Wirtschaftsministers. Ein Ressort, auf das auch Michel Sapin – ein Studienfreund von Hollande aus der Parteimitte – hofft.

Der großzügige Verlierer

Arnaud Montebourg (49) verschaffen Auftreten und jungenhafter Charme das Image einer Nachwuchshoffnung. Der Anwalt heiratete 1997 die Tochter des Grafen Antoine de Labriffe, gewöhnte sich zeitweise eine manierierte Sprache an und lieferte damit freiwillig Stoff für das Gespött der Medien.

Bei den parteiinternen Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur 2012 landete er hinter Hollande und Aubry immerhin auf dem dritten Platz und empfahl den Parteimitgliedern, im zweiten Wahlgang Hollande zu wählen. Montebourg gehört zur Strömung Jetzt erneuern, die sich als linkssozialdemokratisch versteht. 2007 berief Ségolène Royal, die sich immer zur Parteimitte gezählt hat, den Medienprofi trotzdem zu ihrem Sprecher, um ihn dann freilich mitten in ihrer Wahlkampagne für einen Monat symbolisch zu entlassen. Der Grund – Montebourg hatte in einer Glosse gewitzelt: „Ségolène Royal hat nur einen Fehler. Das ist ihr Lebensgefährte.“ Wenn Hollande nachtragend ist, wird Montebourg weder Justizminister noch Regierungssprecher. Wenn nicht, hat Montebourg für beide Ämter gute Chancen. International machte er vor Jahren auf sich aufmerksam, als er die Schweizer Be­hörden wegen deren Kumpanei mit Steuerbetrügern aller Art scharf angriff.


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