Bei den Europawahlen 2004 beteiligten sich 47 rechtskonservative oder rechtsextremistische Parteien. Den meisten jedoch blieb der Einzug ins EU-Parlament dank eines viel zu geringen Stimmenanteils verwehrt, so dass zur Eröffnung der Legislaturperiode am 20. Juli 2004 nur 27 Vertreter ultrarechter Gruppierungen im EU-Parlament saßen: Vier aus Belgien, einer aus Dänemark, einer aus Österreich, einer aus Großbritannien, sieben aus Frankreich und 15 aus Italien. Zur Bildung einer Fraktion, für die 20 Mitglieder nötig gewesen wären, reichte es zunächst nicht, da die neun italienischen Vertreter der Alleanza Nazionale von Gianfranco Fini und die vier der Lega Nord des Umberto Bossi einem solchen Zusammenschluss ablehnten. Eine Fraktion – sie erhielt den Namen Identität, Tradition, Souveränität (ITS) – kam erst zustande, als mit den EU-Debütanten Bulgarien und Rumänien ab Januar 2007 auch das Lager der Ultrarechten im Europaparlament einen Zuwachs verbuchen konnte. So entstand im März 2007 die ITS-Fraktion mit insgesamt 24 Mitgliedern.
Führung des „Front National“
Ideologisch hatte man sich schon im November 2005 auf die vagen Formeln einer „Wiener Erklärung“ geeinigt. Darin wird an die „unveräußerlichen Werte des Christentums und des Naturrechts“ im Kampf gegen „die Globalisierung, die Masseneinwanderung, den zentralistischen europäischen Superstaat und die Realitätsverweigerung durch Vertreter der Political Correctness“ appelliert. Organisatorisch war die Front National (FN) von Jean-Marie Le Pen die treibende Kraft, als es darum ging, eine Fraktion zu bilden. Den Vorsitz übernahm der FN-Abgeordneten Bruno Gollnisch.
In der politischen Arbeit des EU-Parlaments trat die ITS-Fraktion danach aber kaum in Erscheinung. Nach dem Mord eines rumänischen Roma an einer Italienerin griff die Mussolini-Enkelin Alessandra Mussolini von der Partei Alternativa Sociale „die“ Rumänen pauschal als Mörder an. Daraufhin traten die sechs rumänischen Parlamentarier aus dem ITS-Verbund aus, das Mindestquorum war unterschritten. Damit hatte sich der Fraktionsanspruch im November 2007 wieder erledigt.
Ohnehin hatten sich Konservative, Liberale, Grüne, Sozialdemokraten und Sozialisten im EU-Parlament darauf geeinigt, ITS-Abgeordnete von Ausschussposten fern- und aus Reisedelegationen herauszuhalten. Mit einer Änderungen der Geschäftsordnung wurde außerdem ausgeschlossen, dass Jean-Marie Le Pen nach der jetzigen Wahl Alterspräsident des EU-Parlaments werden kann.
Die Gründe für das bisherige Scheitern einer ultrarechten Fraktion liegen auf der Hand. Als Vertreter nationalistischer Parteien tun sich die betreffenden Abgeordneten schwer mit internationaler Kooperation. Eine „Nationale Internationale“ ist nicht nur sprachlich, sondern auch politisch ein Widerspruch an sich. Die Front National – bislang die stabilste ultrarechte Partei in der EU – hatte schon nach den Europawahlen von 1984 und 1989 diese Erfahrung machen müssen.
Gegen den EU-Superstaat
Nach der nun anstehenden EU-Wahl könnte jedoch eine andere Situation eintreten. In Polen und Tschechien, in der Slowakei, in Ungarn, in Rumänien und Bulgarien haben rechtsextreme, nationalistisch veranlagte Parteien gute Chancen ins EU-Parlament einzuziehen. Der Slovenská Národná Strana aus Bratislava traut man laut Umfragen zwölf Prozent zu, der ungarischen FIDESZ gar bis zu 60 Prozent. Sollte wieder eine Fraktion zustande kommen, könnte sie 30 bis 60 Abgeordnete vorrangig aus Osteuropa rekrutieren. Bei den nationalen Konflikten zwischen diesen Ländern (bis hin zu territorialen Ansprüchen) erscheint es allerdings fraglich, ob sich eine Plattform findet, die alle vereint. Aber selbst wenn es eine Fraktion nicht geben sollte, würden die Ultrarechten ihre Netzwerke europaweit verdichten. Ein Nebeneffekt des EU-Parlamentsbetriebs: Man lernt sich kennen.
Programmatisch spüren die Galionsfiguren des ultrarechten Lagers europaweit schon lange Rückwind. Entweder sie werden durch Regierungsbeteiligung wie etwa in Italien oder Polen salonfähig gemacht. Oder ihre Inhalte werden von diversen EU-Regierungen mehr oder weniger übernommen. Das trifft beispielsweise auf die gesamte Einwanderungs- und Abschiebepolitik der EU zu. Und schließlich treiben sozialdemokratische und liberal-konservative Regierungen mit ihrer neoliberalen Steuer-, Sozial- und Wirtschaftspolitik ratlos gewordene Teile des Kleingewerbes, des Handwerks, der Arbeiterschaft und der Arbeitslosen den ultrarechten Posaunisten buchstäblich in die Arme. Der Trend, dass dieses Lager auch Wähler aus der Mitte der Gesellschaft anzieht, ist in vielen Ländern zu beobachten: Front National und Lega Nord können sich als Anwälte „ihrer“ einheimischen Arbeiter aufspielen, weil deren Vertrauen in die Sozialdemokratie dramatisch schwindet, besonders bei jungen Wählern. Im Frankreich würden 40 Prozent der unter 30-Jährigen für Le Pen votieren.
Auch ideologisch partizipieren die rechten Parteien vom Trend zum weichgespülten Nationalismus bei den Parteien der Mitte. Deren Debatten über die angeblich drohende „Islamisierung“, „die Leitkultur“, beruhen auf der Behauptung von angeblich „natürlichen“ kulturellen und religiösen Differenzen zwischen „uns“ und „den anderen“. Die agileren unter den ultrarechten Parteien in Europa berufen sich nicht mehr auf einen vermeintlich biologisch begründbaren Rassismus. Sie betonen – wie viele Konservative aus der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Zusammenschluss der Christdemokraten in der EU – kulturelle und religiöse Differenzen, um gegen Türken, Muslime oder Roma zu agitieren.
Linke Parteien, die den Vertrag von Lissabon ganz oder zumindest in Teilen ablehnen, befinden sich in einer verzwickten Lage. Denn sie müssen bei ihrer Kritik an dem Vertragswerk genau darauf achten, dass sich ihre Argumente von denen der Ultrarechten unterscheiden, die mit nationalistischen Parolen gegen den „europäischen Superstaat“ wettern. Die Linke muss letzten Endes genau wissen, was sie jenen antwortet, die der berechtigten Kritik an dem EU-Reformvertrag von Lissabon die Nationalismus-Schelle an den Hals hängen. Wird das versäumt, kann das – wie bei den französischen Sozialisten – bis zur Spaltung führen.
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