Der Parti Socialiste (PS) steckt ebenso in Turbulenzen wie die SPD. In der französischen Partei hat man es allerdings nicht mit zwei Flügeln zu tun, sondern mit dem persönlichen Ehrgeiz von mindestens fünf Spitzenpolitikern („Elefanten“), die ihre Anhänger („Familien“) hinter sich scharen und gegen die innerparteiliche Konkurrenz mobilisieren wie gegen Parteigegner. Diese internen Grabenkriege legen die Partei fast lahm. Und wie die SPD Trost in ihrer 146-jährigen Geschichte sucht, so beruft sich der PS auf den 150. Geburtstag des Sozialisten Jean Jaurès, um von der trostlosen Gegenwart abzulenken. Nach der knappen Wahl von Martine Aubry zur Ersten Sekretärin auf dem Parteitag in Reims kam es zum peinlichen Eklat: die verschie
Martine Aubry zur Ersten Sekretärin auf dem Parteitag in Reims kam es zum peinlichen Eklat: die verschiedenen „Familien“ bezichtigten sich öffentlich des Wahlbetrugs und anderer Manipulationen. Die frisch gewählte Erste Sekretärin geriet vorübergehend in die Defensive, holte aber auf der Sommer-Universität der Partei in La Rochelle zum Gegenschlag aus. Sie kündigte eine Mitgliederbefragung zu zentralen Fragen und eine „Renovation“ der Partei an.Direktwahl des Kandidaten Diese Befragung fand nun am 1. Oktober zwischen 17 und 22 Uhr statt. Die Mitglieder konnten in den Büros der 3.500 Sektionen (Parteizellen) an Computern einen Fragebogen ausfüllen, der von den Föderationen (Parteibezirken) geprüft und noch in der Nacht an die Zentrale in Paris weitergeleitet wurde. Wahlberechtigt waren nur jene Parteimitglieder, die ihre Mitgliederbeiträge bezahlt haben. Eine Begleichung allfälliger Beitragsschulden war am 1. Oktober möglich. Zur Freude des Parteikassenwarts machten sich 26.000 Mitglieder durch Nachzahlungen ehrlich. So wuchs die Beteiligung an der Befragung auf 90.000, also rund 45 Prozent der 200.319 Parteimitglieder. Das ist ein Erfolg für Martine Aubry. Viele hatten eine niedrigere Beteiligung befürchtet oder erhofft, die landesweit freilich unterschiedlich war: im Département Hérault lag sie bei 70 Prozent der Parteimitglieder, in Paris – der größten Föderation – nur 25 Prozent.Die Parteimitglieder konnten elf Fragen mit Ja, Nein oder Enthaltung beantworten. In einer zwölften Frage wurden sie nach Vorschlägen, Anregungen und kritischen Anmerkungen befragt. Noch liegen verbindliche Ergebnisse en detail nicht vor, aber eine große Mehrheit zeichnet sich ab bei den beiden zentralen Fragen – das heißt, einem offenen Votum bei der Auswahl des sozialistischen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2012 und bei der Frage nach der Abschaffung von Ämterkumulation. Außerdem gab es grünes Licht für Verhandlungen mit anderen linken Gruppierungen über eine gemeinsame Plattform für ein alternatives politisches Projekt. Bei der Wahl des linken Präsidentschaftskandidaten könnten somit alle Linken teilnehmen, die „die 2012 einen Wechsel herbeiführen wollen durch einen Sieg der Linken“ – wie es in Erläuterungen zum Fragenkatalog heißt.Kumulieren unerwünschtDer zweite Fragenkomplex betrifft die Ämterkumulation. Viele Deputierte sitzen in Kommunal- und Regionalräten und einige obendrein in der Nationalversammlung oder im Senat. Die meisten parlamentarischen Funktionsträger besitzen als Pfründe zur materiellen Absicherung gegen das wechselnde Glück bei Wahlen ein exekutives Amt als Bürgermeister oder Präsident eines Regionalrates. Gegen diese Ämterhäufung und die daraus resultierenden Seilschaften legte die sozialistische Fraktion in der Nationalversammlung eine Gesetzesvorlage vor. Parteiintern wollen die Sozialisten aber dem Gesetz vorgreifen und die Verbindung von parlamentarischen Funktionen und Ämtern in der Exekutive schon ab 2011 unterbinden. Bei den „Kumulierern“ unter den Mandatsträgern ist das Vorhaben nicht beliebt, aber die meisten sagen das nicht öffentlich. Ferner sollen die Amtszeiten für Parlamentarier auf allen Ebenen auf drei Legislaturperioden beschränkt werden. Auch das Thema Geschlechterparität mit der Forderung nach einem Frauenanteil von 40 Prozent in allen legislativen Gremien fand mehrheitlich Zustimmung.Ferner erhielt der Parteivorstand von den Mitgliedern das Mandat, die Partei zu öffnen und die innerparteiliche Demokratie auszubauen. Dazu dient auch eine Ethikkommission, die einen verbindlichen Katalog von Regeln für den Umgang von Parteimitgliedern und Mandatsträgern untereinander ausarbeiten soll. Das wüste Hauen und Stechen zwischen den „Familien“ auf und nach dem Parteitag in Reims hat die Einsetzung einer solchen Kommission nötig gemacht. Parteichefin Martine Aubry leitet mit dieser Umfrage einen Prozess zur Rundumerneuerung der Partei ein. Eine weitere Umfrage soll im Juni 2010 lanciert werden, um die „neue sozialistische Partei“, die Aubry anstrebt, auf die Beine zu bringen.