Fackeln für die Brandstifter

Frankreich Mit seinem Angriff auf Burka tragende Frauen zielt Sarkozy auf eine zweifelhafte Zwangsintegration und liefert anti-islamischen Kulturkriegern eine willkommene Vorlage

Wer in diesen Tagen eine Pariser Metro-Station betritt, entgeht einem Plakat nicht. Das etwa 2,50 Meter breite und 1,50 Meter hohe Poster zeigt eine liegende nackte Frau, die ihr rechtes Bein anwinkelt, um mit dem Oberschenkel die Scham zu verdecken, und den rechten Arm anhebt, um ihre rechte Brust optimal ins Licht zu setzen. Am rechten Fuß baumelt das Bikini-Unterteil, am rechten Ellenbogen das Oberteil. Millionen von Augenpaaren können diesem Blickfang täglich nicht ausweichen – es sei denn, sie meiden die Metro.

Aber in der Hauptstadt wird nicht darüber debattiert, sondern über Frauen, denen es geboten erscheint, die Burka (in Marokko Nikab genannt) zu tragen, jenes Kleidungsstück, das den ganzen Körper – von Augen und Händen abgesehen – völlig bedeckt. Im Gegensatz zum Metro-Plakat, das jede Metro-Station ausstaffiert, muss man in Paris tagelang suchen, um eine einzige Burka-Trägerin zu finden. Über deren Zahl gibt es keinerlei verlässliche Angaben.

Kostüm einer Sekte

Zum politischen Thema erhob das inkriminierte Kleidungsstück ein kommunistischer Parlamentarier der Nationalversammlung. Der trommelte 57 andere Abgeordnete zusammen, die einen Antrag einreichten, in dem sie verlangten, dass eine Untersuchungskommission zum Thema Burka eingesetzt werde. Präsident Sarkozy sprang in seiner bombastisch inszenierten Rede vor Nationalversammlung und Senat – dem „Kongress“ in Versailles – auf den fahrenden Zug. Er verlangte „Respekt auch für die muslimische Religion“, betonte jedoch unmittelbar danach: „Das Problem der Burka ist kein religiöses Problem. Es ist ein Problem von Freiheit und Würde der Frau. Es ist kein religiöses Zeichen, es ist ein Zeichen der Unterwerfung, es ist ein Zeichen der Erniedrigung. Ich möchte feierlich erklären, dass die Burka in Frankreich nicht erwünscht ist.“

Wieder einmal wird damit ein absolut zweitrangiges Problem zur Staatsaffäre hochgespielt. Es ist Wasser auf die Mühlen jener Medien und Politiker, die Burka und Islam bewusst gleichsetzen. Eine Methode, die nur noch überboten wird von jenen, die in jedem Muslim einen Gotteskrieger sehen. Die Burka ist nicht „der“ Islam, sondern das Kostüm einer kleinen Sekte – paradoxerweise einer mit ursprünglich fortschrittlichem Programm.

Denn die Salafiyya-Bewegung plädierte im 19. Jahrhundert für eine Rückbesinnung auf die Religion der Alten angesichts von Säkularisierung und Verfälschung des Islam durch den Kolonialismus. Die Salafiyya war keinesfalls reaktionär – sie empfand den Islam als degeneriert und sah darin den Grund für Rückständigkeit und Abhängigkeit der muslimischen Länder. Im 20. Jahrhundert spaltete sich die Salafiyya in zwei Strömungen – eine religiös-konservative und eine politisch-fundamentalistische, die mit dem Islam so viel zu tun hat wie die christliche Kreuzzugsideologie oder der „Krieg gegen den Terrorismus“ von George W. Bush mit der Bergpredigt.

Die religiös-konservative Strömung vertritt sektiererische Lesarten des Islam und diktiert ihren Anhängern rigide Kleidervorschriften. Soweit sie nicht weiter geht, haben Staat und Politik diese Sekte hinzunehmen wie viele andere auch. Die Kleiderordnung ist keine Staatsangelegenheit. Mit der Kampagne gegen die Burka, die in Frankreich jetzt gehörig Fahrt aufnimmt, drohen Grenzen überschritten zu werden – die zwischen einem religiös neutral handelnden Staat und einem Staat, der Islamophobie und Ethno-Zentrismus befördert.

Treibhaus für Außenseiter

Das Argument, man wolle mit dem Verbot der Burka doch nur verhindern, dass sich Teile der Gesellschaft mittels einer religiös motivierten Kostümierung in Parallelgesellschaften einnisteten, ist keines. Religiöse oder politische Gruppen, die es darauf anlegen, sich aus der Gesellschaft auszugrenzen, sind nicht mit staatlichen Verboten, sondern allenfalls mit Angeboten zu gewinnen. Zwangsintegration ist keineswegs bloß fragwürdig, sie funktioniert auch nicht.

Mit Verboten gegen ein religiös gefärbtes Habit riskiert der französische Staat, dass religiöse Minderheiten, die sich ohnehin benachteiligt fühlen, den Schluss ziehen, ihre Religion werde verteufelt. Ein Fall sorgt bereits für Schlagzeilen. Vor ein paar Monaten wurde einer Marokkanerin, die mit einem in Frankreich geborenen Mann marokkanischer Herkunft – also mit einem Franzosen – verheiratet ist, die zustehende Einbürgerung verweigert. Begründung: Sie trage die Burka. Der Fall beschäftigt jetzt den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Pauschalurteile, die als mediales Verdikt über Burkas und Kopftücher im Umlauf sind, wirken als Verstärker der Islam-Verketzerung. Wer verbietet, der bietet Parallelgesellschaften ein Treibhaus, das ihr Wachstum fördert. Verbote treiben muslimische Gymnasiastinnen zu Provokationen gegenüber Eltern und Lehrern, während Schulrektoren die Suppe auslöffeln müssen, die ihnen die Politik eingebrockt hat. Der Repräsentativrat der französischen Muslime warf Sarkozy vor, pauschal „den Islam zu stigmatisieren“. Mehr noch: Seine Stilisierung der Burka zum „Problem“ sei schlicht politische Brandstiftung.

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