Man kann die Geschichte der französischen Präsidialrepublik seit 1958 als Fortführung der 1789 abgeschafften Monarchie mit demokratischen Mitteln beschreiben. Der über allem absolut herrschende König wurde ersetzt durch den fast ebenso absolut regierenden Staatspräsidenten. Die Bezeichnung eines Mandats als „absolut“ geht auf die Formel auctoritas legibus solutus zurück. Damit ist eine Herrschaft gemeint, die sich „losgelöst von Gesetzen“ bewegt.
Wenn man eine anspruchslose Beschreibung der V. Republik vorzieht, kann man sie als opernhafte Farce darstellen, im Gegensatz zu den brutalen Tragödien der Königsdramen von William Shakespeare, in denen sich Machterhalt auf Verrat, Folter, Mord und Totschlag reimt. Die republikanische Farce handelt nicht von Kapitalverbrechen, sondern „nur“ von „Affären“, in denen Geld und Bestechung, nicht Dolch und Scharfrichter agieren.
1997 erschien in Paris ein Dictionnaire des Affaires. Argent et Politique (Wörterbuch der Skandale. Geld und Politik). Viele der Politiker- und Firmennamen von Bouygues bis Tapie, die dort auf 200 Seiten auftauchen, stehen auch in den Ermittlungsakten gegen Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy. Doch ist der bei weitem nicht der einzige Präsident in französischen Stücken über „Geld und Politik“. Von Valéry Giscard d’Estaing über François Mitterrand bis zu Jacques Chirac und eben Sarkozy folgen sie dem Muster Così fan tutti (So machen’s alle).
Vom Gesetz gedeckt, verhalten sich Präsidenten so, als würden sie über dem Gesetz stehen und deshalb exklusive Ansprüche formulieren und durchsetzen dürfen. Im Jahr 2007, gerade gewählt und frisch verheiratet mit Carla Bruni, wollte sich Nicolas Sarkozy eine standesgemäße – also königliche – Kutsche zulegen. Es sollte ein Airbus sein – mit Badewanne, Pizzaofen, Luxusküche und Sauna. Unter dem Druck des öffentlichen Befremdens, der Finanzkrise und einer verheerenden Überschwemmung an der Atlantikküste konnte der Luxusverliebte schließlich mit Ach und Krach dazu gebracht werden, die Ausstattung der Edelkutsche zu reduzieren.
Bokassas Diamanten
Così fan tutti zum Ersten: Der passionierte Jäger Giscard d’Estaing (im Amt 1974 bis 1981) reiste schon vor seiner Wahl zum Präsidenten häufig nach Afrika. Besonders gern in die Zentralafrikanische Republik, wo damals der mutmaßliche Kannibale Jean-Bédel Bokassa regierte. Der schenkte seinem französischen Gast Diamanten, deren Wert Experten auf 10.000 Dollar schätzten. Zurück in Paris, legte Giscard die Steine in einen Tresor und „vergaß“ sie – bis die Presse am 10. Oktober 1979, nach dem Sturz Bokassas, darüber berichtete.
Così fan tutti zum Zweiten: François Mitterrand förderte den dubiosen Geschäftemacher Bernard Tapie seit 1987 und verschaffte ihm einen Wahlkreis in Südfrankreich. 1992 nötigte Mitterrand seinen Premier Pierre Bérégovoy, Tapie als Minister für Städtebau ins Kabinett zu holen. Ein Jahr später verlor Tapie seinen Ministerposten und widmete sich wieder den Geschäften wie dem Fußballklub Olympique Marseille. Dabei verwickelte er sich in einen Korruptionsskandal, den er zunächst überstand. 1995 aber wurde er zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe arbeitete Tapie als Schauspieler, Sportberater und Sportkommentator. 2009 gewann er einen langen Rechtsstreit mit der Bank Crédit Lyonnais über die Umstände des Verkaufs seiner Firmenanteile. Hier kam übrigens Nicolas Sarkozy ins Spiel, der 2008 maßgeblich daran beteiligt war, dass Crédit Lyonnais in einem Schiedsverfahren rund 400 Millionen Euro an Tapie bezahlte.
Così fan tutti zum Dritten: 2011 wurde Ex-Präsident Jacques Chirac zu zwei Jahren Gefängnis mit Bewährung verurteilt, weil er in seiner Zeit als Bürgermeister von Paris (1977 bis 1995) mindestens 28 Scheinarbeitsplätze schuf: Die Staatskasse bezahlte Angestellte, die nicht für die Stadt arbeiteten, sondern nur für Chiracs Partei Rassemblement Pour la République (RPR). Der 79-Jährige ging nicht in Berufung.
Così fan tutti zum Vierten: So weit wie Sarkozy hat es auf der schiefen Bahn noch keiner seiner Vorgänger geschafft, immerhin wurde er vergangene Woche in Polizeigewahrsam genommen und 15 Stunden lang verhört. Danach eröffneten ihm die Beamten, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen „Korruption“ sowie „Bestechung zur Verletzung des Ermittlungsgeheimnisses“ eingeleitet werde. Der nächste Schritt wäre die förmliche Anklage. Das sind selbst für korruptionserfahrene Franzosen keine Peanuts mehr.
Die Zeitung Le Monde hat dazu auf einer Doppelseite eine Grafik veröffentlicht, die das Netzwerk von Korruptionsfällen aus der 20 Jahre umfassenden Politikerkarriere Sarkozys bildlich darstellt. Die Vorwürfe reichen von Wahlkampfhilfen des Libyers Muammar al-Gaddafi bis zur illegalen Wahlkampffinanzierung 2011. An belastbaren Indizien ist so ziemlich alles enthalten, was das Strafgesetzbuch hergibt. Die Umstände, unter denen die Deals eingefädelt wurden, sind sonst mehr aus dem Rotlichtmilieu bekannt als aus Staats- und edlen Anwaltskanzleien.
Durch Telefonüberwachung, die in Frankreich sehr häufig angeordnet wird, erfuhren die Ermittler, dass Sarkozy und sein Anwalt Thierry Herzog nach der verlorenen Präsidentenwahl 2012 ein richtiges Netzwerk aufgebaut haben, um sich über die gegen den Ex-Staatschef laufenden Ermittlungen zu informieren. Beide beschafften sich im kriminellen Milieu von Marseille Handys, die sie auf falsche Namen registrieren ließen, wie das Zuhälter und Drogendealer zu tun pflegen.
Kumpel „Annulator“
Mit von der Partie in der kriminellen Vereinigung Sarkozy & Herzog waren zwei hohe Richter. Einem von ihnen, Gilbert Azibert, wurde ein lukrativer Posten in Monaco angeboten. In Justizkreisen rangiert Azibert unter dem Spitznamen „Annulator“, weil er „unbequeme“ Verfahren gern einschlafen oder einstellen lässt. Drei Tage nach seiner Wahlniederlage Anfang Mai 2012 ließ Sarkozy den Arbeitsvertrag mit seinem Kumpel „Annulator“ – er nennt ihn „notre ami“ (unseren Freund) – mit einem Dringlichkeitsdekret verlängern.
Die Vorwürfe gegen Sarkozy sind massiv, also schlägt der zurück. In einem Fernsehinterview bezeichnete er die von Weisungen unabhängigen, hochqualifizierten Untersuchungsrichter als petits pois (Erbsenzähler) – und unterstellte ihnen, parteiisch zu sein sowie illegalen Abhörpraktiken zu huldigen. Auf Untersuchungsrichterin Claire Thépaut ist der Ex-Präsident Sarkozy besonders schlecht zu sprechen.
Sie ist nicht nur Mitglied in der Richtergewerkschaft, sondern hat in ihrem Büro auch eine Pinnwand mit Fotos öffentlich bekannter Personen, darunter eines von Sarkozy. Titel der Collage: Mur des cons (Wand der Arschlöcher). Die Pinnwand sorgte in der Presse für viel Wellenschlag, aber niemand außer Sarkozy unterstellt der Juristin, dass sie ihre Ermittlungen nicht nach professionellen Standards führt. Er sei ein Opfer der Justiz, jammert Sarkozy wie vor ihm schon Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi. Bei 65 Prozent der Franzosen verfängt das nicht mehr – sie haben genug vom Ex-Turbo-Präsidenten.
Frankreichs Präsidenten - 1981 bis 2012
François Mitterrand, im Amt 1981 – 1995
Der Sozialist regiert teilweise in einer Linksunion zusammen mit den Kommunisten, führt die 35-Stunden-Woche ein und handelt die Maastricht-Verträge für die Währungsunion aus.
Jacques Chirac, im Amt 1995 – 2007
Der Neo-Gaullist räumt erstmals eine Mitverantwortung französischer Behörden für die Judenverfolgung während des Zweiten Weltkriegs ein und verweigert eine Teilnahme am Irak-Krieg 2003.
Nicolas Sarkozy, im Amt 2007 – 2012
Der Konservative versucht, die Weltfinanzkrise 2008/09 mit Konjunkturprogrammen einzudämmen. Ab 2010 muss er beim Tandem mit Deutschland in die Pedale treten, um den Euro zu retten.
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