In der ersten Hälfte des Jahres 1951 wurde die bundesdeutsche Öffentlichkeit von drei unterschiedlichen Filmen bewegt, um nicht zu sagen: elektrisiert – zwei stammten von Veit Harlan, im dritten spielte Hildegard Knef eine Hauptrolle. Zunächst einmal rief Anfang Februar der DGB zu Protesten gegen den Film Unsterbliche Geliebte von Harlan auf, den Regisseur der Nazi-Propagandastreifen Jud Süß (1940) und Kolberg (1944/45). Harlan sah sich seit 1949 fortwährend in juristische und politische Konflikte verwickelt. In mehreren Städten kam es gar zu Straßenschlachten zwischen seinen Anhängern und Gegnern.
Hans Maier, der ehemalige CSU-Kultusminister in Bayern, ist zu jener Zeit 20 Jahre alt und berichtet in seinen soeben erschienenen Memoiren vom Aufruf des Freiburger ASTA, gegen den sentimentalen Heimatfilm Hanna Amon (ebenfalls von Harlan) auf die Straße zu gehen: „Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei. Aber wir setzten uns durch. Der Film wurde abgesetzt. Es war meine erste Demonstration, und ich war stolz, dass sie Erfolg hatte.“ Für Protestmärsche Jahre später, als sich die Achtundsechziger Gehör verschaffen wollten, fand der damalige Professor Maier (er lehrte in München) wie der heutige Memoirenschreiber und Ex-Minister weniger verständnisvolle Worte.
Der dritte Film – Die Sünderin mit Hildegard Knef und Gustav Fröhlich in den Hauptrollen (Regie: Willi Forst) – wurde am 18. Januar 1951 in Frankfurt am Main uraufgeführt und sollte mit 50 Kopien landesweit starten, löste aber umgehend einen heftigen Filmskandal aus. Drei Tage vor der Premiere hatte die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) dem Herzog-Filmverleih mitgeteilt, das Werk werde nicht freigegeben. Nach dem Veto des Produzenten, des Regisseurs und Verleihs revidierten die Juristen der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) das FSK-Urteil, woraufhin die Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen in diesem Gremium aus Protest ihre Ämter aufgaben. Man muss dazu wissen, FSK und SPIO waren Interessenverbände und arbeiteten nicht auf gesetzlicher Grundlage, sondern nach eigenen Statuten. Daran gemessen sahen sich die kirchlichen Mitglieder als Wächter von Moral, Sitte und Ordnung.
Vor und in den Kinos Schlachten
Der Skandal war nicht aufzuhalten, weil sich Befürworter und Gegner des Films vor und in den Kinos Schlachten lieferten. Wo eine Vorführung nicht auf juristischem Wege verboten wurde, verschaffte die Polizei den Kinogängern Zutritt zu den Lichtspielhäusern und tat das notfalls mit Gewalt, was wiederum viele Pfarrer buchstäblich auf die Barrikaden trieb. An einigen Orten wurden die Kinoeingänge nachts von Unbekannten zugemauert oder Kinogänger mit Buttersäure begossen. Studenten zogen in Schweigemärschen hinter kirchlichen Würdenträgern und Ordensleuten durch die Städte. Besonders legten sich der Pfarrer Karl Klinkhammer und sein Kaplan Heinrich Fein aus Düsseldorf ins Zeug, die mit Mitgliedern der katholischen Jungmänner-Bewegung Kinos aufmischten und sich mit Polizisten Scharmützel lieferten. Der Düsseldorfer Oberbürgermeister Josef Gockeln polemisierte innerhalb und außerhalb des Landtags, den er präsidierte, gegen Die Sünderin. Nach einer empörten Intervention von Kardinal Josef Frings wurde der Film in Köln von den Behörden im Handstreich verboten. Andere Städte folgten dem Beispiel – alles war bestens geeignet, das verbiesterte politisch-moralische Klima im Adenauer-Staat zu bezeugen. Der Film war für Monate Thema Nr. 1 in Zeitungen und Zeitschriften, was ihm bis Mitte 1951 mehr als vier Millionen Besucher bescherte. Für den Verdacht einiger Kritiker, der Skandal sei aus kommerziellen Interessen provoziert und hochgespielt worden, gibt es keine belastbaren Belege.
Erst 1954 hob das Bundesverwaltungsgericht die örtlichen Aufführungsverbote in vielen Städten als rechtswidrig auf und stellte den Film unter den Schutz der Freiheit der Kunst nach Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes. Es entzog mit dem Grundsatzurteil den Film einer polizeilichen Generalermächtigung, die für sich reklamierte, „die Gefühle der überwiegend christlich denkenden Einwohnerschaft“ zu schützen, um damit „die öffentliche Ordnung“ aufrechtzuerhalten. Das Gericht sagte unmissverständlich: „Ein Spielfilm, der eine frei erdachte Handlung wiedergibt, zu in ihm dargestellten Vorgängen aber selbst nicht Stellung nimmt, ist im allgemeinen ein Erzeugnis der Kunst.“ – Hartnäckig hält sich bis heute die Legende, der Skandal sei entstanden, weil Hildegard Knef splitternackt zu sehen war. Richtig daran ist einzig, dass eine Szene unter großen Sicherheitsvorkehrungen gedreht wurde, in der Hildegard Knef nackt in ein Schwimmbecken springt. Im geschnittenen Film war diese Szene jedoch nicht enthalten. Der Zuschauer bekommt lediglich den nackten Oberkörper der Schauspielerin von hinten zu sehen, die ihrem Freund – einem Maler – Modell sitzt. Für Sekunden ist Hildegard Knef einmal nackt im Wasser schwimmend zu sehen.
Vermeintliche Nacktszenen
Doch es waren nicht die vermeintlichen Nacktszenen, die den Skandal verursachten, sondern der flächendeckende Groll von Kirchenleuten, die behaupteten, der Film verherrliche Mord und Ehebruch – er predige Selbstmord, Prostitution und Sterbehilfe. Es ging also nicht um Nacktheit, sondern um das, was seinerzeit „Zersetzung der Sittlichkeit“ oder „Verherrlichung des Bösen“ hieß. Mit der Handlung des eher trivialen Spielfilms lässt sich die Vehemenz des Verdammens freilich nicht begründen: Marina, eine ehemalige Prostituierte, lebt mit dem Maler Alexander zusammen. Der leidet an einem Gehirntumor. Um die Operation zu finanzieren, ist sie bereit, wieder ihrem Gewerbe nachzugehen. Der depressive Maler verfügt über starke Schlaftabletten, die Marina ihm abnimmt, nachdem sich die Gehirnoperation als Fehlschlag erwiesen hat. Als der Maler auch noch erblindet, will ihm Marina das Leiden verkürzen und gibt ihm eine tödliche Dosis des Schlafmittels Veronal. Danach begeht sie Selbstmord. Die Dramaturgie des Films bemüht die zeitliche Umkehrung. Das heißt, alles beginnt mit der Vergiftung des Malers, danach erzählt Marina ihr Leben und Leiden – als Kind wurde sie von ihrem Stiefbruder verführt – bis zu ihrem Selbstmord.
Die Kirchen-Obristen ließen nichts aus bei ihrer Kampagne. Sie sahen in Willi Forsts Filmwerk einen Kniefall vor der Euthanasie und sprachen von Propaganda für „die Vernichtung unwerten Lebens“, was man nur als böswillige Unterstellung deuten kann. Als sich die Gemüter etwas beruhigt hatten, gründete die protestantische Kirche ihre „Filmgilde“, die katholische ihre „Filmliga“, die den Mitgliedern empfahlen, nur noch von diesen kircheneigenen Ratgebern als unbedenklich eingestufte Filme anzusehen. Dem Aufruf zur freiwilligen Selbstentmündigung folgten in ganz kurzer Zeit 1,5 Millionen Gläubige.
Es bleibt als Fazit, der Skandal vor 60 Jahren galt keinem künstlerisch bedeutenden Film, doch provozierten die juristischen Scharmützel ein letztinstanzliches Urteil von einigem Wert für die kulturelle Modernisierung der Bundesrepublik. Es setzte der noch dem obrigkeitsstaatlichen Denken verhafteten Kontrolle der Kunst durch das Polizeirecht ein Ende und definierte erstmals klar und eindeutig die Grenzen der Kunstfreiheit in einem demokratischen Rechtsstaat. Die grundgesetzlich garantierte „Freiheit der Kunst unterliegt nicht den Schranken der polizeilichen Generalklausel“, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. „Sie findet jedoch dort ihre Grenze, wo ihre Inanspruchnahme ein anderes Grundrecht verletzen oder Rechtsgüter, die für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendig sind, gefährden würde“, so lautete der dritte Leitsatz des Urteils vom 21. Dezember 1954. Oder einfacher ausgedrückt: die fast nackte Hildegard Knef hatte mehr dafür getan, die Freiheit der Kunst zu sichern, als viele Sonntags- und Festredner.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.