Der Präsident inszeniert sich seit Wochen an der Seite der deutschen Kanzlerin als Retter der Nation, Europas und des Euro. Inzwischen weiß Nicolas Sarkozy eine Internationale konservativer EU-Regierungschefs unter seinen Wahlhelfern. Angela Merkel, Italiens Premier Monti wie auch Spaniens Ministerpräsident Rajoy bestreiten dem sozialistischen Herausforderer François Hollande Kompetenz und Statur, mit der europäischen Schuldenkrise verantwortungsvoll umzugehen. Seit er zu verstehen gab, im Fall seines Wahlsieges den EU-Fiskal-Pakt neu aushandeln zu wollen, hat er offenbar jeden Anspruch verwirkt, in Berlin, Rom oder Madrid empfangen zu werden. Ein solcher Boykott schafft nicht nur einen Präzedenzfall innerhalb der Europäischen Union – er sorgt gleichsam für einen Affront gegenüber einem Politiker, der schon bald einen der Kernstaaten Europas führen könnte.
Die Anti-Hollande-Koalition scheint von der Hoffnung beseelt, ihr Favorit werde im zweiten Wahlgang am 6. Mai triumphieren. Nicht auszuschließen, dass es so kommt – freilich müsste Sarkozy im Stechen die ultrarechten Wähler ebenso um sich scharen wie die aus der liberalen Mitte. Die Meinungsforscher gönnen ihm keinerlei Gewissheit, ob sich dieses Kalkül erfüllt. Ihre Umfragewerte messen kein tatsächliches Verhalten, sondern bestenfalls Wahlabsichten. Auch haben sie nur rudimentäre Vorstellungen davon, wie viele der Befragten ihre Präferenzen für den einen oder anderen Präsidentenbewerber bewusst falsch angeben. Bei Wählern des Front National (FN) ist die „Dunkelziffer“ besonders groß, wie man spätestens seit 2002 weiß.
Seinerzeit hatten sich die Umfrageinstitute grandios geirrt: Sie sagten acht Prozent für den FN-Bewerber Jean-Marie Le Pen voraus, der schließlich knapp 17 Prozent holte, den Sozialisten Lionel Jospin ausbootete und in die Stichwahl kam. Angaben zu den Präsidentenvoten am 22. April und am 6. Mai bewegen sich also auf sehr dünnem Eis.
Alles sieht nach einem Zweikampf aus
Vier Meinungsinstitute befragten zwischen Oktober 2011 und Februar 2012 eine repräsentative Auswahl an Franzosen zu Präferenzen bei den sieben aussichtsreichsten Kandidaten: Neben François Hollande (Parti Socialiste) und Nicolas Sarkozy (Union pour un Mouvement Populaire) sind das Marine Le Pen (Front National), François Bayrou (Mouvement Démocratique), Dominique de Villepin (République Solidaire), Jean-Luc Mélenchon (Front de la Gauche) sowie Eva Joly von den Grünen.
Die Schwankungen sind gering – sie liegen mit einer Ausnahme zwischen einem und vier Prozent. Spitzenreiter ist überall Hollande mit gut 30 Prozent, Sarkozy steht mit jeweils 24 bis 27 Prozent dahinter, gefolgt von Marine Le Pen auf dem dritten Platz mit 14 bis 17 Prozent. Für Bayrou wollen sich nach jetzigem Stand am 22. April etwa elf Prozent der Wähler entscheiden, für de Villepin zwei bis vier, für den Linken Mélenchon etwa neun. Die grüne Eva Joly kann mit zwei bis drei Prozent rechnen.
Alles sieht nach einem Zweikampf zwischen dem konservativen Amtsinhaber und seinem sozialistischen Gegner aus. Zuverlässige Auskünfte der Demoskopen, wie der ausgeht, fallen schwer, weil es bisher nur Mutmaßungen darüber gibt, wie sich die Wähler der FN-Kandidatin Marine Le Pen im zweiten Walgang verhalten. Bleiben sie der Wahlurne fern? Oder stimmen sie für Sarkozy? Bisher hat der Front National in der Person seines Patriarchen Jean-Marie Le Pen schon deshalb keine Empfehlung abgegeben, weil sich für einen rechten Nationalisten wie ihn die europafreundlichen Parteien UMP und PS unterscheiden wie Pest und Cholera. Das Gros der Wahlforscher vermutet, dass sich ein beträchtlicher Teil der FN-Wähler am 6. Mai Sarkozy zuwenden könnte, was aber am Sieg Hollandes nichts ändern werde. Dem bescheinigen die Umfragen im Moment für die Stichwahl einen Vorsprung von bis zu sechs Prozent. Nur, wird es dabei bleiben? Wenn François Bayrou, um seine Ambitionen auf einen Ministerposten zu unterstreichen, seinen Wählern im zweiten Wahlgang Sarkozy empfiehlt, wird es eng für Hollande. Das Potenzial linker Stimmen, das er für sich mobilisieren könnte, wäre dem Mitte-Rechts-Reservoir nur ebenbürtig, könnte er neben grünen, kommunistischen und trotzkistischen Wählern auch Nichtwähler in Größenordnungen gewinnen. Die bilden in Frankreich mit einem Anteil von etwa 30 Prozent der Wahlberechtigten eine relevante Größe und gelten als unberechenbar. Gründe für ihre Verweigerung sind den Wahlforschern nur in Grenzen bekannt, sodass den Kandidaten verlässliche Strategien fehlen, sie für ein Votum zu motivieren.
Rudolf Walther ist Frankreich-Autor des Freitag
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.