In der fünfjährigen Regierungszeit erreichten Schröder Fischer bislang vor allem eines: Sie haben sich ihre Parteien und Fraktionen als Kanzler- beziehungsweise Vizekanzlerwahlvereine zugeschnitten. Im wesentlichen nicken die nur noch ab, was ihnen vorgesetzt wird. Zur Not hilft eine Rücktrittsdrohung, um Renitente zur Regierungsräson zurückzubringen. Bei den Grünen erinnert nichts mehr daran, dass die Partei aus ökologisch-sozialistisch-pazifistisch orientierten Bewegungen stammt und noch in den besten Momenten als Partei eine Protestpartei war - eine Partei, die ihre grundsätzliche Kritik an Wirtschaft, Staat und Gesellschaft auch dann nicht vollständig vergaß, als sie sich auf die parlamentarischen Spielregeln einließ. Davon ist nichts mehr übrig geblieben. Der Horizont des grünen Führungspersonals wird abgesteckt von Dauerdebatten über Dosenpfand und Verbraucherschutz, wobei Verbände und Lobbyisten meistens die Oberhand behalten und die grünen Minister alt aussehen lassen. Oder glaubt jemand, es käme jetzt außer Gras und Wasser nichts in die Kälber und Kühe - es gäbe keine BSE-Fälle mehr, nur weil nicht mehr öffentlich gezählt wird?
In den grünen Parlamentsfraktionen sammelt sich kein kritischer Sachverstand, der dem Regierungspersonal auf die Finger schaut und neue Konzepte entwickelt. Die meisten Fraktionsmitglieder sind ausgelastet mit ihrer Arbeit an Karriere und medialem Profil, an Mandatssicherung und Wahlkreispflege. Viele Jungakademiker haben angesichts der Verhältnisse auf dem akademischen Arbeitsmarkt die Politik als lukratives und fast krisensicheres Berufsfeld entdeckt. Und die Pfiffigeren darunter haben auch gemerkt, dass Ein- und Aufstiegschancen nirgendwo so günstig sind wie bei den Grünen. Bei einem relativ konstanten Wähleranteil von knapp unter zehn Prozent auf allen politischen Ebenen - in den westdeutschen Bundesländern und im Bund -, einer inzwischen lethargischen Mitgliedschaft und einer kleinen Zahl von Aktivisten schafft den Weg zu Amts- oder Mandatspfründen jeder, der sich fleißig reinhängt und nicht aneckt. Ganz schädlich fürs Fortkommen ist es nur, wenn sich Jungpolitiker mit ihren ökologischen, sozial-, wirtschafts- oder friedenspolitischen Positionen und Optionen nicht in der Mitte, sondern eher links ansiedeln. Denn wie die FDP sind die Grünen heute in jenem juste milieu, das heißt jener ganz alten Mitte angelangt, wo sich nur Konformismus auszahlt.
In der Debatte über die Improvisation mit dem Namen "Agenda 2010" wurde das sehr deutlich. Noch weniger als von den linken Sozialdemokraten hatten Schröder Fischer substanzielle Kritik und alternative Konzepte aus den Reihen der Grünen zu erwarten. Die Partei ist zur reinen Klientelpartei geworden, bei der sich Besserverdienende ebenso wohl fühlen wie Zahnärzte und Werbefritzen bei der Westerwelle-Pieper-FDP. Wenn sich Grüne zu den sozial-, gesundheits- und steuerpolitischen Vorhaben von Schröders "Reform"-Konzept äußerten, wollten sie rechts überholen. Bei den Grünen haben die von der Krise verschonten, nicht mehr jungen, aber auch noch nicht alten, urbanen Aufsteiger aus dem Westen ihre politische Heimat gefunden. Hier ist alles Mitte: Alter, sozialer Status, Einkommen, politische Orientierung. Was unten - bei den kleinen Leuten, Arbeitslosen, Rentnern, Armen - "drüben" oder draußen los ist, interessiert die grüne Mitte frühestens, wenn es um eigene Besitzstände geht.
Eine geradezu idealtypische Verkörperung rundgeschliffener grüner Mittigkeit und Mittelmäßigkeit ist Oswald Metzger, den die schwäbischen Parteifreunde Büttikofer, Schlauch und Kuhn zwar aufs Abstellgleis befördert haben, der jedoch in jeder Hinsicht grüne Gegenwart und Zukunft repräsentiert: In der brachial-plumpen Sprache eines Stefan Effenberg plappert er die neoliberalen Lebkuchenverse von Hans-Olaf Henkel, Meinhard Miegel oder Arnulf Baring nach: Steuern und Abgaben senken, sozialstaatliche Leistungen kürzen, Arbeitsrecht flexibilisieren, öffentliche Dienste privatisieren, Eigenleistungen steigern. Und wie die drei Vorbeter des neoliberalen Clans lässt sich auch Metzger in seiner Marktverblendung ebenso wenig auf Debatten darüber ein, welchen Bevölkerungsschichten Steuern und Abgaben erspart oder mehr Eigenleistungen zugemutet werden können oder für wen sozialstaatliche Transferleistungen überflüssig sind.
Der nächste Schritt, den das grüne juste milieu vorbereitet, ist die Einstimmung von Mitgliedern, Wählern und Publikum auf eine Kooperation mit der CDU. Auch hier zählt Metzger zu den lauten Trompetern, um die Hausmusik der Klientelpartei FDP nachzuspielen. Deren Refrain reimt sich auf die allseitig angediente Anschlussfähigkeit als Garantie für Machtbeteiligung. Metzger gehörte schon 1995 zu einem Klüngel von schwarzen und grünen Abgeordneten, die in Bonner Kneipen in der Hochstimmung "jugendlicher Selbstfindung" (Metzger) nach Koalitionschancen suchten. Der CDU-Europaabgeordnete Armin Laschet kommt in der FAZ vom 6. März ins Schwärmen, als er die unter dem Namen "Pizza Connection" bekannt gewordenen Sondierungen beschreibt. Er hält Reformen im Gesundheits-, Renten- und Steuersystem in einer Koalition mit den weichgespülten Grünen für "leichter gestaltbar als mit einer großen Koalition."
Die FDP hat den Koalitionswechsel längst als Überlebensversicherung und ultima ratio in ihr Kalkül eingebaut. Wenn die Signale aus Düsseldorf nicht täuschen, ist es in Nordrhein-Westfalen wieder einmal so weit. Man darf gespannt sein, wann ein Metzgerlehrling bei Rütgers anklopft, um Steinbrücks sozial-liberale Pläne mit dem Projekt einer schwarz-blau-grünen Koalition zu durchkreuzen.
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