Georges Frêche, von 1977 bis 2004 Bürgermeister in Montpellier und seither Präsident des Regionalrats Languedoc-Roussillon, ist in Frankreich bekannt für rüde Sprüche. Der Ex-Maoist und heutige Sozialist nennt Intellektuelle schon einmal öffentlich "Pariser Trottel", eine Parteigenossin "Arschloch" und die eigenen Parteiführer "Elefanten, die sich schwer irren". Musliminnen können für Frêche durchaus als "verschleierte Al-Qaida-Frauen" firmieren, tragen sie doch den Schleier nur, weil sie an Ziegenpeter leiden. Die Proteste gegen derartige Ausfälle blieben bislang lokal begrenzt. Jüngst allerdings überzog der schneidige Rhetoriker. Nachdem Georges Frêche die "Harkis" - die einstigen Soldaten nordafrikanischer Herkunft in der ehemaligen Kolonialarmee - "Untermenschen" genannt hatte, waren eine Entschuldigung und der Rauswurf aus dem erweiterten Parteivorstand des Parti Socialiste (PS) fällig.
Der Vorgang wäre kaum der Rede wert, würde er nicht ein Symptom anzeigen. Bereits im Dezember 2005 - unmittelbar nach den landesweiten Krawallen in den Vorstädten - veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut TNS-Sofres einen alarmierenden Befund: Die Ideen und Wertvorstellungen des rechtsradikal-rassistischen Front National (FN) fänden in der Bevölkerung immer mehr Zustimmung. Nur 39 Prozent der Franzosen hielten Ideen und Zielsetzungen des FN für "unannehmbar". Ein Jahr zuvor waren es noch 44 Prozent. Nur noch zwei von drei französischen Wählern sähen in Jean-Marie Le Pen "eine Gefahr für die Demokratie in Frankreich".
Neben dieser Verharmlosung des FN zeigt die repräsentative Umfrage, in welchem Ausmaß sich die typischen Thesen der Rechten im Denken der Bevölkerung buchstäblich eingenistet haben. Ein Viertel der Befragten erklärt, dass sie "mit den Vorstellungen von Le Pen vollständig oder annähernd vollständig" übereinstimmen. Bei den Präsidentschaftswahlen 2002 kam Le Pen im zweiten Wahlgang immerhin noch auf 17,8 Prozent der Stimmen. Ein Drittel der von TNS-Sofres Befragten gab zu verstehen, die gleichen Präferenzen wie der FN-Chef zu haben: Zuvörderst "die Verteidigung traditioneller Werte" gefolgt von "Sicherheit und Gerechtigkeit", der "Lage in den Banlieues" und der "Einwanderung".
Ausgesprochen finster wird es, wenn gezielte Fragen gestellt werden. Die Aura des Landes als Hort von "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" wird angesichts der harten Daten zur Chimäre. Fast ein Viertel der Franzosen (22 Prozent) ist der Meinung, Franzosen "gegenüber legalen Einwanderern bei den Sozialleistungen oder der Arbeitsvergabe zu bevorzugen", sei "völlig in Ordnung". Da verwundert nicht, wenn man liest, dass 63 Prozent der Meinung sind, es gebe zu viele Einwanderer, was insofern demagogisch erscheint, als auch in Frankreich die Quote der Einwanderer stark gesunken ist. Die 63 Prozent kommen nur zustande, weil die Befragten offenbar zwischen Ausländern und Einwanderern keinen Unterschied machen - genau wie Le Pen. 70 Prozent der Bevölkerung halten die Justiz für "nicht streng genug gegen Kleinkriminelle". Da erstaunt es nicht weiter, dass 34 Prozent für die Wiedereinführung der 1981 von François Mitterrand und seinem Justizminister Robert Badinter abgeschafften Todesstrafe plädieren. Schließlich möchte einer von drei Befragten, dass der 77-jährige Jean-Marie Le Pen 2007 wieder für die Präsidentschaft kandidiert.
Die erschreckenden Zahlen sind nicht nur ein Niederschlag der Aufregung über die November-Krawalle. Konservative Politiker wie Innenminister Nicolas Sarkozy, Chef der Union pour un Mouvement Populaire (UMP), und Philippe de Villiers, Chef des Mouvement pour la France (MPF), buhlen gleichermaßen um das rechte Wählerpotenzial und machen für ihre Schlagwörter und Propagandaparolen Anleihen beim FN. Sarkozys markige Sprüche während der Unruhen ("mit dem Hochdruckreiniger durchgreifen", "Ordnung schaffen gegen das Gesindel") hätten ebenso gut von Le Pen selbst oder seinen Einheizern stammen können.
Die dosierte Übernahme von Teilen der rechtsradikalen und rassistischen Ideologie durch konservative Parteien und ein ziemlich breites Meinungsspektrum bis in sozialistische Kreise hinein ist keine französische Spezialität. Bei den jüngsten Kommunalwahlen in Holland erlitten die regierenden Christdemokraten (CDA) eine empfindliche Schlappe, während die sozialdemokratische Arbeiterpartei (PvdA) und die linken Sozialisten (SP) ihren Wähleranteil um 8,2 Prozent beziehungsweise 2,8 Prozent steigern konnten. Der markanteste Zug des Wahlergebnisses ist indes nicht die Niederlage von Premier Balkenende (minus 3,4 Prozent), sondern das faktische Verschwinden der Partei des radikal-demagogischen Populisten Pim Fortuyn, der 2002 ermordet wurde. Besonders auf Kosten der Christdemokraten und Rechtsliberalen konnte Fortuyn vor vier Jahren unter dem Label "Leefbar" (Lebenswert) 266 Sitze in den Kommunalparlamenten erringen. Christdemokraten und Rechtsliberale verstanden die Lektion, schärften ihr Profil nach rechts und übernahmen viele von Fortuyns Themen und Parolen über Ausländer, Einwanderer und Kriminalität. Das Resultat ist sichtbar: Die Sitze der Protestpartei "Leefbar" wurden landesweit halbiert. In Amsterdam ist sie ganz verschwunden, in Rotterdam und Eindhoven hat die PvdA die Mehrheit zurückgewonnen.
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