Eine Parlamentswahl mit Rechtsdrall zeichnet sich ab

Schweiz Am Sonntag wird in der Schweiz über beide Kammern des Parlaments – den Ständerat und Nationalrat – abgestimmt. Dass sich danach in der Zusammensetzung des Bundesrates etwas ändert, ist so gut wie ausgeschlossen
Wahlkampf in der Schweiz, so wie man ihn sich vorstellt
Wahlkampf in der Schweiz, so wie man ihn sich vorstellt

Foto: Imago / Geisser

Die Schweizer Besonderheit heißt „Zauberformel“ und verheißt dem Land Stabilität wie Berechenbarkeit. Danach richtet sich die Zusammensetzung der Regierung nicht nach dem Kräfteverhältnis im Parlament wie fast überall auf der Welt. Maßgebend ist ein Schlüssel, der das Verhältnis der vier großen Parteien auf die Formel 2:2:2:1 bringt. Danach richtet sich, wer im siebenköpfigen Bundesrat Regierungsverantwortung übernimmt.

Das Prinzip ist verworrener Herkunft und selbst für ausgefuchste Fachleute nicht durchschaubar – eine Mischung aus parteipolitischer Mauschelei, Tradition, Stabilitätsgläubigkeit, helvetischem Brauchtum und granithartem Vertrauen darauf, dass gut sein muss, was sich nicht ändert.

Allerdings dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis die wachsende politische Bedeutung der als national unzuverlässig geltenden Sozialdemokratie im politischen Handgemenge um die Zauberformel vom bürgerlichen Juste Milieu berücksichtigt wurde.

Eine Partei kann regieren und Opposition sein

Die 1982 vom Pfarrerssohn, Landwirt und Milliardär Christoph Blocher gegründete und finanzierte Schweizerische Volkspartei (SVP) ist dagegen seit 2003 durch die „Zauberformel“ approbierte Regierungs- und zugleich selbsternannte Oppositionspartei (SVP). So viel zu den Standards der ältesten Demokratie der Welt, die nach dem helvetischen Selbstverständnis im 13. Jahrhundert, faktisch jedoch erst 1848 mit großen Defiziten (Frauenstimmrecht!) recht zaghaft begann.

Auch die Doppelrolle, dass eine Partei regieren und zugleich Opposition gegen die Regierung spielen kann, verdankt sich einer Spezialität dieses Regierungssystems. Parteien sind an Regierungsbeschlüsse nicht gebunden und können gegen diese ein Referendum, das heißt, eine Volksabstimmung, erzwingen. Genau dies ist das Geschäftsmodell von Blochers SVP. Gegen alles, was nicht zum nationalchauvinistischen Kurs der Partei passt, wird auf die Möglichkeit des Referendums zurückgegriffen, die dazu gehörige Kampagne großzügig finanziert und gelegentlich mit Erfolg gegen die EU, gegen Ausländer und Muslime agiert. Das geschieht im Namen von Wohlstand, Neutralität und nationaler Souveränität, wie es die meisten rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien in Europa nicht anders halten.

Bisher ist die SVP damit sehr erfolgreich, wozu eine weitere Besonderheit des politischen Systems beiträgt. Vieles, was andernorts per Gesetz geregelt werden muss, kann mit dem direktdemokratischen Instrument der Gesetzesinitiative Verfassungsrang erhalten. Auch mit diesem Instrument erzielte Blochers Partei Erfolge und ist heute mit einem Wähleranteil von gut 25 Prozent stärkste Kraft.

Erst- und Zweitstimmen gibt es nicht

Nach aktuellen Umfragen kann die SVP bei den anstehenden Wahlen mit einem Zuwachs von gut drei Prozent rechnen, was für schweizerische Verhältnisse sehr viel ist, denn andere Parteien werden nicht einmal halb so viele Stimmen hinzugewinnen.

Insofern sind auch die für eine Partei wie die „Grünen“ prognostizierten Verluste von vier Prozent dramatisch hoch. Schwierig sind Voraussagen für die Partei „Die Mitte“, die bei den vorangegangenen Wahlen noch aus zwei Parteien bestand: der Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP), einer Abspaltung von gemäßigten Konservativen, die sich gegen den radikalen Rechtskurs der SVP sträubten, und den Christdemokraten (CVP). Zu den Wahlsiegern wird sich aller Voraussicht nach wie vor vier Jahren die „Grünliberale Partei“ (GLP) zählen dürfen mit leichten Stimmengewinnen. Verluste müssen wohl die Liberalen wie auch die Sozialdemokraten der SPS hinnehmen.

Der Nationalrat, also die Volksvertretung, wird nach dem Verhältniswahlrecht gewählt, denn ein System mit Erst- und Zweitstimmen gibt es nicht. Nach dem Verhältniswahlrecht werden die Sitze zunächst nach der Anzahl der erhaltenen Stimmen auf die Parteien verteilt und dann den Kandidaten mit den meisten Stimmen innerhalb der Liste zugewiesen. Die einzelnen Listen bzw. Parteien können ihre Wahlchancen optimieren, indem sie Listenverbindungen eingehen, sprich: temporäre Bündnisse.

Stimmen für Gruppierungen, die durch eine solche Verbindung vereint sind, werden als gemeinsamer Topf gezählt. Bei der Auszählung kommt dann dem Bündnis eine bestimmte Anzahl von Sitzen zu, die entsprechend den erhaltenen Stimmen auf die Gruppierungen verteilt werden. Da diese Rechnung nie ganz genau aufgeht, wird versucht, die übriggebliebenen Reste zusammenzulegen, um einen zusätzlichen Sitz zu erlangen. Listenverbindungen lohnen sich für kleine Gruppierungen, die sich mit größeren Partner kooperieren, während größere Gruppierungen dabei eher verlieren.

Eine beabsichtigte Verbindung zwischen der offen migrations- und fremdenfeindlichen SVP im Kanton Zürich und der vom rechten Flügel dominierten FDP im gleichen Kanton kam im Vorfeld dieser Wahlen wegen des bezweifelten Erfolges nicht zustande.

Nach jüngsten Umfragen wird die SVP mit ihrer rechtspopulistischen Agenda unbestritten stärkste politischen Kraft im Berner Parlament bleiben und als Opposition in der Regierung den Kurs der Exekutive maßgeblich mitbestimmen.

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