Apokalyptischer Visionär

Nachtrag Polemische Bemerkungen gegen den in Umlauf gebrachten "Maestro" Adorno

Adorno hielt sich selbst für einen bedeutenden Mann. Das bezeugen überlieferte Bemerkungen des Philosophen angesichts aufkeimender Suizid-Gedanken. Adorno war sendungsbewusst, narzisstisch (was ihm gegenwärtig eher Sympathien garantiert), in mancherlei Hinsicht dem Typus des repräsentativen Bürgers entsprechend oder zumindest entsprechen wollend, den man gemeinhin mit dem Namen Thomas Mann verbindet. Dem Ehrgeizigen ist Erfolg beschieden gewesen, wie spätestens die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag beweise, die Petra Roth (CDU) und andere mit erheblichem Engagement vorangetrieben haben. Der Buchmarkt ist nicht nur mit preisgünstigen Adorno-Titeln versorgt worden, er wird verwöhnt mit Titeln wie Kindheit in Amorbach, Briefe an seine Eltern (beide Titel stehen, wie sich´s gehört, inzwischen auf der Bestenliste der Zeit), der Briefwechsel mit Lotte Baronin Tobisch von Labotyn, die zwischen 1980 und 1996 den Wiener Opernball organisierte und zuvor in Werbespots der Firma Maggi mitwirkte und Teddie an Sophia Loren erinnerte et cetera. Der HR brachte eine ganze Adorno-Nacht, moderiert von Gerd Scobel, einem der raren kultur-medialen Talente. Es fehlt eigentlich nur noch eine postume Publikation sub titulo "Adorno, Carol und Arlette", sachkundig ediert und kommentiert von Adornos Witwe.

Es wäre aber zu einfach, sich über die Skurrilitäten des Jubiläums-Spektakels (etwa einen Vortrag über die "musiko-mystischen Unterströme" in Adornos Philosophie) zu mokieren, über die Seelenverwandtschaft des Frankfurter Meisterdenkers mit dem von Bob Dylan definitiv karikierten professionellen kritischen Intellektuellen Mr. Jones (Ballad of a thin man), über die Versuche, den Philosophen zu einem gewissen touristischen Objekt der Begierde (in Ausstellungen, Führungen zu den Schauplätzen der Dramolette) zu machen, sozusagen zu einer Art kleinem Goethe. Viel besorgniserregender ist der Versuch einiger Schaltstellen-Intellektueller, den - wie Axel Honneth problembewusst konstatiert hat - gegenwärtig schwer zu vermittelnden, oft hermetischen, mehr als modisch-melancholischen Verfasser der Negativen Dialektik und Mitverfasser der Dialektik der Aufklärung in den Diskurs der Generation Golf (Teil 1 und/oder 2) einzupassen. Das Verfahren der Assimilatoren ist recht simpel: Entzug der diffizilen philosophischen Elemente, die eine Kenntnis der "Philosophie der Logik" wie der "Philosophischen Brocken" unerlässlich voraussetzen, Nominierung Adornos zum Künstler, Musiker, Komponisten - all das war er zweifellos auch -, kurzum zum "letzten Genie"(mit oder ohne Fragezeichen). Frank Schirrmacher hat diese Transsubstantation auf den Punkt gebracht: Das prominente Mitglied der Kritischen Theorie, der Kreator der negativen Dialektik, wird zum Maestro stilisiert. Zu goutieren sind sein einzigartiger Stil, sein Sound gleichsam, den man "im Ohr" hat - ähnlich wie der trendige Last-Minute-User den momentanen Hit von Beyoncé im Disc Man.

Gegen solche angeblichen Bewunderer ist der bedeutende Philosoph, der leider den Ton des aktuellen philosophischen Diskurses nicht mehr (mit-) bestimmt, zu verteidigen.

Zunächst: Natürlich ist die Minima Moralia ein großartiges Buch. Aber ohne die Dialektik der Aufklärung und die Negative Dialektik, die immer schon impliziert oder vorausgesetzt sind, versteht man die Reflexionen aus dem beschädigten Leben bestenfalls zur Hälfte. Selbstredend sind die Noten zur Literatur, in denen Adorno beweist, dass gute Literaturkritik mit den rustikalen Methoden der Reich-Ranickis wenig gemein hat, auch 2003 noch ein mehr als empfehlenswertes Werk, aber sie werden erst vor dem Hintergrund der Ästhetischen Theorie wirklich fassbar, gerade auch die interessanten Ungerechtigkeiten, Einseitigkeiten und bahnbrechenden Einsichten. Adornos Denken war nämlich keineswegs konfus-impressionistisch, erschöpfte sich nicht im Formulieren von Pointen. Es besitzt eine eigene, durchaus strenge Logik, ja Systematik.

Die Abneigung gegen Adornos systematische Schriften sind nicht nur Folge von Bequemlichkeit und Ignoranz, sie nährt sich von der Ranküne gegen die radikalen Bewegungen der 60er Jahre. Adorno taugt aber nicht als Alibi für verspätete Abrechnungen mit den 68ern, die immer noch in erstaunlichem Umfang Affekte und Verbalinjurien provozieren. (Inzwischen ist ja sogar die Legende widerlegt worden, Adorno sei ein Opfer der Attacken der verblendet-wütenden Studenten geworden, die dem letzten großen Bildungsbürger den Garaus machen wollten.) Er war ein Bürger und - das darf nicht vergessen werden - ein radikaler Kritiker jener Bourgeoisie, zu der er als Privatier zweifellos gehörte. Die Attitüde, aus Adorno einen (mit einigem Glamour versehenen) Artisten zu machen und ihn so in die Spalten des Feuilletons hinein- und aus den relevanten aktuellen Debatten wegzuloben, wird ihm nicht gerecht. Er verdient es vielmehr, mit ihm auf dem Niveau zu streiten, das er selbst erreicht hat. Das haben unter anderem die Studenten getan, die ihn dazu bringen wollten, ein praktischer Philosoph im Sinne von Karl Marx zu werden, der Adorno natürlich nicht war und nie sein wollte.

Adorno ist ein Klassiker, aber zum Glück ein schwieriger und ein umstrittener. Er war in manchen Diskursen engagiert (etwa in den Positivismusstreit mit Karl Popper und Hans Albert oder den Disput mit Arnold Gehlen), aber - und das ist eine erstaunliche Beobachtung, die der neuerlichen Nachforschung würdig ist - andere, eventuell ertragreichere Diskurse hat der das Monologisieren bevorzugende Dialektiker abgeblockt, torpediert - oder: sie haben einfach nicht stattgefunden. Einige brisante Dispute haben zu Lebzeiten einfach aus historischen Gründen nicht über die intellektuelle Bühne gehen können. Adorno konnte natürlich nicht testen, ob seine Variante der Kritischen Theorie mit der späteren französischen Philosophie eines Foucault, Derrida oder Lyotard eher verwandt ist oder in den fundamentalen Dissens führt.

Andere Debatten mit Zeitgenossen Adornos hätten stattfinden können, ja sie wären bitter notwendig gewesen, aber sie hat es nicht einmal rudimentär gegeben. Das vermutlich erstaunlichste Paradigma eines ausgebliebenen, verdrängten und unersetzlichen Diskurses ist der mit Georg Lukács, dem bedeutenden ungarischen Philosophen, Zeitdiagnostiker, Ästhetiker und "Nonkonformisten" (Istvan Eörsi), der Adornos Sozialphilosophie in erstaunlicher Intensität beeinflusst, ja geprägt hat.

Trotz einiger Versuche ist das Verhältnis von Adorno zu Lukács und umgekehrt noch viel zu wenig erforscht. Das hat vielerlei Gründe. Die - um es höflich auszudrücken - vorsichtigen Vordenker der Kritischen Theorie suchten bereits in den dreißiger Jahren die marxistischen und neomarxistischen Ingredienzien ihrer Konzepte sorgfältig zu verschleiern. Und am dramatischsten (so die Formulierung von Axel Honneth) ist diese Tendenz sicher im Falle von Adorno. An sich wäre das Jubiläumsjahr der geeignete Zeitpunkt, das Versäumte nachzuholen. Der Dialog könnte vielerlei Facetten aufweisen, zeigen, wie blind die Protagonisten gegenüber ihren Affinitäten waren. Einige Punkte: Das Problemfeld "Ontologie": Adornos Negative Dialektik (aber natürlich auch seine Studie über den Jargon der Eigentlichkeit) nehmen aus Lukács´ Geschichte und Klassenbewusstsein vertraute Argumentationsmuster auf. Adorno wie Lukács präsentieren sich als massive Kritiker der Heideggerschen "Ontologie". Gänzlich unerforscht ist zudem, wie Lukács` späte "Ontologie des gesellschaftlichen Seins" entweder von Adorno her zu kritisieren oder als Kritik an dessen negativer Dialektik zu begreifen ist.

Das Problemfeld Sozialphilosophie/ Methodologie der Sozialwissenschaften: Natürlich sind die sozialphilosophischen Basisintuitionen der beiden Denker, die im Konzept der Verdinglichungskritik nicht nur marginal konvenieren, Anlass, unter den Prämissen der Globalisierung erneut auf den Prüfstand zu stellen. Nach einer Phase des Totschweigens und plakativen Negierens ist inzwischen das Interesse an marxistisch inspirierten Zeitdiagnosen wieder erwacht. Die Kritiker der (klassischen oder neoliberalen) kapitalistischen Warenproduktion finden wieder Zuhörer, die sich für die feinen Differenzierungen zwischen neomarxistischen und kritisch-theoretischen Ansätzen durchaus interessieren.

Von alledem ist bislang im Jubiläumsjahr keine Rede. Der "neue", fürs Feuilleton attraktive Adorno des Jubiläumsjahrs 2003 ist das Genie und der letzte Bildungsbürger, gereinigt von der - angeblich - "hinter seinen ästhetischen Analysen erschreckend zurückbleibenden Sozialphilosophie" (Jürgen Kaube in der FAZ), die den Kapitalismus und dessen Warenproduktion zum Gegenstand der Kritik macht. Es ist zu hoffen, dass Jürgen Habermas und Axel Honneth weiter an die Substanz von Adornos radikalen gesellschaftstheoretischen Diskurs erinnern werden. Habermas´ Vortrag auf der Internationalen Adorno-Konferenz Ende September in Frankfurt trug den verheißungsvollen Titel Freiheit und Unverfügbarkeit. Damit versuchte Habermas, sich den Problemen der Adorno-Rezeption zu stellen, ohne sich in die Unverbindlichkeit der Artistenverherrlichung zu verflüchtigen. Zweifellos ist Adorno Bewohner des "Grand Hotels Abgrund" und radikaler Kritiker der spätbürgerlichen Gesellschaft gewesen - aus einer von Hegel, Marx, Lukács und Freud (sowie Kierkegaard) geprägten Perspektive. Insofern ist er - bei allem Respekt vor seinem Stil, seinen Bemühungen als Pianist am Steinway-Flügel und als Komponist - in der Reihe Toscanini, Furtwängler, Herbert von Karajan nicht angemessen aufgehoben. Auch wenn ihn Hannah Arendt und Schönberg für einen "Widerling" hielten, gehört er in die Reihe der großen avantgardistischen Theoretiker und apokalyptischen Visionäre - cum ira et studio.


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