Der Text ist schön genug

Pro Handke Was Frederike Hellers Inszenierung des "Untertagblues" in Wien versäumt

Wien bleibt doch Wien und alles beim alten. Als jetzt Peter Handkes Stationendrama Untertagblues an die Donau gelangte, spielte das Burgtheater Hofmannsthals Unbestechlichen (sehr altbacken und mit Libgart Schwarz in einer Hauptrolle) und Shakespeares Was ihr wollt. Dem Verfasser der Publikumsbeschimpfung wie dem Werk der frisch gekürten Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek bleibt das Akademietheater. Besser geht es da übrigens Thomas Bernhard, dessen Macht der Gewohnheit nach 30 Jahren die Burg erreicht hat und dessen Erbe von der Thomas-Bernhard-Gesellschaft in unmittelbarer Nähe des Doms betreut wird. Der Stammgast des Cafés Bräunerhof scheint in seiner liebevoll-verhassten Heimat angekommen zu sein.

Ursprünglich sollte Luc Bondy Peter Handkes Blues-Etüde zuerst inszenieren. Ihn verließ aber - nachdem Richard Peduzzis 200.000 Euro teures Bühnenbild gebaut war - die Lust an einem Werk, das ihm zu misanthropisch schien. So ging die Uraufführung des Stücks an den aus der Burg vertriebenen Peymann in Berlin und die österreichische Premierenbühne wurde frei für die junge Regisseurin Frederike Heller. Die sich - und das ist ihr gutes Recht - so einige Freiheiten nimmt. Beginnen wir mit dem Bühnenbild. In Wien gibt es nicht wie in Berlin die schönste aller denkbaren U-Bahnen zu bewundern. Sabine Kohlstedt hat einen abstrakten Spiegelraum kreiert, der bevölkert wird vom Ersten Wiener Heimorgelorchester, den Darstellern und dem sich im Spiegel selbst erkennenden Publikum. Das Musikerensemble beglückt das Publikum mit einem elektronisch verfremdeten Potpourri der U-Musik, changierend zwischen konzertantem Schimpforchester und der Funktion, die Ein- und Aussteigenden zu ersetzen. In diesem Handke-Musical gibt es dann noch eine veritable Handke-Parodie mit Perücke und Sonnenbrille, was ungefähr so lustig ist wie die notorische Marcel Reich-Ranicki-Nummer des Kabaretts. Dass sich selbst die Damen vom Verein der Freunde des Burgtheaters gut unterhalten, ist nicht zuletzt dem amüsanten, auf wienerische Mediokrität reduzierten Hauptdarsteller zu verdanken. Philipp Hochmair produziert Kunststückchen am laufenden Band: Er spricht, deklamiert, grölt, wirft sich zu Boden, tänzelt beschwingt, spielt den Popstar als Melange aus Rap und Punk, stürzt sich von der Bühne, zerzaust Haar und Showmaster-Glitzeranzug - kurz: er ist etwa so wild wie Christoph Schlingensief in Normalform einst bei seiner MTV-U-Bahn-Sendung. Irgendwie wird der Misanthrop sympathisch, fast zum Darling des Wiener Publikums, das sich überhaupt nicht mehr belästigt fühlt. Szenenapplaus.

Spätestens jetzt steigt Unbehagen auf. Handke als Sympathieträger, den man ebenso goutiert wie die bevorstehende Reise nach Bayreuth? Was fehlt? Ehrlich gesagt: nicht wenig. Der Wiener Inszenierung geht das Vertrauen in die Spielbarkeit von Handkes Text als Predigt gegen die universale Debilität und als Philippika gegen die global gewordene Hässlichkeit ab. Ähnlich wie in Berlin glaubt man Handke nur gegen den Strich spielen zu können. Entweder als Fall für den Theaterarzt (Berlin) oder als intellektuellen Edel-Boulevard (Wien). Dabei ist Handkes grandioser Monolog alles andere als monoton und bedarf nicht der Unterstützung eines Heimorgelorchesters oder durch Videokünstler, die des Autors Faible fürs Kino nur allzu unzulänglich imitieren. Das rhetorische Meisterstück bietet dem Hauptdarsteller alles, was sich ein Schauspieler wünscht: Er kann fluchen, schimpfen, sich wälzen, grölen, lyrisch werden oder ein Fanatiker des Schönen, reden wie der Prediger Abraham a Santa Clara, philosophieren, schwärmen, singen wie ein blinder Blues-Barde oder wie Robert Johnson, der seine Seele an den Teufel verkauft haben soll. Und man könnte alles zur Anwendung bringen, was sich Regisseure bei der Inszenierung von Handkes wortlosem Schauspiel Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten seit 1991 haben einfallen lassen, statt uralte Ideen aus Handkes Jugendzeit zu recyceln. Wohlgemerkt: Der Untertagblues ist ein Stück für die große Bühne.

Der Schluss von Handkes Text ist die Probe aufs Exempel. Was macht der Regisseur mit dem Einspruch der Wilden Frau gegen das Lamento des Weltverbesserers? Gräulich gelöst in Wien: Friederike Heller überlässt das letzte Wort einer alten Dame, der verdienten, altersweisen Bibiana Zeller, was die erwähnten Damen vom Burgtheaterfreundeverein zu heftiger Akklamation animiert: Man hat doch immer gewusst, dass selbst der schlimmste Publikumsbeschimpfer dereinst zu Kreuze wird kriechen müssen. Und am schönsten ist´s, wenn das in einem seiner eigenen Stücke geschieht. So lässt die Regisseurin genau jene Banalität siegen, gegen die Handke angeschrieben hat.

Der Kalauer triumphiert in Wien. Dabei: Es geht ein Riss durch die Welt. Das ist die Botschaft von Handkes Version des Subterranean Homesick Blues Bob Dylans. In Wien hat man diesen Blues verraten, weil man sich den Mut nicht gönnte, mit dem Vorurteil zu brechen, dass Handke nur gegen Handke zu inszenieren wäre. So bleibt die Wiener Inszenierung gewöhnlich.


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