Wer profitiert von Netz-Skandälchen?

Netzgeschichten Im Internet wird über Aktionen auf Youtube und Facebook diskutiert. Was dahinter steckt, bleibt im Dunkeln. Und welchen Nutzen haben virtuelle Solidaritätserklärungen?

Gott ist minderjährig. Sein Youtube-Kanal ist gerade gelöscht worden. Tausende Pornofilmchen überschwemmen aus reiner Solidarität mit ihm Youtube. Ein Audi kann nicht mehr als Selbstmord-Werkzeug benutzt werden und Frauen veröffentlichen ihre BH-Farben im Kampf gegen Brustkrebs. Was wie eine Absurditäten-Liste klingt, ist doch nur eine Woche Netzalltag.

Mehrere Aktionen auf Youtube sorgten in den vergangenen Tagen für einigen Wirbel. So tauchte ein professionell produzierter Videoclip auf, in dem einem jungen Mann der Suizidversuch in seinem Auto misslingt. Statt durch Abgase das Zeitliche zu segnen, muss er wegen der Clean-Diesel-Technologie des Audi A5 weiterleben. Die Webgemeinschaft war sich uneins, ob es sich bei dem Clip um originelle Werbung handelt. Der Audi-Konzern dementierte jegliche Beteiligung und fachte die Spekulationen damit erst richtig an. Innerhalb weniger Tage gehörte der Spot zu den beliebtesten Youtube-Clips.


Auch die Videos eines Achtjährigen sorgten für Aufregung. Der Videokanal von Luke Taylor wurde von Youtube gelöscht. Unter dem Pseudonym „lukeywes1234“ hatte der Kleine – offenbar mit Hilfe seiner Oma – jugendfreie Filmchen online gestellt, auf denen er beim „Geisterjagen“ zu sehen war.


Als das Videoportal dahinter kam, dass der Nachwuchs-Filmemacher noch nicht das Youtube-Mindestalter von 13 Jahren erreicht hatte, fand Lukes Karriere ein jähes Ende. Ein Sturm der Entrüstung folgte. lukeywes1234 wurde umgehend zum „Gott“ und „Retter der freien Welt“ erklärt. Als Speerspitze dieser Bewegung trat die obskure Webseite 4chan.org hervor, nach eigenen Angaben die weltweit größte Tauschbörse von Bildern zu Themen wie Waffen und „Sexy Beautiful Women“. In einem Aufruf forderte der 4chan-Betreiber, sich mit lukeywes1234 zu solidarisieren. Der 6. Januar wurde zum „Pornday“ erklärt. Auf Youtube sollten tausende als harmlose Tiervideos deklarierte Pornofilmchen hochgeladen werden. Die Flut heikler Clips, so der Plan, sollte die Youtube-Aufpasser verzweifeln lassen. Wie viele Nutzer dem Aufruf aber wirklich nachkamen, ist nicht bekannt.

Parallel dazu wurden Frauen in einer Kettennachricht auf Facebook aufgefordert, die Farbe ihrer Büstenhalter bekanntzugeben. Der Schöpfer dieser Rundmail blieb jedoch anonym. Trotzdem folgten viele der Aufforderung, wie sueddeutsche.de berichtete, um damit das Thema Brustkrebs ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Den jährlich 57.000 an Brustkrebs erkrankten Frauen ist allerdings mit dieser Aktion wenig geholfen. Lakonisch erklärte eine Bloggerin dazu auf Newsweek.com, dass Heilungsmethoden doch dringlicher als sinnfreie Solidariätsbekundungen wären.

Was haben all diese Fälle gemeinsam? Ging es hier um Moral und ethisches Verhalten im Netz? Oder um geschicktes Eigenmarketing? Fakt ist: Die Skandälchen um gelöschte Clips, BH-Farben oder Autowerbung per Suizidvideo haben Audi, 4Chan und der Unterwäsche-Industrie mehr Aufmerksamkeit gebracht, als so manches kostspielige Werbekonzept. Der gemeine User sollte sich besser nicht einem Protest anschließen, dessen Initiatoren und Interessen unbekannt sind. Sonst könnte er schnell vom Nutzer zum Benutzten werden.

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