Brechts Maîtresse

Klischee Der Roman, der 2003 den Prix Goncourt bekommen hat, ist kein Höhepunkt deutsch-französischer Kulturbeziehungen

Beim seinem letzten Staatsbesuch in Berlin hatte Jacques Chirac zusammen mit Bundeskanzler Schröder feierlich gelobt, für die Intensivierung der kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland zu sorgen. Künftig solle in beiden Ländern die gegenseitige Kenntnis der Sprachen und Kulturen so gefördert werden, dass dabei mehr als die Bewunderung für Essen, Mode und Liebe aus Frankreich sowie für Würste und Autos aus Deutschland herauskomme. Wer allerdings meint, dass der deutsche Michel im interkulturellen Wechselspiel bislang noch schwächer dastand als Marianne, wird eines Besseren belehrt, wenn er sich das Buch anschaut, das den Prix Goncourt 2003 erhielt, die höchste literarische Auszeichnung, die unser Nachbar seit genau 100 Jahren zu vergeben hat. Brechts Mätresse heißt das Werk, dessen Autor, Jacques-Pierre Amette, zuerst an einen Scherz glaubte, als er von der Ehrung in Kenntnis gesetzt wurde. Ihm liegen großartige Prätentionen eigentlich fern. Nicht mehr hatte er vorgehabt, als mit flotter Hand ein Thema abzuhandeln, das leicht ein größeres Publikum erreicht. Brechts Liebesleben ist in Frankreich marktfähig und sogar recyclebar, seit der Schweiz-Amerikaner John Fuegi mit seinen phantasievollen Ausschmückungen Brecht hier Erfolg hatte. Amettes Roman variiert Fuegi insofern, als er Brecht am Ende seines Lebens zwar noch als äußerst lüstern, aber quasi impotent darstellt: Er muss seine Männlichkeit immer öfter durch den Stiel einer Haarbürste ersetzen. Das Objekt seiner senilen Lüste, so fabuliert der Roman, ist die junge österreichische Schauspielerin Maria Eich. Sie soll für die im Auftrag des KGB handelnde Staatssicherheit ausspionieren, ob Brechts Kommunismus ehrlich gemeint ist. Sie lässt sich erpressen, weil ihr Vater und ihr Gatte Faschisten waren und ihr Kind in Westberlin teure Medikamente benötigt. Zwar ist ihr Gefühl, dass dem Sozialismus die Zukunft gehören könnte, nur vage. Da sie jedoch nicht in einem amerikanischen Kabarett im Westsektor arbeiten will, sondern die vom Stasioffizier Trow versprochene Karriere an einem Ostberliner Theater vorzieht, lässt sie sich auf die Spitzeldienste ein, wenn auch unter zunehmendem Leidensdruck. Brecht ist nur auf der Bühne großzügig, im Bett eine einzige Qual. Mit seiner ganzen "Bande" muss sie ihn sogar in den Sommerurlaub nach Ahrenshoop begleiten, ihr Kind kann sie monatelang nicht sehen. Soweit der Roman. Obwohl Amette die fiktive Maria Eich ausdrücklich als Österreicherin agieren lässt, wurde sie von der französischen Literaturkritik als Symbol des geschunden Ostdeutschland gedeutet. Wer meint, irgendwo doch noch etwas über Brechts Kunst zu erfahren, läuft in eine Falle. Hätte das Buch nicht den Prix Goncourt erhalten, bräuchten auch wir uns über all das keine Gedanken zu machen. Es ist eigentlich der Mühe nicht wert, mit der wirklichen Biographie des Frauenlieblings konfrontiert zu werden, der auch am Ende nie mit un- oder nur halbwilligen Damen das Bett teilte. Man muss nicht einmal die veröffentlichten FBI-Akten, sondern nur die seit fünf Jahren vorliegende Brecht-Chronik Werner Hechts konsultieren, um festzustellen, dass der KGB sich diese Art Ausspionierung Brechts insofern sparen konnte, als er mit ihm in Kalifornien in direkter Verbindung gestanden hatte. Tatsächlich ist ihm das Berliner Ensemble schon damals vom damaligen sowjetischen Konsul in Los Angeles zugesagt worden, der, wie das FBI zu Recht mutmaßte, auch KGB-Aufgaben wahrnahm. Grigori Kheifez wusste damals schon genau, dass Brechts Kommunismus zwar etwas abweichend, aber durchaus echt war. Die Angriffe, denen er in der DDR dann ausgesetzt war, liefen öffentlich über die Presse, nicht über die Geheimdienste. Man könnte auch mit anderen historischen Fakten großzügig sein, wenn es sich um ein Sujet handelte, das vor einigen hundert Jahren spielt. Leider aber leben noch genug Menschen, die genau wissen, dass die Situation der Künstler vor dem Mauerbau nicht mit der danach verglichen werden kann. Bis 1961 durfte ein Teil der in Ostberlin arbeitenden Künstler - wie zum Beispiel Erich Engel - mit ihrer Familie ganz offiziell in Westberlin leben. Und bis 1989 bekamen in Ostberlin engagierte Westkünstler auch einen Teil ihres Gehalts in Westgeld ausgezahlt. Natürlich kann sich heute kaum noch jemand vorstellen, dass dem Osten die Kultur so viel wert war. Wir sehen, dass es im Literaturbetrieb Frankreichs zur Zeit nicht seriöser zugeht als in deutschen Landen. Alles und jedes kann irgendwie verwurstet werden und sich mit der Aura eines historischen Romans schmücken. Obwohl ich nur recht platte Dialoge wahrgenommen habe, befand die französische Presse, dass Brechts Mätresse deutlich mehr literarische Qualitäten habe als die Werke, die den Goncourt in den vergangenen Jahren erhielten. Das Buch weise nicht solch peinliche Deutschland-Klischees und Rechtschreibefehler auf wie Jean-Jacques Schuhls Ingrid Caven (Goncourt 2000). Leider scheint aber die germanistische Kompetenz der französischen Literaturkritik noch mehr auf den Hund gekommen zu sein als die Literatur selbst: Denn noch nicht einmal dies kann bestätigt werden. Dass der Stasi-Mann aus "Mecklembourg" stammt, mag nach französischer Orthografie gerechtfertigt sein. Aber dass der Film, an dem Brecht 1931 mitgearbeitet hatte, "Kuhle Waupe" hieß und eine Zeitung namens "Taglische Rundschau" existiert? Die Pisa-geschockten Deutschen dürften solche Orthographie vor allem dem Nachbarn nicht durchgehen lassen, der selbst auf diesem Gebiet mit Ausländern keine Nachsicht kennt. Nicht weniger problematisch steht es mit anderen Fakten: Dass "Dr. Müllereie" Brechts letzte EKGs im Regierungskrankenhaus gemacht haben soll, ist eine doppelte Peinlichkeit: gemeint ist wohl Brechts Jugendfreund Müllereisert, der dem Todkranken zwar beistand, dafür aber aus dem Westen anreisen musste. Anna Seghers war nach Amette nicht im mexikanischen, sondern im USA-Exil und vergnügte sich mit Brecht und Chaplin auf wüsten Hollywood-Partys. Frankreichs Begeisterung für fiktiven Ekel-Sex Brechts ist im Kontext mit den Schmähungen zu sehen, denen das libertäre Liebesleben von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir seit etlichen Jahren ausgesetzt war. Weil Brecht, der weder die Amerikaner noch die Deutschen für tolerant genug ansah und sein - im Vergleich mit vielen heutigen Pop-Stars eher bescheidenes - Liebesleben möglichst diskret absolvierte, wissen wir im Grunde gerade über die trivialen Aspekte kaum Genaues. Beauvoir und Sartre, die auf einer großen Welle hegemonialen fortschrittlichen Denkens in ganz Frankreich segelten, hatten ihre Erfahrungen samt ihren dunklen Seiten viel klarer literarisch publik gemacht. Im Zuge eines auch Frankreich erfassenden neokonservativen roll-backs wird indes auch dieser Meilenstein der menschlichen Emanzipation immer öfter als abartig dargestellt. In Wirklichkeit soll so der Zugang zum eigentlichen Denken dieser beiden Titanen der modernen Aufklärung versperrt werden. Nur weil dies, wie auch in Sachen Brecht, nie ganz gelingt, besteht Hoffnung, dass Deutsche und Franzosen, wenn sie denn wollen, doch in echten Kulturaustausch treten können.

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