Auf das Debakel der PDS bei den Bundestagswahlen folgte das Debakel der sogenannten Wachbuch-Affäre(*), die in anderen Parteien auch hätte vorkommen können, aber wohl als Posse betrachtet und sogleich ad acta gelegt worden wäre. In der PDS selbst und in der öffentlichen Wahrnehmung geht es hier aber um die Frage, dass diejenigen, die angeblich "überwachen" wollten, Stalinisten seien, und diejenigen, die angeblich "überwacht" werden sollten, zu denen gehören, die in der bundesdeutschen Demokratie angekommen seien. Daran ist soviel richtig, dass Letztere seit längerem schon in Medien und Talkshows gelitten sind, weil ihnen ein gewisser Unterhaltungswert zuerkannt wird, der sich im Rahmen dessen bewegt, was hier und heute als political correctness gilt. Die ersteren dagegen bekamen schon vor der Wachbuch-Affäre kaum Zugang zur Öffentlichkeit, und wenn, dann nur, um ihnen immer wieder das Etikett "Stalinisten" anzuhängen. Nun waren es aber die sogenannten "Stalinisten", denen bei den Neuwahlen zu den Führungsgremien auf dem Geraer Parteitag ein größeres Gewicht als bisher eingeräumt wurde. Was dank Gera zum Tragen kommen sollte, verhindert nun besagte Affäre. Ob sie eigens dazu geschaffen wurde, sei dahingestellt.
Jedenfalls wird sie von Gregor Gysi, André Brie oder dem Spiegel und Bild, die ihnen aufs Wort glauben, in diesem Sinne effizient instrumentalisiert. Im Neuen Deutschland brachte es Gysi fertig, Diether Dehms mutmaßliche Kontrollanweisungen im Liebknecht-Haus und seine Forderung nach Vergesellschaftung der Deutschen Bank gleichermaßen als Stalinismus abzustempeln. Mich erinnert eher dieses unsägliche Herumbeißen in den eigenen Reihen und das Ausliefern von Genossen an die scharf gewetzten Messer bestimmter Medien an Methoden des Stalinismus.
Wer wie Wolfgang Ullmann fragt, ob die PDS endlich definiert, was im 21. Jahrhundert "demokratischer Sozialismus" heißen könnte, muss abwarten, ob der hinter der Wachbuch-Affäre steckende Richtungsstreit doch noch öffentlich ausgetragen und die Partei damit aus der Spirale des "trial and error", in der sie seit 1989 steckt, herausgeführt werden kann. Welche Erwartungen sind nun aber im heutigen Deutschland an eine Partei zu stellen, die sich links von SPD und Grünen positionieren will?
Zunächst einmal wäre festzuhalten, dass es die PDS - in diesem Punkt vergleichbar mit CSU und FDP - nicht vermocht hat, sich als gesamtdeutsche Partei darzustellen und als solche wählbar zu sein. Bürgerliche Parteien brauchen dafür bekanntlich Galionsfiguren. Für die SPD im Osten übernahm neben Regine Hildebrandt und Manfred Stolpe vor allem Wolfgang Thierse diese Rolle. Und in der CDU nahm Angela Merkel eine ähnliche Funktion ein: Dass sich die Frau, die den Sturz ihres Gönners Kohl einleitete, eine "Machtposition" erobern konnte, stellt - so ungern das viele hören - den bedeutendsten Sieg dar, den der Osten seit 1989 im geeinten Land errang.
Umgekehrt hätte es bei der PDS zum Aufbau westlicher Galionsfiguren kommen müssen, doch wurde und wird eifersüchtig darauf geachtet, dass Ostkompetenz nur von Ostdeutschen präsentiert wird. Dass in der Partei auch Westkompetenz zum Tragen kommen müsste, wenn sie sich denn doch noch einmal auf ganz Deutschland ausdehnen wollte, wird kaum thematisiert. Gleiches gilt für die leidvolle Geschichte der westdeutschen Linken, der sogar manchmal vorgeworfen wird, eigentlich gar nicht existiert zu haben, weil sie von der DDR alimentiert worden sei. Dass diese westdeutsche Linke immerhin so gefährlich gewesen sein muss, dass ein SPD-Kanzler gegen sie bis jetzt nachwirkende Berufsverbote verhängt hat, war der PDS bis heute mehr oder weniger egal. Man findet es auch normal, dass PDS und DKP mancherorts als Konkurrenten bei Wahlen auftreten. Ein nicht unbedeutender Teil der Führung empfand Kontakt mit Westlinken als ausgesprochen unangenehm, eine Ausnahme ist Sahra Wagenknecht.
Überleben und Prosperieren einer Linkspartei im politischen Spektrum der Bundesrepublik wird nur möglich sein, wenn sie endlich lernt, nicht um jeden Preis "Einheit" nach außen zu signalisieren, sondern im Gegenteil, eine möglichst große Skala von Persönlichkeiten vorzuweisen - wie sie etwa die CDU zwischen Süßmuth und Stoiber anbietet. Zweifellos sollte eine Linkspartei auch Persönlichkeiten haben, die in Talkrunden brillieren. Aber sie darf sich nicht ernsthaft einbilden, damit in der bürgerlichen Demokratie wirklich angenommen zu sein oder dadurch dauerhaft Wähler zu binden. Sie sollte neben Galionsfiguren Politiker herzeigen können, denen man glaubt, dass sie konsequenter als andere Erwartungen ernst nehmen, die Wähler in sie gesetzt haben. Genau an dieser Stelle fühlen sich viele ehemalige PDS-Wähler im Osten gegenwärtig verschaukelt. Vieles, was in der PDS passiert oder auch nicht passiert, vollzieht sich im Hinblick auf ihren Apparat von Berufspolitikern und nicht mit Blick auf die Menschen, die mit bestimmten Hoffnungen PDS gewählt haben.
Wie sehr die PDS bereits eine in diesem Sinne funktionierende Apparatepartei ist, zeigt sich in ihrem Nicht-Verhältnis zu sozialen Bewegungen. Sowohl die Friedens- als auch die Anti-Atombewegung haben sich regelrecht an der Partei vorbei entwickelt. Bei den Aktivisten von Attac, von denen im Ernstfall viele dann doch die Grünen wählen, hat sich ein Ausmaß von kritischer Spannung gegenüber dieser Partei herausgebildet, von dem eine Linkspartei wie die PDS nur träumen kann. Auch hier zeigt sich, dass die Stärke einer Partei heute keineswegs in der "Einheit" liegt, sondern in der Vielfalt eines möglichst großen Spektrums zwischen Fundamentalisten und Realos. Und man müsste blind oder böswillig sein, um zu ignorieren, dass der Druck der Fundamentalisten in Friedens- und Atomfragen nicht doch etwas gebracht hat - für das ganze Land.
Wird die Wachbuch-Affäre nicht beigelegt, droht statutengemäß ein neuer Parteitag. Es gibt wenig Anlass zum Zweifel, dass dieser die Beschlüsse von Gera bestätigt, freilich um den Preis endgültiger Lächerlichkeit. Besser wäre (sollte es auch nur eine neue Stufe des schwierigen "trial and error"-Prozesses sein), endlich die Geraer Entscheidungen durchzusetzen. Das würde bedeuten, dass die Partei nach "links" ginge und unter deutlich größeren Einfluss von Leuten käme, die im Westen sozialisiert wurden und daher auch längere Kampferfahrungen mit dem "System" haben, wie es nun einmal ist. Das wäre der Beginn des Wandels von einer ostdeutschen Milieupartei zu einer gesamtdeutschen Partei. Der Vorstand muss sich entscheiden, ob er dem Druck des Apparates oder der Parteibasis folgt. Es wäre gut, er ließe sich nicht durch die Medien einschüchtern. Die "Neuen" werden bis hin zur taz beschimpft oder ausgegrenzt bleiben, allein deshalb, weil man - nicht ohne Grund - Angst vor ihnen hat, handelt es sich doch um Leute, die man aus scharfen Auseinandersetzungen in der alten Bundesrepublik kennt und die im allgemeinen historisch und theoretisch geschulter sind als die meisten, die bislang die PDS geführt haben. Es ist ein eigenartiges westliches Vorurteil, zu glauben, dass marxistische Kenntnisse über den dialektischen Materialismus hinaus zum Normalgepäck des gebildeten DDR-Bürgers zählten. Sie zählten noch nicht einmal zum Normalgepäck der meisten Funktionäre.
Wer nicht im Parlament, nicht in den Medien ist, muss auf die Straße. Nur, wenn die PDS selbst zur Bewegungspartei wird, kann sie überleben. Wenn nicht, wird eine neue Linkspartei nur als Bewegungspartei entstehen können. Warum nicht als Wahlallianz aller linken Gruppierungen, die das Desaster von 1989 überlebt haben? Außer bei Wahlen kann jeder seinem Gusto entsprechend agieren, allein oder mit anderen. Vielleicht bleibt dies dann der einzige, auch ehrlichste Weg, auf dem eine neue Linke sich formieren kann.
(*) Parteivize Diether Dehm wird vorgeworfen, unmittelbar nach dem Geraer Parteitag der PDS dem Wachschutz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus die Weisung gegeben zu haben, den ehemaligen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch beim Verlassen des Hauses zu kontrollieren. Er streitet dies ab.
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