Der ewige Joker

Heraushalten Wie Brechts Lieblingsschauspieler Peter Lorre um seine Berufung kämpfte

Heute ist Peter Lorre vor allem noch als Darsteller unvergesslicher Nebenrollen in legendären Hollywood-Filmen bekannt, wie des Ugarte in Casablanca. Wenige kennen ihn noch von der ihn berühmt machenden Darstellung des Hans Beckert in Fritz Langs Film M. - Eine Stadt sucht einen Mörder von 1931. Entgegen der Grundaussage dieses Films, dass jedes Menschenleben - sogar das eines Mörders - von der Gesellschaft verteidigt werden müsse, identifizierten die Nazis den Sexualverbrecher und Kindsmörder Beckert mit dem ihn darstellenden Juden. In die Filme Juden ohne Maske und Der ewige Jude wurden Sequenzen aus M. eingeblendet und Lorres Gesicht für die Vernichtungsstrategie missbraucht.

Der Schauspieler selbst konnte den Nazis entkommen. Während der Zwischenstation London spielte er in Alfred Hitchcocks Der Mann, der zuviel wußte mit beißendem Humor einen Anarchisten. Dann ging er nach Hollywood, wo er zu den wenigen Exilanten gehörte, die sich über mangelnde Angebote nicht beklagen mussten. Freilich konnte er dem Klischee seiner Beckert-Darstellung nicht mehr entrinnen. Ein ausgezeichneter Bild- und Analyseband über diesen großen Schaupieler zeichnet auch das Leiden Lorres darüber nach.

Seine beste Empfehlung, so er selbst, sei es gewesen, "daß ich nicht wie ein Schauspieler aussehe". Tatsächlich konnte der untersetzte, eigentlich hässliche, zur Korpulenz neigende Mann aber durchaus dünn wirken und sogar zart und schön wie ein unschuldiges junges Mädchen. Elfriede Jelinek schreibt, dass noch nicht einmal sein Alter feststellbar war: im selben Film wirkt er einmal wie zehn, dann wie hundert Jahre. Wenn er ironisch oder komisch war, ließ er noch weitere, hintergründige Bedeutungen ahnen.

Gerd Gemünden legt dar, dass Lorre in einer Art antithetischer Fesselung in Hollywood auch der Jude blieb. Es war zwar ungeschriebenes Gesetz, jüdische Identität nicht auf der Leinwand zu thematisieren. Viele seiner Rollen lassen sich aber mit den gleichen Adjektiven beschreiben, mit denen die Nazis das Jüdische kennzeichneten: wurzellos, widernatürlich, grotesk, pervers, pathologisch. Die ideologische Funktion solcher Charakterrollen war etwas verschoben. Sie verwies allgemein auf das Andere, Fremde. Lorre spielte viele Ausländer, Einwanderer, die exotisch, bizarr und widernatürlich zu sein hatten, damit sich der Zuschauer hundertprozentig amerikanisch fühlte. Nur seiner großen Kunst war es zu verdanken, dass man in diesen Figuren die Widersprüchlichkeit des Assimilationsversprechens erkennen konnte. Als ewiger Bösewicht spielte er in The Cross of Lorraine sogar einen Gestapo-Offizier.

Der eigentlich als Lászlo Löwenstein in Mähren geborene Lorre, der aus einer Bankkaufmannslehre aussteigt und in Jakob Morenos Stegreifspielen erste Erfahrungen sammelte, hatte auf österreichischen, schweizerischen und deutschen Bühnen rasch Erfolg. 1929 beschrieb der Kritiker Sacher-Masoch Lorres Rollenaufbau als einen komplizierten Prozess, in dem "aus kleinen, scheinbar nebensächlichen Gesten und Betonungen" schließlich "wuchtige Wirkung" entstand. Durch einen nicht naturalistischen Sprachrhythmus breche Lorre die "Einfühlung". Hier ist der Einfluss Brechts sichtbar, unter dessen Regie er damals den Fabian in Marie Luise Fleißers Pioniere in Ingolstadt spielte, den Nakamura in Elisabeth Hauptmanns Happy End und schließlich 1932 in Mann ist Mann den Galy Gay. Aus den damaligen Charakterisierungen Brechts, die fast wörtlich mit denen übereinstimmen, mit denen er Helene Weigel beschrieb, ist zu sehen, dass beide damals parallele Entwicklungen zum epischen Spiel vollzogen. Beide verwandten ähnliche kunstvolle Formen scheinbar monotonen Sprechens, das auch extrem leise und langsam sein konnte. Wie die Weigel versuchte Lorre, dem Zuschauer die Widersprüche der Figur nicht durch Identifizierungsangebote nahe zu bringen, sondern im Gegenteil, ihn "daraus zu halten". Es müsse Lorre, so schrieb Brecht 1932, "als besondere Kühnheit angerechnet werden, daß er hier einer Wirkung wegen, die er doch nur bei ganz wenigen (Zuschauern) erreichen konnte, eine allgemeine und sehr leicht zu erreichende aufgab." Diese Technik hatte als Coolness auch in Hollywood Erfolg.

Hier trafen sich die beiden wieder. Nicht nur Schweyk im zweiten Weltkrieg, sondern mindestens sechs der Filmentwürfe, die Brecht mit Ruth Berlau damals in der Hoffnung verfasste, in der Filmbranche Geld zu verdienen, enthalten eine sorgfältig auf Lorre zugeschnittene Hauptrolle. Im Nachlass von Ruth Berlau konnte ich kürzlich noch eine weitere Synopse als für Lorre geschrieben identifizieren. Es handelt sich um das furiose Script Das Gras sollte nicht wachsen, ein stark an Hitchcock erinnernder Psychothriller. Auch hier wird Lorres Rollenklischee nach typisch Brechtscher Manier aufgebrochen: keiner ist à priori gut oder böse, jeder kann es aber werden. Ein wohl hauptsächlich von Ruth Berlau verfasstes Filmskript School of Charme enthält zwar keine Rolle für Lorre, ist mit dem Thema der Gesichtsmaske aber durch dessen The Man Behind The Mask von 1941 inspiriert. Bei Berlau finden sich Materialien zu einem weiteren Skript Safety first, wo es noch einmal darum geht, dass ein zerstörtes Gesicht ein Leben zerstören kann.

Da Brecht seinen Hang zu beißender Kapitalismuskritik nicht zurückschrauben konnte, wurde keine der Synopsen in den Studios zur Weiterentwicklung akzeptiert. Lorre, der aktiv mitwirkte, zahlte selbst für die Arbeit, die auch er als Zukunftsinvestition verstand. Wahrscheinlich half Brecht ihm auch bei der Einstudierung seiner Filmrollen, begleitete ihn als Ratgeber in die Studios wie er es auch für Charles Laughton tat, wenn diesem die Drehbuchversion nicht stimmig erschien. Wie aus Briefen ersichtlich, reichte Brecht Lorres Schecks direkt an Berlau weiter.

Sowohl Lorres wachsende Drogenabhängigkeit als auch der Alkoholismus und die Depressivität Ruth Berlaus erklärte sich Brecht aus den Zwängen des Exils. Sie verursachten nicht nur Existenzängste, sondern knebelten bei vielen Künstlern auch die Kreativität. In einem Gedicht für Lorre beschreibt er, wie der "geliebteste" seiner Freunde im "Sumpf" versinke. Das gemeinsame Spinnen von Filmideen verstand er auch als Therapie für zwei ihm nahe stehende Menschen. Und so war es kein Zufall, dass Lorre und Berlau auch vom selben Psychiater behandelt wurden, ein Dr. Gruenthal in New York. Wegen Lorre, der auch Gruenthals Rechnung für Berlau beglich, schrieb Brecht 1947 an diesen, dass er den "großen Schauspieler" für das ihm in Berlin bereits versprochene Theater unbedingt benötige und dafür bereits "ein ganz bestimmter Stil" ausgearbeitet sei. Lorre habe seine beste Zeit als Schauspieler und Regisseur noch vor sich. Seine jetzige Lage sei entwürdigend, weil er "auf die Anwendung und Vervollkommnung seiner großen Talente" verzichten müsse.

Es kam anders. Obwohl Lorre als Mitglied des "Council for a Democratic Germany" als angeblich Stalin unterstützender Künstler vom FBI überwacht worden war, hatte er keine Kraft mehr, sich den Osten zuzumuten. Selbst die von Brecht vorgeschlagene Rolle des Hamlet am Berliner Ensemble lockte ihn nicht. Er produzierte selbst in Hamburg einen fast unbekannt gebliebenen, laut Insider-Auskunft aber beeindruckenden antifaschistischen Film mit dem Titel Der Verlorene. Der Film kam in keinen richtigen Verleih und provozierte einen erneuten Bankrott Lorres. Da ihm in Westeuropa keine Angebote mehr gemacht wurden, blieb ihm nur, nach Hollywood zurückzukehren.

Michael Omasta, Brigitte Mayr, Elisabeth Streit (Hrsg): Peter Lorre - Ein Fremder im Paradies. Beiträge u.a. v. Ilse Aischinger, Elfriede Jelinek, Zsolnay, München, Wien 2004, 250 S., 19,90 EUR


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