Der Islam – eine Zwiebel

Faschismus? Zweifellos ist der Vormarsch des Islamismus erschreckend. Aber Hamed Abdel-Samad schüttet das Kind mit dem Bade aus
Ausgabe 14/2014

Man könne sich die islamische Welt als eine aus mehreren Schichten bestehende „Diktatur-Zwiebel“ vorstellen, regt der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad in seinem neuen Buch Der islamische Faschismus. Eine Analyse an: „Es gibt die Klan-Diktatur, repräsentiert von den Familien Mubarak, Gaddafi, Hussein, Bin Ali oder Assad. Als nächste Schicht kommt die Militätrdiktatur. Es folgt die religiöse Diktatur, die die Bildung und Erziehung bestimmt. Die letzte Schicht ist die soziale Diktatur, die mit ihren archaischen Rollenvorstellungen das Leben innerhalb der Familie prägt.“ Sobald die demonstrierende Jugend eine dieser Schichten beseitige, so Abdel- Samad, stoße sie sofort auf die nächste und als Kern würde die Religion übrig bleiben. Falls es gelänge, auch deren Herrschaft zu brechen, käme zum Vorschein, „dass es hinter all diesen Schichten nichts gibt, das es zu bewahren gilt“.

Mit populären Büchern zum „Problem Islam“ und durch die mit Henryk Broder gestaltete Fernsehserie Entweder Broder ist Abdel-Samad bekannt geworden. Aufsehen erregte im letzten November auch seine Entführung in Ägypten, hinter der, fälschlicherweise, ein islamistisches Attentat vermutet werden musste. Grund: Abdel-Samad hatte in Kairo einen Vortrag zum Thema ,Religiöser Faschismus‘ gehalten. Nun legt er ein Buch vor, das auf diesem Vortrag beruht. Hier arbeitet er nicht nur die totalitären Gemeinsamkeiten heraus, die ein Teil der fundamentalistisch-islamistischen Bewegungen – wozu er auch die Muslimbrüder seiner Heimat zählt – mit dem Nationalsozialismus teilt, sondern auch die historischen Beziehungen, die es ja tatsächlich gegeben hat. Aber welchen aktuellen analytischen Wert hat eine solche Auflistung? War nicht – zum Beispiel – auch Churchill ein Bewunderer Mussolinis und Hitlers, bis er begriff, dass letzterer es mit dem Krieg gegen England ernst meinte?

Faschistoides Gedankengut habe den Islam seit seiner Entstehung beherrscht, will uns Abdel-Samad belehren, weil er die religiöse Vielfalt auf der arabischen Halbinsel beendete, absoluten Gehorsam verlange, keine abweichenden Meinungen dulde, nach der Weltherrschaft strebe. Weil diese Kennzeichen des Islam dominanter als andere Aspekte seien, könne man von „Islamofaschismus“ sprechen.

Dass der frühe Islam die religiöse Vielfalt abschaffte, stimmt nur insofern, als er die Vielgötterei abschaffte. Die beiden neben ihm auf der arabischen Halbinsel existierenden monotheistischen Religionen der Juden und der Christen wollte Mohammed zunächst „wiedervereinigen“. Als das nicht gelang, gründete er eine dritte monotheistische Religion, sicherte den anderen beiden aber ein offizielles Existenzrecht im islamischen Staat zu, was seine Heiratspolitik öffentlich demonstrierte: Unter seinen Frauen gab es eine Jüdin und eine Christin, die auch nach der Eheschließung ihre Religion behielten. Obwohl ihre jüdischen und christlichen Gemeinden mehr Steuern zahlen mussten als Muslime, waren islamische Staatsgebilde ein Jahrtausend lang damit fortschrittlicher als christliche. Die Kontinuität christlicher und jüdischer Kultur in islamischen Staaten ist erst seit den aktuellen Kriegen des Westens gegen islamische Länder gefährdet. Die im Koran verherrlichte blutige Abrechnung Mohammeds mit den Juden von Medina, die ihm nicht folgen wollten, entsprang nicht originärem Antijudaismus. Man darf sie getrost neben Samuel 1.18, 25–29 stellen, wo nachzulesen ist, dass sich Juden in der Epoche der Frühstaatlichkeit ihren Feinden gegenüber nicht anders verhielten: Um Schwiegersohn von König Saul zu werden, musste David ihm hundert Vorhäute getöteter Philister vorlegen. Er übererfüllte das Soll und brachte 200. Da es sich verbietet, daraus einen Automatismus zum Verhalten des heutigen jüdischen Staates abzuleiten, verbietet sich auch eine automatische Parallele von dieser Facette islamischer Geschichte zum heutigen Islam. Abdel-Samad hat recht, vor der Banalisierung islamistischer Gefahren und insbesondere vor der Stilisierung der Muslimbrüder zu Demokraten zu warnen. Er versagt sich aber jeden Hinweis darauf, dass der erschreckend gestiegene Einfluss von Islamisten oft auf Finanzierungen beruht, deren Hintergrund das Zusammenwirken des Westens mit der fundamentalistischen Großmacht Saudi-Arabien oder dem Protz-Emirat Katar ist.

Kann man das Buch politisch klug nennen oder steht es nicht vielmehr in der Tradition der Zündelei, die mit den Mohammed-Karrikaturen von Kurt Westergaard begann? Natürlich kann man der Auffassung sein: Solche „Provokationen“, die bei uns unter die Meinungsfreiheit fallen, müssen die Muslime ertragen lernen. Leider fühlen sich davon nicht nur faschistoide Anführer der islamistischen Bewegungen provoziert. Vielen in westlichen Gesellschaften lebenden Muslimen ist das Lachen vergangen – angesichts unserer in islamischen Ländern geführten Kriege, denen ja nicht nur Extremisten zum Opfer fallen.

Der islamische Faschismus. Eine Analyse Hamed Abdel-Samad Droemer 2014, 224 S., 18,00 €

Sabine Kebir ist Literaturwissenschaftlerin und Algerien-Spezialistin

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