Erdmut Wizisla, Direktor des Brecht-Archivs, hat durch die Verknüpfung von Materialien aus dem Nachlass Benjamins und unbekannter Dokumente aus dem Nachlass Brechts mit seinem Buch Benjamin und Brecht ein neues Bild der Beziehung erstellt. Ausgangspunkt ist eine kritische Sicht auf den editorischen Umgang Adornos und des Instituts für Sozialforschung mit Benjamins Nachlass. Dessen marxistische Seite und die Beziehung zu Brecht wurde durch parteiische Kommentare verdunkelt. Sie war stets als Ärgernis empfunden worden.
Als Gretel Adorno erfuhr, dass Benjamin den Sommer 1934 bei Brecht in Dänemark verbringen und womöglich ganz übersiedeln wollte, äußerte sie Sorge, er begäbe sich in intellektuelle Abhängigkeit. Siegfried Kracauer gab Ernst Bloch gegenüber denselben Befürchtungen noch drastischeren Ausdruck: "Er ist nach Dänemark abgereist zu seinem Gott, und Hamlet hätte die Gelegenheit, manche Bemerkungen über die beiden anzubringen." 1965 teilte Kracauer Gershom Scholem mit, dass er schon vor 1933 mit Benjamin "über seine sklavisch-masochistische Haltung Brecht gegenüber" gestritten hätte. Dass die Beziehung vielleicht Unbequemes, aber Wertvolles hervorgebracht habe, meinte jedoch Hannah Arendt: "Die Freundschaft Benjamin-Brecht ist einzigartig, weil in ihr der größte lebende deutsche Dichter mit dem bedeutendsten Kritiker der Zeit zusammentraf." Es sei "seltsam und traurig, dass die Einzigartigkeit dieser Begegnung den alten Freunden niemals ... eingeleuchtet hat."
Das erste, 1924 durch die lettische Regisseurin Asja Lacis arrangierte Treffen blieb folgenlos. Die beiden begegneten sich in verschiedenen Zirkeln, zum Beispiel in der "Philosophischen Gruppe", wo unter anderem auch Scholem, Döblin, Korsch, Musil und Arthur Rosenberg verkehrten, sowie Bloch, Adorno, Kracauer, Suhrkamp und Kurt Weill. Benjamin publizierte 1929 erste Arbeiten über Brechts Lyrik:"Ein Mann wie Brecht kann das Massivste anheben, wir werden immer unsere Freude daran haben, wie zart er es niederlegt." Die "Aufgabe jeder politischen Lyrik" schrieb er 1930, sei "heute am strengsten in den Gedichten von Brecht" erfüllt.
Dieser erkannte in ihm seinen intelligentesten Kritiker. Nun bezog er ihn in sein literarisches Produktionsteam ein. Vor allem aber wurde Benjamin sein privilegierter Partner bei der Diskussion der ihm so wichtigen Theorie der künstlerischen Produktion. Benjamins Empfänglichkeit rührte aus seiner ökonomischen und intellektuellen Isolierung, die ihn sensibel machte gegen die zunehmenden Einschränkungen, mit denen Künstler und Intellektelle am Ende der Weimarer Republik konfrontiert waren. Die materiellen und strukturellen Voraussetzungen von Brechts Idee des "eingreifenden Denkens" machte er zur eigenen Arbeitsaufgabe. Dass dabei seine früheren Interessen wie Surrealismus, Kafka, Paul Klee in den Hintergrund zu treten schienen, provozierte die Sorge der alten Freunde.
Wizisla kann zeigen, dass Benjamin seine vielschichtigen Analyseinstrumente keineswegs aufgab. Übereinstimmungen mit Brecht bildeten sich erst in einem Verfahren heraus, in dem sich beide oft als Widerpart gegenüberstanden. Dieser Prozess setzte zwischen Herbst 1930 und dem Frühjahr 1931 mit intensiven Diskussionen zum bislang kaum beachteten gemeinsamen Plan der Zeitschrift Krise und Kritik ein. Herausgeber sollte Herbert Ihering sein, von Brecht und Benjamin stammte die Konzeption. Sie standen unter dem Eindruck des Wahlerfolgs der Nazis in Thüringen 1929. Er hatte zu Gesetzesänderungen und Verboten geführt, die sie als Zukunftswarnung deuteten. Benjamin hielt einen Bürgerkrieg für unausweichlich, der der "Machtergreifung des Proletariats" vorausginge. Brecht bezweifelte das. Einig war man sich, dass es in der Zeitschrift um die Rolle gehen solle, die die Intellektuellen in kommenden Auseinandersetzungen zu spielen hätten. Der Herausgeberkreis und die potenziellen Mitarbeiter waren beunruhigt vom Verfall des kritischen Bewusstseins, das in der sich zuspitzenden Krise zu einem Sammelsurium von Geschmacksurteilen zu verkommen schien.
Bloch zeigte sich erschüttert vom raschen moralischen Zusammenbruch der deutschen Intelligenz, den sich Benjamin als Folge der Wirtschaftskrise aber durchaus erklären konnte. Brecht meinte: "Wenn Intelligenz nicht auf Änderung hinzielt, verfällt sie ganz ihrem Warencharakter." Intellekt aber, "der für den Klassenkampf nötig ist, ... also zur Aufhebung des ideologischen Marktes, kann nicht als Ware hergestellt werden." Benjamin entgegnete, dass auch unter den gegebenen Umständen nicht jedes "Intelligenzprodukt" Ware und nicht jedes als Ware hergestellte Intelligenzprodukt "für uns" wertlos sei. Die Frage sei nur, wie sie zu "verwerten" wären.
Brecht verstand die Krise als gefahrvollen Umschlagspunkt zu etwas gesellschaftlich Neuem, die Zeitschrift sollte sie deshalb begrüßen und verstärken. Nach einem "Memorandum" Benjamins, sollte ein Organ entstehen, "in dem die bürgerliche Intelligenz sich Rechenschaft von den Forderungen und den Einsichten gibt, die einzig und allein ihr unter den heutigen Umständen eine eingreifende, von Folgen begleitete Produktion im Gegensatz zu der üblichen willkürlichen und folgenlosen gestatten." Von ihren ureigensten Gebieten her sollten Fachleute die Krise in Wissenschaft und Kunst analysieren und in der Vernetzung die Erkenntnis befördern, dass der dialektische Materialismus den Interessen der Intellektuellen entspräche.
Aus den Gesprächsprotokollen ist ersichtlich, wie sich Brecht und Benjamin aneinander rieben und doch aufeinander eingingen. Brecht wollte, dass die Zeitschrift sich zwar in den Klassenkämpfen positionieren, keineswegs aber einen - wie auch immer definierten - Standpunkt des Proletariats einnehmen sollte, sondern immer nur den der Intelligenz. Der Intellektuelle dürfe nicht im Proletariat "untertauchen". Vielmehr solle "Intelligenz in den Klassenkampf" getragen werden. Damit stand Brecht den Positionen des "Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller" diametral entgegen, während Benjamin ihnen näher kam. Er meinte, dass sich die Intellektuellen spätestens "bei der Machtergreifung in die Fabriken" begeben und dort "dienende" und ihnen "zugewiesene Funktionen" erfüllen sollten. Hinter dem linksradikal wirkenden Diskurs Benjamins steckt die Auffassung, dass der Intellektuelle nicht mehr vom Katheder her Ansprüche formulieren, sondern unter der Kontrolle der proletarischen Öffentlichkeit arbeiten werde.
Nach Brecht sollte sich das Denken künftig nicht durch spekulatives "Schweifen", sondern durch "Sammeln und Addition des Denkbaren" entwickeln und sich streng an der Realität messen. Auch der Künstler solle "nichts erfinden, weil er sonst ja doch nur sich selbst immer wieder reproduziere". Benjamin setzte dagegen, dass Marx in der Tradition der religiösen Bewegungen gestanden habe, die bestehende Bilderwelten zerstörten. Diese Rolle käme nun der materialistischen Dialektik zu. Dem von Benjamin offenbar angestrebten Wertekampf widersprach Brecht: Im "Zeitalter der Verwertung" sollten die Wertungen frei gegeben werden, die dem Publikum durch die Rezeption von Texten, die in "juristisch-physikalischer Schreibweise" erstellt seien, dann leicht zufallen würden. Der grob materialistische Standpunkt Brechts traf hier auf einen mehrschichtigen, nicht nur das Ziel, sondern auch die Geschichte umfassenden Rezeptionsbegriff bei Benjamin. Einig waren sie in der Vorstellung, den Kommunismus nicht totalitär zu konzipieren, sondern als etwas "Mittleres" (Brecht), das es erlaubt, den "Lebensalltag" so "locker" aufzubauen, "wie ein gut ausgeschlafener, vernünftiger Mensch seinen Tag antritt." (Benjamin)
Die Mobilisierung der für Krise und Kritik angesprochenen Autoren - darunter Eisler, Weill, Lukács, Korsch, Marcuse, Piscator, Sternberg, Wiesengrund - hielt sich in Grenzen. Kracauer lehnte ab, etwas über die "großen Moden in der Philosophie der letzten zehn Jahre" zu schreiben. Wittfogel sollte über die "Schwierigkeit, marxistische Schriften zu lesen" schreiben und Döblin eine "Verteidigung des Marxismus" liefern. Letzterer sollte auch über die neue sachliche Art des Verfassens von Romanen zu Worte kommen, die in Brechts Augen das "Bild einer Fabrik in Tätigkeit" abzugeben hätte. Gedacht war an die Publikation literarischer Texte, die unfertig zur Diskussion gestellt werden sollten. Mit Benjamin bestand Einigkeit, dass sich die Entwicklung der künstlerischen Technik auf die allgemeinen Entwicklung bezieht, und dass die künstlerische Form keine geschlossenen Weltbilder mehr vorgaukeln solle. Benjamin schlug eine Kritik der Verlagsanstalten vor, in denen er einen immer mehr versagenden Kommunikationsapparat sah. Und immer wieder sollte es um die sich verschärfende Zensur gehen.
Seltsam mutet an, dass für das erste Heft schließlich nur ein schon 25 Jahre alter Aufsatz von Plechanow über "idealistische und materialistische Weltbetrachtung" verfügbar war. Zugesagt war ein Beitrag Alfred Kurellas über den Weltkongress der revolutionären Literatur, der im Oktober 1930 in Charkov stattgefunden hatte. Damit scheint Krise und Kritik schon in der Startphase von gerade den kulturtheoretischen Positionen aus der Sowjetunion unterwandert gewesen zu sein, die Brechts und Benjamins Vorstellungen entgegengesetzt waren. Gescheitert ist das Projekt jedoch auch an finanziellen und rechtlichen Schwierigkeiten des Rowohlt Verlags.
Krise und Kritik war das Vorspiel der bekannteren Diskussionen zwischen Brecht und Benjamin im Exil. Wizisla zeigt, dass Autonomie und Ebenbürtigkeit gerade in der Gegensätzlichkeit der Ausgangspunkte der sich dann aber auf einander zu bewegenden Dialektiker bestand. Allerdings verarbeitete Benjamin die Kritiken Brechts in seinen Texten meist sofort. Sein Einfluss auf Brecht zeigte sich längerfristig. An Benjamins Kafka-Aufsatz von 1934 kritisierte er, dass er durch dessen Einbindung in die jüdische Tradition das "Dunkel" um ihn vermehre und womöglich einem "jüdischen Faschismus Vorschub" leiste. In einem wenig später entstandenen Aufsatz über die tschechoslowakische Literatur (der sich unter anderem auf Kafka bezieht) betont Brecht dann aber ausdrücklich den Wert von "dumpfen, dunklen und schwer zugänglichen Werken", die man "mit großer Kunst und Sachkenntnis lesen muss, als wären sie illegale Zeitschriften". Das wäre ohne Benjamin nicht geschrieben worden.
Wizisla bringt neue Belege, dass Benjamin Brechts intimster Gesprächspartner hinsichtlich der Entwicklungen in der Sowjetunion war. Bei seinem letzten Besuch 1938 ging es um die Säuberungen, die auch enge Gesinnungsfreunde betrafen. Andere "Freunde" zeigten schwer verständliche Haltungen: Kurella hatte in Das Wort Benjamins Aufsatz über Goethes Wahlverwandschaften scharf angegriffen. Gretel Adorno schrieb Benjamin, dass Brecht die Grundlinie der sowjetischen Kulturpolitik "als katastrophal für alles" erkenne, "wofür wir uns seit 20 Jahren einsetzen". Horkheimer versuchte er die gemeinsame Auffassung zu vermitteln, dass Antiimperialismus nicht nur eine moralische Frage sei. Noch dürfe man "die Union ... als eine nicht aus imperialistischen Interessen ihre Außenpolitik bestimmende und also antiimperialistische Macht ansehen ... Daß wir dies, jedenfalls derzeit, noch tun, demnach, wenn auch unter den gewichtigsten Vorbehalten, die Sowjetunion noch als Agentin unserer Interessen in einem künftigen Kriege wie in der Verzögerung dieses Krieges betrachten, dürfte auch in Ihrem Sinne geschehen. Daß diese Agentin die denkbar kostspieligste ist, indem wir sie mit Opfern bezahlen müssen, die ganz besonders die uns als Produzenten naheliegenden Interessen schmälern, das zu bestreiten wird Brecht ebensowenig in den Sinn kommen, wie er erkennt, daß das gegenwärtige russische Regiment das persönliche mit all seinen Schrecken ist."
Benjamin und Brecht. Die Geschichte einer Freundschaft. Mit einer Chronik und den Gesprächsprotokollen des Zeitschriftenprojekts Krise und Kritik. Von Erdmut Wizisla, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2004, 396 S., 13 EUR
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