Was man im Ausland leicht vergisst – in Algerien gibt es nach der in Wirklichkeit nicht beendeten Konfrontation zwischen Islamisten und Modernisten in den neunziger Jahren wenig Neigung, sich von einem Bürgerkrieg à la libyenne inspirieren zu lassen. Jedem Algerier ist bewusst, dass die Ordnungskräfte weitaus besser als die Armisten von Oberst Gaddafi für Bürgerkriege trainiert und ausgerüstet werden. Sie sind durchaus geübt darin, mit zivilem Widerstand fertig zu werden, der nicht nur in Algier, sondern an vielen Orten des Landes zum Alltag gehört. Am hartnäckigsten marschieren derzeit noch die Studenten, die endlich auf einem fragilen Arbeitsmarkt Fuß fassen wollen.
Doch ändert dies nichts daran, dass der zivile Widerstand schwächelt, seit der oppositionelle Nationale Koordinationsrat Ende Februar zerfiel in einen von der Algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte geführten Flügel, der jede Mitarbeit von Parteien ablehnt, und eine andere Fraktion, in dem das Rassemblement pour la Culture et la Démocratie (RCD) und der international bekannte Menschenrechtsanwalt Ali Yahia Abdenour tonangebend sind. Wann es den avisierten Kongress gibt, um die Lager zu versöhnen, bleibt offen.
Kein Vizepräsident
So verharrt Algerien im Wechselbad von Erregtheit und Erstarrung, was auch daran liegt, dass sich die Opposition – im Gegensatz zu Libyen, Bahrain oder Syrien – größtenteils legal artikulieren kann. Gerade deshalb erscheint die Vorstellung zweifelhaft, man brauche nur den Abgang von Präsident Bouteflika – und schon sei das Ruder herumgeworfen. Immerhin hat der vor gut drei Jahren eine Verfassungsinventur durchgesetzt, die ihm eine dritte Amtszeit erlaubt. Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass dieser Staatschef ohne erheblich verstärkten Druck zurücktritt. Der letzte exponierte Veteran des Unabhängigkeitskampfes gegen Frankreich (1955- 1962), der später viele Jahre ein erfolgreicher Außenminister war und als Präsident den Bürgerkrieg mit den Islamisten einzudämmen verstand, ist felsenfest von seiner historischen Berufung überzeugt. Allein sein schlechter Gesundheitszustand und eine notorische Diskurs-Allergie könnten ihn zur Demission zwingen.
So konzentrierten sich die Erwartungen von Volk und Medien an seine für den 15. April angekündigte Rede allein auf die Möglichkeit, seinen physischen Zustand einzuschätzen. Obwohl der nachgerade erschütternd war – Bouteflika las mit leiser, leidenschaftsloser Stimme und musste sich sogar anstrengen, die Blätter ordentlich umzulegen, und enttäuschte selbst die ihm nahe stehenden Eliten. Denn die erwartete Zusage, das Amt eines Vizepräsidenten einzuführen, blieb er schuldig. Doch warum? Ein solcher Schritt hätte Bouteflika einen gleitenden, einigermaßen würdigen Abgang gesichert. Er versprach Reformen, besonders eine erneute Verfassungsreform, zu der freilich nur die bislang „handelnden politischen Strömungen und Verfassungsexperten“ Vorschläge ausarbeiten dürfen. Er ließ im Unklaren, ob das Volk oder nur das Parlament darüber abstimmen wird. Nur soviel steht fest: In Algerien soll das bisher geltende Pressestrafrecht ausgedient haben. Der Staatschef ermunterte die im Vergleich zu den Nachbarstaaten schon jetzt relativ frei agierenden Medien sogar, Kritikwürdiges schärfer als bisher zu benennen. Darüber hinaus kündigte er an, dass sich beim Wahl- und Parteienrecht einiges ändern werde, wodurch – sollte es dazu kommen – vorhandene politische Blockaden auf dem Weg zu mehr Pluralismus fallen könnten. Das aber ist angesichts des algerischen Prinzips – es darf nur Reformen von oben geben –, kaum zu erwarten. Al Khabar, die größte arabischsprachige Zeitung, kommentiert denn auch, es wäre schon viel gewonnen, würde bestehendes Recht durch die Regierung respektiert und durchgesetzt. Statt dessen laviere sich der Staat durch einen vorgetäuschten Reformwillen immer weiter in seinen Circulus Vitiosus hinein.
Nicht auf der Abschussliste
Dennoch meinte der französische Außenminister Juppé, der von Bouteflika angekündigte Kurs weise „in die richtige Richtung“. Mehr als nur ein Indiz dafür, dass Algeriens Präsident zur Zeit nicht auf der Abschussliste des Westens steht. Obwohl sich seine Regierung sofort gegen die NATO-Intervention in Libyen aussprach und westliche Medien sogar verbreiteten, Algier habe dem Gaddafi-Regime mit Militär-Equipment unter die Arme gegriffen. Es scheint so, dass in Paris wie anderen westeuropäischen Hauptstädten ein weiterer Konfliktherd in Nordafrika als wenig erstrebenswert gilt. Ein noch signifikanterer Anstieg der Preise für Gas und Erdöl wäre unausweichlich. Es zeichnet sich stattdessen ab, dass das in eine Sackgasse manövrierte libysche Abenteuer der NATO schon bald auf die guten diplomatischen Dienste der Regierung Bouteflika angewiesen sein könnte.
Ein schwerer Schlag für die Opposition in Algerien ist allerdings, dass in dem Moment, als der Präsident mit seiner Fernsehansprache zu Frieden wie innerer Eintracht rief und etwas überheblich zu „nationaler Versöhnung“ mahnte, Islamisten eine Armeekaserne in Azazga angriffen und 13 Soldaten töteten. Solange sich der algerische Staat vom Terrorismus bedroht fühlt, wähnt er sich im Recht, all jene Kräfte, die mehr Demokratie verlangen, einfach hinzuhalten.
Sabine Kebir ist Essayistin, Literaturwissenschaftlerin und Nordafrika-Spezialistin
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