Nahost Dauerfehde zwischen Iran und Saudi-Arabien, dazu die USA am Rande der Berechenbarkeit – für die Krisenmoderatoren der Sicherheitskonferenz in München gibt es viel zu tun
Die Münchener Sicherheitskonferenz (MSC) definiert sich selbst als Treffen von „internationalen Sicherheitspolitikern, Militärs und Rüstungsindustriellen“, auf dem nicht selten militärisch angehauchte Agreements zwischen dem Westen und seinen Gegnern verhandelt werden. Im vorab gelieferten Report heißt es diesmal, das Jahr 2017 sei von einer „unberechenbar“ gewordenen Außenpolitik der USA, dem Nordkorea-Konflikt und „von der Erosion der sogenannten liberalen internationalen Ordnung“ bestimmt gewesen. Angedeutet wird, dass es seit dem Ende der Sowjetunion im Dezember 1991 keine Zeit gegeben habe, die gefährlicher gewesen sei. Ein überraschendes Urteil, zieht man in Betracht, dass es in den 1990er Jahren immerhin ein
einen Bürgerkrieg in Jugoslawien mit seit dem Zweiten Weltkrieg undenkbaren ethnischen Säuberungen gab, dazu die völkerrechtswidrigen Luftangriffe der NATO auf Serbien und Montenegro im Frühjahr 1999 oder die Intervention der USA und ihrer Alliierten gegen Irak ab März 2003, verbunden mit der Errichtung eines Besatzungsregimes.Eine durch die MSC und die Unternehmensberater von McKinsey in Auftrag gegebene Studie habe ergeben, so Wolfgang Ischinger, Leiter des Münchner Treffens, dass eine Mehrheit der Europäer ihre Streitkräfte über die nationalen Grenzen hinaus, vorzugsweise weltweit, einsatzfähig haben wolle. Ob die Befragung repräsentativ gewesen ist, darf bezweifelt werden. Die EU-Bürger treiben andere Sorgen um als die von den USA geforderte und mittlerweile von den meisten Regierungen der NATO-Staaten mitgetragene Erhöhung des Verteidigungsbudgets auf zwei Prozent der jeweiligen Haushalte. Ohne die Nationalversammlung zu fragen, hat das Frankreichs Präsident Macron bereits zugesagt.Prinz mit EigenwillenZweifelhaft ist auch, ob eine Bevölkerungsmehrheit in den EU-Staaten ein Engagement bei den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten gutheißt, das nicht in diplomatischem, sondern militärischem Eingreifen besteht. Den regionalen Kriegsschauplätzen dort – sei es in Syrien, in Libyen oder im Jemen – sollen 2018 die Debatten im Münchner Bayrischen Hof vorrangig gewidmet sein. Dabei ist kaum zu erwarten, dass sich irgendwer außer Russland (vertreten durch Außenminister Lawrow) und China (vertreten durch Fu Ying, Sprecherin des außenpolitischen Ausschusses im Volkskongress) von der rigiden Interessenpolitik der USA distanziert. Nichts anderes als die Sicherung von Erdölquellen steckte am 7. Februar hinter dem US-Luftangriff auf mit der syrischen Regierung verbündete Milizen nahe der am Euphrat liegenden Stadt Dair as-Saur, aus der die Assad-Armee im November den Islamischen Staat (IS) vertrieben hatte. Die auf der anderen Seite des Flusses stehenden, von den USA unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) sollten von regierungstreuen lokalen Milizen zurückgedrängt werden. Dass im Statement des Pentagon das Bombardement, bei dem mehr als 100 Soldaten ums Leben kamen, als „Akt der „Selbstverteidigung“ bezeichnet wurde, zeigt, dass die US-Administration entschlossen scheint, den Osten Syriens an der Grenze zu Irak als Domäne zu reklamieren und auf Dauer vom syrischen Kernstaat zu trennen. Ein solch massiver Eingriff dient freilich auch dazu, die Enttäuschung zu dämpfen, die sich bei den Assad-Gegnern von den SDF über den Kriegsverlauf offenbar ausbreitet. Es gilt zu verhindern, dass sich diese US-Verbündeten – wie das andere bereits vorexerziert haben – von ihrem Mentor abwenden und zu terroristischen Freischärlern mutieren.Placeholder infobox-1Dass sich Israel jenseits der Golanhöhen eine angeblich ebenfalls zur „Selbstverteidigung“ nötige „Pufferzone“ schaffen will, ist bekannt. In München wird man sich damit zu beschäftigen haben, ob die Luftgefechte vom Wochenende über dem Süden Syriens und Norden Israels eskalieren können oder nicht. Im Blick auf eine syrische Nachkriegsordnung ringen nicht nur die USA und Russland um Einfluss, ebenso Iran und Saudi-Arabien, die sich um Hegemonie im gesamten Nahen Osten duellieren. Die finanziellen wie militärischen Potenziale Teherans wie Riads sind groß genug, um als eigenständige, schwer berechenbare Akteure in Erscheinung zu treten. Sie stehen in einem engeren Kontakt zu den von ihnen in Syrien wie im Jemen protegierten Konfliktparteien als der Westen.Insofern gilt es schon als Erfolg der Münchner Konferenz, dass sowohl der saudische Außenminister Adel Dschubeir als auch sein iranisches Pendant Mohamed Dschawad Sarif zum Vortrag anreisen. Die Europäer wären von allen guten Geistern verlassen, wollten sie die Gelegenheit verstreichen lassen, einer sich zusehends verselbstständigenden Eskalation der Grundkonflikte am Golf entgegenzuwirken. Besonders der heißblütige Kronprinz des saudischen Königreichs, Mohamed bin Salman, hat mehrfach zu verstehen gegeben, dass er sich nicht wie sein Vater und dessen Vorgänger fügsam mit den USA abstimmen werde, sondern in Sachen Iran eigenständig die Initiative zu ergreifen gedenke.Kurz nach Trumps denkwürdigem Säbeltanz in Riad überraschte Salman den US-Präsidenten, indem er einen handfesten Konflikt mit dem Nachbarn Katar anzettelte. Das Emirat sollte gezwungen werden, die Beziehungen mit Teheran zu kappen. Riad schloss nicht nur die Grenzen zu Katar, sondern zwang auch die meisten anderen Staaten auf der Arabischen Halbinsel zum Boykott gegen den mutmaßlich Abtrünnigen. Zwar biss der Kronprinz letztlich auf Granit, denn Katar gab nicht nach. Die Ressourcen, die den kleinen, aber gleichsam unerhört finanzstarken Staat ermutigt haben, als politischer Player in der Region (und nicht nur dort) aufzutreten, reichen aus, um die eigenen Bürger – trotz eines Handelsembargos – auf hohem Niveau zu versorgen. Verloren haben diese allerdings die gewohnte Freizügigkeit auf der Arabischen Halbinsel, was viele binationale Familien in erhebliche Schwierigkeiten stürzt und bis zum Verlust von Staatsbürgerschaften geht. Angesichts dieser neuen Konfrontation zwischen Riad und Doha ist es schon eine kleine Sensation, dass auch der Emir von Katar, der 37-jährige Tamim bin Hamad Al Thani, nach München kommt. Er darf sicher sein, dass ihm die US-Delegation bei der MSC unter Verteidigungsminister James Mattis nicht die kalte Schulter zeigt. Schließlich befindet sich das Hauptquartier der US-Armee im Nahen Osten, wo im Falle eines Krieges mit Iran viele Fäden zusammenliefen, noch immer auf dem Territorium Katars. Auch erfreut sich der Emir der Sympathie des geschäftsführenden Außenministers Sigmar Gabriel, der jüngst bei einem Besuch in Doha die besonnene Reaktion auf den Zwist mit Saudi-Arabien gelobt hat.Ankara gegen WashingtonGebe Allah, dass man sich in München gründlich mit dem erbarmungslosen Krieg beschäftigt, den Saudi-Arabien im Jemen führt. Die Chancen, dass dessen Ende näherrückt, sind womöglich gestiegen, seit neben dem Konflikt zwischen Huthis und Saudis eine weitere Front entstanden ist: Der Süden, von 1967 bis 1990 als Demokratische Volksrepublik Jemen ein selbstständiger Staat mit guten Beziehungen zur Sowjetunion, kämpft für eine erneute Sezession vom Norden. Die aus dem Südjemen abgeschossenen Raketen, die nahe Riad niedergingen, sind dem Bündnis von einst zu verdanken. Wird jetzt schnell ein Weg zum Frieden gefunden, ist eine Rückkehr Russlands nach Aden vielleicht noch aufzuhalten.Zweifellos wird auf der MSC, die auch den türkischen Premier Binali Yıldırım erwartet, versucht, die Kollision zu entschärfen, die in Syrien zwischen Washington und Ankara weiter Fahrt aufnimmt. Die beiden NATO-Verbündeten sind heftig darüber zerstritten, wer dort Terrorist und wer Demokrat ist. Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) bei Dair as-Saur gehören zur kurdischen YPG, die Präsident Erdoğan als angeblichen Teil der PKK in Nordsyrien angreifen lässt.Kann man in München die Kontrolle über entfesselte Zauberlehrlinge zurückgewinnen? Nicht nur für den Nahen Osten und Nordafrika wäre das wünschenswert. Gleichermaßen für Nordkorea, dem Donald Trump bekanntlich einen höllischen Militärschlag angedroht hat, der mit kleinen Kernwaffen, sogenannten Mini-Nukes, geführt werden soll. Da hilft es wenig, dass die beiden koreanischen Staaten bei den Olympischen Winterspielen von Pyeongchang den Eindruck hinterlassen: Gäbe es diesen imperialistischen Druck nicht, könnten sie sich über manches einigen.Placeholder link-1
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