Stefan Zweig, 1936: "Immer wiederholt sich das absurde Faktum, daß, während allen Aufreizungen eines Volkes oder eines Glaubens gegen den andern die Rede frei verstattet ist, alle versöhnlichen Tendenzen, alle pazifistischen, alle konzilianten Ideale verdächtigt und unterdrückt werden unter dem Vorwand, sie gefährdeten irgendeine staatliche oder die göttliche Autorität, sie schwächten defaitistisch den frommen oder den vaterländischen Eifer durch ihren Willen zur Humanität."
Leute wie Edward W. Said werden gelegentlich von ganz verschiedenen anderen Leuten, ob sie nun Arafat oder Clinton oder Bush oder Scharon heißen, als "Friedenshasser" verdächtigt. Der Palästinenser E.W. Said, Jahrgang 1935, der an der Columbia University in New York Literaturwissenschaft lehrt, begleitet den Nahostkonflikt seit vielen Jahren als Chronist, und seine kritische Analyse des Oslo-Abkommens und der Folgen bis jetzt weisen ihn als einen unabhängigen, unbequemen Intellektuellen aus, der zwischen ziemlich allen Stühlen steht. Sein umfangreiches neues Buch Das Ende des Friedensprozesses umfasst 35 Aufsätze, die zwischen 1995 und 2001 in diversen arabischen, europäischen und amerikanischen Zeitungen erschienen. Die Kritik an Arabern, Palästinensern, Israelis und Amerikanern ist radikal im wortwörtlichen Sinn, sie dringt, ausgehend vom je aktuellen Stand der Dinge, an die Wurzeln vor. Wiederholungen können bei einer solchen Sammlung von Artikeln nicht ausbleiben, aber das stört wenig; eher hilft es, sich auf den roten Faden in diesem so lang anhaltenden Konflikt zu besinnen.
Said schreibt: Israel ist entstanden als Folge der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden, und seine Existenz ist anzuerkennen, Punkt. Der zionistische Mythos vom "Land ohne Volk für ein Volk ohne Land" aber ist eine Fiktion; die die Existenz der palästinensischen Bevölkerung ausblendet, die nicht wahrnehmen will, was die Gründung Israels und die nachfolgenden Kriege für große Teile der Palästinenser bis heute bedeuten. Es gibt, und das ist nicht allein Saids Auffassung, sondern durchaus auch die von einigen der "neuen Historiker" in Israel, einen Widerspruch in der Identität Israels: Das Land will eine liberale bürgerliche Demokratie sein, aber gleichzeitig war es bisher immer seine raison d´être, ein jüdischer Staat für eine jüdische Bevölkerung zu sein; folglich gibt es die Bürger zweiter Klasse, die große palästinensische Minderheit, denen gleiche Rechte fehlen. Um nur ein Beispiel zu nennen, das immerhin auch in der UN-Resolutionen 194 zu finden ist: Das Recht auf Rückkehr und/oder Entschädigung für Vertriebene. Wie kann es sein, fragt Said, dass die Juden es haben, und dass es gleichzeitig weitgehend tabuiert ist, über die Möglichkeit der Rückkehr von Palästinensern, über irgendwelche Modalitäten überhaupt nachzudenken? Das vielgerühmte Abkommen von Oslo hat in seinen Augen eine einzige Neuerung gebracht, die Anerkennung, dass es tatsächlich ein palästinensisches Volk und seinen Vertreter gibt - weiter nichts. Keine Rede von palästinensischer Souveränität. Der Gipfel wie auch die nachfolgenden Treffen, sie waren größtenteils irrelaufende Inszenierungen, die vielleicht dazu taugten, dass jemand wie Clinton sich mit einem "historischen Erfolg" schmücken konnte, weil ein symbolträchtiger Händedruck über die Fernsehschirme flimmerte. Tatsächlich werde Israels Hegemonie immer weiter gefestigt: Aus den zersplitterten, untereinander unverbundenen Autonomiegebieten könne nie ein selbständiger Staat Palästina entstehen; zumal sich Israel bisher immer so wesentliche Einflussbereiche wie die Kontrolle der Wasserversorgung, der Zufahrtsstraßen, der "Sicherheit" vorbehielt. Die Truppen seien da, es würden fortgesetzt Zufahrtsstraßen gebaut, erweitert; die Landnahme gehe in kleinen Schritten voran. Kurz, der so euphorisch genannte "Friedensprozess" denke im Grunde in Begriffen der Trennung und tauge daher eher zur Fortsetzung des Konflikts als zu dessen Beilegung.
Said verbindet diese Kritik mit der an den einzelnen Beteiligten: Clinton und Bush werden scharf, dabei eher kurz abgefertigt, so auch diverse israelische Politiker, Teile der Friedensbewegung oder ein Autor wie Amos Oz, deren Großzügigkeit oder Bewegtheit Said doch ziemlich begrenzt scheinen. Der vehementeste Angriff gilt dem "eigenen" Lager, sofern ein Intellektueller so etwas haben kann - aber Said liegt nicht daran, es auf palästinensischer Seite beim Bild "die Opfer der Opfer" zu belassen, er differenziert auch hier, und es lohnt, sich das im Einzelnen durchzulesen. Was die Führung anlangt: Arafat ist in seinen Augen ein korrupter, unfähiger Despot, der das Geld für einen völlig aufgeblähten Sicherheitsapparat ausgibt und dem mehr am eigenen Machterhalt als am langfristigen Wohlergehen der Bevölkerung liege. Ihm wie auch den benachbarten arabischen Regierungen wirft der Autor Menschenrechtsverstöße, Autokratie und mangelnde Demokratiefähigkeit heftig vor. Said ist geprägt von aufklärerischen, emanzipatorischen, universalen Wertvorstellungen, und so schreibt er, "der Kampf um die palästinensischen Rechte ist zuallererst ein moderner weltlicher Kampf um volle, gleichberechtigte Zugehörigkeit zu der modernen Welt." Man ahnt, worauf das hinaus will: Said setzt nicht allzu große Hoffnungen auf die Idee einer palästinensischen "Provinzgesellschaft" mit eigener Fluglinie, eigener Bürokratie, eigenen Briefmarken, - obwohl er natürlich wiederholt die Kernpunkte des Konflikts thematisiert; also die Siedlungen auf palästinensischem Gebiet, die Flüchtlingsfrage und die nach dem Status von Jerusalem. Er erinnert daran, dass die Geschichte und die Gegenwart beider Bevölkerungen zu sehr miteinander verwoben sei, als dass eine Trennung "helfen" könne - vielmehr solle man versuchen, eine Theorie der Koexistenz zu formulieren. Und es gibt ja auf beiden Seiten längst Gruppen und Einzelne, die sich für die Idee einer säkularen Demokratie für alle Bürger organisieren; dabei geht es darum, den Begriff der Staatsbürgerschaft zu erweitern und ethnische und religiöse Kriterien zu überwinden. Israel/Palästina, sagt Said, war immer multikulturell, multiethnisch, multireligiös, insofern lasse sich die Forderung nach Homogenität, nach "Reinheit" historisch überhaupt nicht rechtfertigen. "In einem modernen Staat sind alle seine Angehörigen Staatsbürger kraft ihrer Präsenz und der von allen geteilten Rechte und Pflichten. (...) Somit werden, um endlich den Konflikt zu überwinden, eine Verfassung und ein Grundgesetz notwendig, denn dann hätte jede Gruppe das gleiche Recht auf Selbstbestimmung (...) vielleicht in föderierten Kantonen, mit einer gemeinsamen Hauptstadt (...) Keine Seite sollte sich zur Geisel religiöser Extremisten machen."
Angesichts der fortdauernden Eskalation des Konflikts, die keiner Seite Aussicht auf einen militärischen "Sieg" bringt, sondern nur die eine Botschaft an den andern enthält, man könne ihm weiter Schmerz zufügen - angesichts dieser anhaltend schrecklichen Situation hört man sozusagen schon die Reaktionen auf Saids Buch. Es schwäche den patriotischen oder frommen Eifer, oder, vornehm verklausuliert, es sei nun mal leider unrealistisch. Dazu muss man vielleicht sagen, dass das Beharren auf der "Sackgasse", dem "Pessimismus", der "Ernüchterung" und dem "Realismus" viel zu oft die Lieblingshaltung derer ist, die fürchten, dass ein wirklicher Frieden wirklich etwas kostet. Er kostet den Mut zur Selbstkritik, er kostet den Mut, den "Anderen" anzuerkennen und zu riskieren, dass dabei das "Eigene" in Bewegung gerät und sich verändert.
Saids Denkanstösse zielen auf einen langfristigen, moralischen Prozess beider Seiten. Sie sind nicht einfach "immer noch aktuell", sie sind vorwärts- und richtungsweisend. In einem der Aufsätze von 1996 rät der Autor der palästinensischen Seite, sich weniger auf die jeweiligen etablierten Führungen zu verlassen, von denen Änderungen kaum zu erwarten wären - es gebe auf israelischer Seite andere Dialogpartner. Da kö
Edward W. Said: Das Ende des Friedensprozesses. Oslo und danach. Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning. Berlin-Verlag, Berlin 2001, 314 S., 19,90 EUR
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