Ende Mai eröffnet in Venedig die Architekturbiennale. Der Deutsche Pavillon steht unter dem Motto Unbuilding Walls, kuratiert wurde er von Lars Krückeberg, Thomas Willemeit und Wolfram Putz (Architekturbüro GRAFT) in Zusammenarbeit mit Marianne Birthler. Die frühere Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen sitzt heute unter anderem im Beirat der Gedenkstätte Berliner Mauer.
der Freitag: Sie bewarben sich vergangenes Jahr um die Kuratierung. Was war zuerst da: das Thema oder der Wunsch, einmal diesen Pavillon zu bespielen?
Lars Krückeberg: Das ist die wichtigste Architekturausstellung der Welt, und die Frage, ob wir ein relevantes Thema haben, stellen wir uns schon länger.
Thomas Willemeit: Wir haben in Braunschweig studiert, direkt neben dem Zonenrandgebiet. Die Mauer fiel kurz nach Studienbeginn, so dass wir uns im Studium sehr intensiv mit Berlin und Orten in den neuen Bundesländern beschäftigen konnten. Im Februar 2018 war die Mauer so lange gefallen, wie sie stand: 28 Jahre. Dieses Spiegeldatum war für uns der Auslöser für eine umfassende Auseinandersetzung mit dem einstigen Mauerverlauf und der Frage, was auf ihm passiert ist. Wie baut man Mauern ab? Wie fügt man Gesellschaft im Stadtraum wieder zusammen, auf eine sichtbare, räumliche Weise? Wie reißt man Mauern in den Köpfen ein? Unsere Fragen betreffen Themen, mit denen sich Marianne sehr lange beschäftigt hat und für die sie eine repräsentative Figur geworden ist: Aufarbeitung, Nicht-Vergessen, Zugänglichmachen von Informationen und Sichtbarmachen von Erinnerungskultur.
Zur Person
Marianne Birthler , geboren 1948 in Berlin, gehörte der DDR-Opposition und 1990 als Politikerin für Bündnis 90 der ersten frei gewählten Volkskammer an. Von 2000 bis 2011 war sie Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen
Was steht im Vordergrund: der Blick zurück oder der nach vorn?
Marianne Birthler: Wir schauen jetzt zwar 28 Jahre zurück, aber das ist kein Endpunkt. Wir sind mittendrin in einem Prozess. Meinen Essay für den Katalog habe ich überschrieben mit 40 Jahre Teilung brauchen 40 Jahre Heilung.
Krückeberg: Uns geht es um die Auswirkungen des Mauerfalls. In diesem Heilungsprozess ist schon unglaublich viel gelungen. Andererseits sind die Schatten der Mauer, der Phantomschmerz, durchaus noch städtebaulich und gesellschaftlich spürbar.
Der Potsdamer Platz wurde kurz nach dem Mauerfall an Daimler-Benz verkauft, ohne dass Stadtplaner oder Bürger einbezogen wurden. Wie hätte eine andere Lösung zur „Heilung“ der Stadt beitragen können?
Wolfram Putz: Grundsätzlich liegt unserer kuratorischen Haltung keine „Hätte man doch“-Forderung zugrunde. Wir wollen abbilden, wie eine demokratische Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Protagonisten verschiedene Lösungen generiert, und mischen in der Darstellung im Pavillon daher bewusst Regierungsaufträge, konzern- oder entwicklungsgesteuerte Aufträge mit Bürgerinitiativen und Kleingartenvereinen. Unser Text im Katalog heißt Unerhörte Ideen. Einerseits verballhornt er diese ständige Gegenattacke der konservativen Haltung, der Nostalgiker, der kritischen Rekonstruktion gegen alles Neue. Gleichzeitig verdeutlicht er, welche Potenziale in der Stadtentwicklung bis heute brachliegen.
Krückeberg: Zu behaupten, man wisse, was für eine Stadt das Richtige ist, ist gefährlich. Im Falle des Potsdamer Platzes bilden wir ab, welche Geisteshaltung direkt nach dem Mauerfall herrschte. Wir zeigen auch, was andere Leute für diesen Ort gedacht haben.
Willemeit: Da gab es auch visionäre Vorschläge, zum Beispiel von Daniel Libeskind oder Axel Schultes, die sich frei machten vom historischen Vorbild oder das tradierte Regelwerk für innerstädtische Verdichtung für die gesamte Stadt weiterdachten. Der Potsdamer Platz war der erste Anlass, grundsätzliche Strategien des Zusammenwachsens zu formulieren. Wichtig ist aus heutiger Sicht, festzustellen, dass sich in dem totalen räumlichen Vakuum der Wunsch durchgesetzt hat, Strukturen wieder so herzustellen, wie sie einmal waren. Offiziell fanden vor allem jene Beiträge Unterstützung, die stark auf den Vorkriegszustand Bezug nahmen.
Krückeberg: Wenn man heute einen Fluchttunnel findet, oder noch ein Stück Mauer, dann ist das wie die Entdeckung eines neuen Grabes im Tal der Könige und muss sofort erhalten und unter Denkmalschutz gestellt werden. Direkt nach der Wiedervereinigung war das aber keine Selbstverständlichkeit – es gab also einen Prozess. Das ist für uns eine interessante Erkenntnis gewesen: Erinnerung und Gedenkkultur können sehr dynamisch sein.
Zu den Personen
Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit, geboren Ende der 1960er in Hannover, Kiel und Braunschweig, gründeten 1998 in Los Angeles das Büro GRAFT. 2001 eröffneten sie eine Filiale in Berlin, 2004 eine weitere in Peking
Die Konnotation der Mauer wandelte sich vor 28 Jahren innerhalb weniger Monate: Vor dem Mauerfall versteinertes Symbol der Einschränkung, danach Symbol des gewaltfreien Kampfes gegen diese. Das Bauwerk unter Denkmalschutz zu stellen, erschien vielen zunächst makaber.
Krückeberg: Mauerreste, die in der ganzen Welt stehen, sind heute kein Symbol für Diktatur, sondern für ihre Überwindung, stehen für Freiheit. Die East Side Gallery, über deren künstlerisches Programm man streiten kann, ist das meistfotografierte Bauwerk Berlins.
Und dabei handelt es sich um ein Stück Hinterlandmauer, das auf Ostseite erst nach dem Mauerfall besprüht wurde.
Birthler: Richtig, das wissen viele nicht. Es gab nach 1989 keinen einheitlichen Plan, es haben so viele unterschiedliche Kräfte gewirkt: Bürgerinitiativen, politische Entscheidungen, der Kampf derer, die erinnern wollten – gegen jene, die alles vergessen wollten. In diesem Kräfteverhältnis wurde unglaublich intensiv gestritten. Diese Entwicklung brauchte Zeit.
Was erwartet die Besucher in Venedig?
Birthler: Wir informieren dort über die einzelnen Projekte, kurz und knapp, auch mit Bildern und Videos.
Krückeberg: Wichtig ist uns, dass wir auch Schaubilder, Grafiken und Diagramme zur konkreten aktuellen Lage dieser Nation ausstellen. Wir fragen, inwieweit wir wirklich zusammengewachsen sind beziehungsweise wo sich Ost und West noch erkennen lassen.
Welche Beispiele zeigen Sie jenseits von Berlin?
Putz: Seit Mitte der 50er wurden entlang der innerdeutschen Grenze ganze Dörfer, deren Bewohner politisch unzuverlässig schienen, in der sogenannten „Aktion Ungeziefer“ umgesiedelt, bis dahin, dass in den 70er Jahren 50 Dörfer „gesäubert“ wurden. Keines ist jemals wieder aufgebaut worden.
Willemeit: Die ICE-Strecke München – Berlin ist quasi das letzte Stück des Aufbauprogramms Ost. Dieses Zusammenführen zweier Länder ist eben auch eine infrastrukturelle Mammutaufgabe. Darüber hinaus gibt es den Berliner Mauerradweg oder den Iron Curtain Trail, die wir sehr gut finden.
Krückeberg: Oder nehmen wir den Brocken: ein Ort, der weder Ost noch West, sondern russisch war. Reines Sperrgebiet. In der alten Abhöranlage ist ein Museum entstanden, das genauso an den Kalten Krieg erinnert wie auch an den mystischen Berg Brocken, mit seinen Hexen und Luchsen. Wichtig ist uns, aufzuspüren, wie unterschiedlich wir mit der Erinnerung umgehen, mit diesem Erbe, aber auch diesem Freiraum, der uns geschenkt wurde.
Am Checkpoint Charlie wird die einstige Grenzsituation heute durch verkleidete Schauspieler simuliert. Ich selbst habe das lange als befremdliche Verharmlosung empfunden. Zugleich scheint der Ort ein Bedürfnis zu stillen.
Willemeit: Wir beschäftigen uns seit Jahren mit dem Checkpoint Charlie, da sich dort eines unserer Wohnungsbauprojekte in der Realisierung befindet. Nach dem Mauerfall ist das Areal sehr schnell in die Hände von Entwicklern gelangt, amerikanische Investoren planten fünf Blöcke, zwei blieben leer. Der Ort verspricht eine gewisse Art von Authentizität, Leute kommen dahin, um das Gruseln des Kalten Kriegs noch mal zu erleben. Ob das nun damit zu tun hat, dass es an vielen anderen Stellen verschwunden ist, oder mit einer speziellen amerikanischen Sicht auf die Dinge, ist schwer zu sagen. Fakt ist, dass auf diesen Ort extrem viel projiziert wird, was zu einem fast kakofonischen Nebeneinander führt. Von der Blackbox des Senats bis zum Panorama von Yadegar Asisi. Da sollte man sich wirklich hüten, das zu werten. Vielleicht ist es auch ein temporäres Phänomen, und in 30 Jahren denken alle: Oh Gott, diese Schauspieler müssen jetzt langsam weg.
Info
Die 16. Architekturbiennale in Venedig eröffnet am 26. Mai
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