Lustvolle Wahl

Biennale Franciska Zólyom und Natascha Sadr Haghighian werden 2019 den Deutschen Pavillon aufmischen
Ausgabe 46/2018

Eine Überraschung war es für viele, als Anfang des Jahres die Kuratorin des Deutschen Pavillons für die Biennale in Venedig 2019 bekannt gegeben wurde: Franciska Zólyom, Direktorin der Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) in Leipzig. Dass die Personalie überrascht, erzählt viel. Vor allem über die Wahrnehmung und Ignoranz des zeitgenössischen Kunstgeschehens im Osten.

Vor 20 Jahren gegründet, um in Leipzig westdeutsche Kunst zu präsentieren, nimmt die GfZK auch immer wieder das Geschehen in den postsowjetischen Ländern in den Blick. Ein Haus mit Scharnierfunktion zwischen Ost und West. Mit eigener Sammlung, inklusive eines kuratierten Cafés und zweier von Künstlern gestalteter Hotelzimmer. Ein Haus, das fraglos in einer Liga mit dem Fridericianum in Kassel und dem Museum Folkwang in Essen spielt, von denen zuletzt Susanne Pfeffer und Florian Ebner auf den Venedig-Posten berufen wurden.

Gleiches gilt für Franciska Zólyom, die die GfZK seit sechs Jahren leitet. Das Museum ist für sie weniger ein Sender als ein Akteur, der auch lernend auf das lokale Umfeld schaut. Mario Pfeifer etwa hat für seine Einzelausstellung 2016 eine Videoarbeit zur Situation in Sachsen produziert, die bis Januar in den Kunstsammlungen Chemnitz zu sehen ist.

Urbane und soziale Transformationsprozesse sowie die politische Handlungsmacht in der zeitgenössischen Kunst sind Zólyoms zentrale Themen. So manchem ist das, was sich davon in ihren Ausstellungen niederschlägt, zu diskursiv. Zugegeben: Auch der professionelle Ausstellungsbesucher war in den vergangenen Jahren so manches Mal dankbar für Presserundgang und Erläuterungen. Zuletzt überzeugte Gaudiopolis (der Freitag 12/2018). Im Rahmen der Ausstellung suchten Künstler nach der „guten Gesellschaft“ und ließen sich dafür von der titelgebenden Kinderrepublik inspirieren, einem Realexperiment der Nachkriegszeit. Die Welt neu denken. Sie so entwerfen, wie sie noch nicht ist. Zusammenhänge aufzeigen und erforschen, die sonst negiert, aufgelöst, verdeckt oder nicht hergestellt werden. Das sind für Zólyom die Potenziale von Kunst.

Nun also der Deutsche Pavillon. Ende Oktober wurde es konkret. Natascha Süder Happelmann ist die Künstlerin, mit der Zólyom arbeiten wird. Eine Kunstfigur, erschaffen für diese spezifische Aufgabe, laut ihrem Facebook-Account am 23. Oktober 1993 geboren. Ein Name, der irgendwie auch an Pornografie, Söder und Hampelmann denken lässt. Hinter dem Konstrukt verbirgt sich Natascha Sadr Haghighian, Teilnehmerin der documenta 13 und 14 sowie Professorin für Bildhauerei an der HfK Bremen. Das Spiel mit der künstlerischen Eigenmarke begleitet sie schon lange. 2004 hat sie bioswop.net begründet, eine Internetplattform, auf der Künstler ihre Biografien einspeisen und tauschen können. Die Kunstwelt liebt große Namen wie die Sicherheit erfolgreicher Biografien. Da bildet auch dieser Text keine Ausnahme.

Sadr Haghighian war bei der documenta 14 an der Gründung der Society of Friends of Halit beteiligt, die sich dem Tod des neunten Opfers des NSU widmete. Für die documenta 13 schuf sie einen Trampelpfad, der verdeutlichte, dass die städtebauliche Terrasse, von der man in Kassel den besten Blick in die Karlsaue hat, aus Kriegstrümmern aufgeschüttet wurde. Und ihre vielfach ausgestellte Klangskulptur pssst Leopard 2A7+ besteht aus Europaletten und Legoplatten in der Größe des Panzers „Leopard“, der in Deutschland produziert wird. Zu den Geräuschen, die aus Kopfhörern zu vernehmen sind, gehören Feldaufnahmen, Echos von Orten, die er durchquerte. Es sind offene Geheimnisse, die sie adressiert.

Was transportiert ein Name?

In den vergangenen 30 Jahren hat Natascha Sadr Haghighian eine Sammlung von Falschschreibungen ihres Namens angelegt. Diese Instabilität bekommt nun ein Bild: Wie ein Vorhang fallen die Buchstaben des Namens „Natascha Süder Happelmann“ über die Homepage des Pavillons. „Das ist eine bewusste und auch lustvolle Wahl, um zu schauen, was passiert, wenn man eine leichte Verschiebung vornimmt“, erklärt Zólyom. Die Frage sei: Was transportieren Namen? Wie benennen wir Phänomene? Und wie schaffen oder verschleiern diese Bezeichnungen Wirklichkeiten?

Bei der ersten Pressekonferenz trug Natascha Süder Happelmann einen Stein aus Pappmaschee auf dem Kopf und schwieg. Statt ihrer übernahm eine Sprecherin die Kommunikation mit der Presse. Im Hinblick auf die Gestaltung des Pavillons im kommenden Mai bat sie um Geduld. Nur einige Fotos wurden unkommentiert gezeigt, parallel ein Video im Netz veröffentlicht: Der Stein auf dem Menschenkörper, er läuft hier durch sonnige Dorfstraßen, bleibt stehen, starrt auf offenbar bewachte Gebäude. Der Abspann nennt die Drehorte: Donauwörth, Manching, Bamberg und Ellwangen. Es sind die Standorte sogenannter „Ankerzentren“ in Bayern und Baden-Württemberg. Ein erster Anhaltspunkt für die thematische Ausrichtung des Pavillons? Der Stein, Symbol für die Last von Geflüchteten? Stellvertreter für versteinerte Köpfe? „Die öffentlichen Diskurse in Deutschland haben in den letzten Jahren gezeigt, dass die Frage, wer Zugang zu was und in welcher Form hat, die ganze Gesellschaft durchzieht“, sagt Zólyom.

Im Februar findet die nächste Pressekonferenz aka Performance statt. In Leipzig. Zólyoms Venedig-Job, er ist Anerkennung wie Marketingmaßnahme für die GfZK.

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