Noch offen

Kunst Die Folgen von Covid-19 für Galerien erzählen viel über ihre Arbeit hinter den Kulissen der Branche
Ausgabe 50/2020

Wer in den vergangenen Wochen nicht auf den analogen Besuch einer Ausstellung verzichten wollte, dem blieb angesichts geschlossener Museen der Gang in eine der 700 deutschen Galerien. Dank ihres offiziellen Status als Einzelhandel konnten sie im herbstlichen „Lockdown light“ ihre Räume geöffnet lassen. Ein Tropfen auf den heißen Stein: Galerien erwarten für das Jahr 2020 mehr als 40 Prozent Verlust. Manche befürchten einen vollständigen Zusammenbruch ihres Geschäfts, warnt die „Galerienstudie 2020“, die das Institut für Strategieentwicklung im November vorgelegt hat.

Nun ist Galerie nicht gleich Galerie: 2019 haben sie in Deutschland 890 Millionen Euro Umsatz erzielt – die Hälfte davon geht auf das Konto von fünf Prozent der Galerien. Entsprechend divers sind die Auswirkungen der Pandemie: Etwa ein Drittel hat im Frühjahr Kurzarbeit eingeführt, acht bis neun Wochen war im Schnitt geschlossen. Zehn Prozent der Arbeitsplätze fielen weg. Mehr als die Hälfte hat Corona-Soforthilfe beantragt, etwa fünf Prozent einen KfW-Kredit. Internationale Käufer:innen kamen nicht mehr – 2019 machten die Berliner Galerien noch 52 Prozent des Umsatzes mit ihnen. Und: Nahezu alle Kunstmessen wurden abgesagt.

Lokale Messe statt Art Basel

Not macht erfinderisch. Der Berliner Galerist Johann König begann im März die 10am series, über 40 Live-Talks auf Instagram mit Künstler:innen und Freund:innen der Galerie. Nach der Absage der Art Basel hat er in seiner Galerie in der ehemaligen St.-Agnes-Kirche in Kreuzberg eine Kunstmesse veranstaltet, bei der auch Werke anderer Galerien angeboten wurden: „Wir wollten damit auch Jüngeren eine Plattform bieten, sich in dieser schwierigen Zeit zu präsentieren.“ Die Idee kam gut an. Zum Gallery Weekend im September fand bereits die zweite Messe statt, 4.000 Leute kamen, ein Drittel der Werke wurde verkauft. Die Messe soll es langfristig geben.

Schon vor der Pandemie war die König Galerie weniger auf internationalen Messen präsent, denn Kosten und Nutzen stehen kaum noch im Verhältnis: „Wir haben häufig Messen gemacht, um die Messen zu bezahlen“, erklärt König. Beschränkt auf eine kleine Fläche, steigt der Druck, das, was man ausstellt, auch verkaufen zu müssen. Auch aus ökologischer Sicht sind die Messeteilnahmen fragwürdig: „Da bringen wir alles über Seewege nach Miami oder Hongkong, fliegen mit einem Teil des Teams hin, um es dann doch wieder nach Europa zu verkaufen. Aus diesem Kreislauf wollten wir raus.“ Eine Haltung, die er sich leisten kann, weil er seine Künstler:innen wie Katharina Grosse, Erwin Wurm und Alicja Kwade auch jenseits der Messe-Kisten verkauft.

Andere sind auf Messen angewiesen. Deutsche Galerien erzielten dort 2019 im Schnitt 45 Prozent ihrer Umsätze. Im November wurde die Art Cologne abgesagt. Eine Verschiebung ins nächste Jahr hatten viele Galerist:innen, die sich neuerdings in WhatsApp-Gruppen kurzschließen, schon vor dem Lockdown gefordert. Sie befürchteten, dass Sammler:innen in dieser Situation ausbleiben und eine Teilnahme nur Verluste bedeuten würde.

Mehr Planungssicherheit hätte sich auch Arne Linde gewünscht. Sie betreibt in Leipzig die Galerie ASPN mit zwei freien Mitarbeiterinnen. Zum Vergleich: Johann König beschäftigt 37 Festangestellte. Die Ungewissheit, ob die eigenen Räume wieder schließen müssen oder Museumsausstellungen ihrer Künstler:innen ausfallen, habe zu doppelter Kommunikation geführt. Welche Werke werden wohin transportiert, was wird gedruckt? Jetzt, wo ihre Galerie im November eine Ausstellung von Margret Hoppe mit Fotografien zu Preisen von 1.600 bis 9.000 Euro eröffnen durfte, kommen nur wenige – das Gebot der Kontaktreduktion werde verständlicherweise ernst genommen.

Zu Beginn der Krise erreichten sie ermunternde Durchhalte-E-Mails, Angebote, ihr Geld zu leihen, Kunstwerke zu kaufen oder anzuzahlen. Die letzten Monate haben ihr lokales Netzwerk gestärkt, gezeigt, dass Sammler:innen den exklusiven Austausch im kleinsten Kreis schätzen. „Unsere Kunden wissen, dass Künstler und Galerie als Biotop funktionieren.“

Es ist ein Trugschluss, dass es die Hauptfunktion einer Galerie sei, Kunstwerke für einige Wochen an weiße Wände zu hängen, um sie reichen Menschen für Büro oder Wohnzimmer zu verkaufen. Die zeitgenössische Kunstwelt ist ohne sie kaum vorstellbar: Es sind vor allem Galerist:innen, die junge Künstler:innen nach dem Studium professionell begleiten. Sie tragen die Produktionskosten für neue Werke und organisieren Transporte. Sie bringen ihre Künstler:innen durch Krisen und gehen neue Wege der künstlerischen Entwicklung mit, auch wenn dies Umsatzeinbußen bedeutet. Was heute in den Galerien hängt, hängt morgen im Museum und schreibt im besten Fall Kunstgeschichte.

Echt ist besser als digital

Galerien sind – kleinen unabhängigen Verlagen vergleichbar – Wirtschaftsbetriebe und Kultureinrichtungen. So vielfältig Galerien sind, gemeinsam formulieren sie immer wieder eine Forderung: Zurück zur ermäßigten Umsatzsteuer! 2014 wurde die abgeschafft, während der reduzierte Satz für Künstler:innen oder auch den Buchmarkt weiterhin gilt. Die hohe Umsatzsteuer trifft vor allem die kleineren Galerien, während große sie durch Verkäufe in Dependancen im Ausland umgehen können. Die Zwitterexistenz hat nun immerhin dazu geführt, dass von der Kulturstaatsministerin ein spezifisches Förderprogramm aufgelegt worden ist: 5.000 bis 35.000 Euro können Galerien für eine Ausstellung im Jahr 2021 beantragen, zehn Prozent Eigenanteil sind erforderlich. Die Jury tagt Mitte Dezember. Auch Johann König hat sich beworben, kritisiert jedoch, dass im Fall einer Förderung bei allen Veröffentlichungen, auf jedem Plakat, Flyer und bei jedem Text, die Logos des Programms Neustart Kultur abzubilden sind: „Wenn staatliche Krisenförderung entsprechend sichtbar gemacht werden soll, dann frage ich mich, warum ich kein Logo der Bundesregierung auf meinem Lufthansa-Ticket finde.“

Beworben hat sich auch Arne Linde aus Leipzig. Die Ausstellung des Malers Jochen Plogsties im kommenden Frühjahr soll von einer kleinen Publikation begleitet werden. Denn in einer Zeit, in der nicht mehr so viel gereist wird, können Online-Angebote das physische Erlebnis mit Kunst nur bedingt ersetzen: „Je mehr und je öfter ich digitale Formate von anderen Galerien zugemailt bekommen habe, desto mehr schwand meine Lust, sie zu konsumieren.“ Ein gut gestalteter Katalog sei da das schönste Alternativformat. Umsätze schwanken immer – es gibt gute Monate und schlechte Monate, gute und schlechte Jahre: „Die Differenzen betragen bei mir bis zu 30 Prozent“, erklärt Arne Linde. Sie ist gut durch die Monate gekommen, auch weil einige teilweise seit über einem Jahr angebahnte Ankäufe realisiert wurden. Dennoch: Mit dem Frühjahrsrundgang der Leipziger Galerien und der Art Brussels sähe es viel besser aus.

Auch wenn der Jahresabschluss noch aussteht – die König Galerie hat 2020 wohl mehr Gewinn gemacht als im Vorjahr. Neben den weggefallenen Messekosten sind es sicher die Innovationen, die dazu beitragen: Johann König hat die Provision für seine Mitarbeiter:innen verdreifacht. Schon lange gibt es neben der Galerie einen Souvenirshop, in dem von den Künstler:innen entworfene Pullover und Seifen verkauft werden, dazu erscheint halbjährlich die Zeitschrift König. 2019 war er mit seiner Autobiografie Blinder Galerist medial omnipräsent. Er liebt die sozialen Medien, war schon vor Corona mit der Galerie online gut aufgestellt.

„Die Regeln des Kunstbetriebs sind noch sehr konservativ und schrecken viele Leute davon ab, sich mit Kunst zu befassen“, so König. Vor zwei Jahren begann er, die Kunstwerke auf Messen auszupreisen – ein unüblicher Schritt. Die Hemmschwelle, nach dem Preis zu fragen, entfällt, und das führe zu sehr guten Verkäufen.

Ein neuer Baustein im Konzept König ist der Podcast Was mit Kunst: Jeppe Hein erzählt offen von seinem Burn-out, Katharina Grosse davon, wie ihr wüstes Schlafzimmer sie zur Malerei mit Spritzpistolen inspirierte. Dass die Folge am 30. Oktober erschien – Zufall. Zwei Tage später musste ihre Ausstellung im Hamburger Bahnhof schließen und wird in diesem Jahr nicht mehr öffnen. Noch bis Ende Dezember zeigt die König Galerie Arbeiten von Grosse auf Leinwand und Sperrholz, sie kosten 255.000 bis 450.000 Euro. Bleiben Museen coronabedingt noch länger geschlossen, kommt Galerien möglicherweise eine ganz neue Rolle zu: Museen könnten sie als alternative Ausstellungsräume nutzen.

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