Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben literarischer Zeitschriften, an Literaten und Künstler zu erinnern, die Gefahr laufen, vergessen zu werden, oder dies bereits sind, an Dichter, die abseits vom Markt der Eitelkeiten in Einsamkeit ihrer Arbeit nachgehen. Das mag im Medienzeitalter seltsam anachronistisch klingen - aber ist das Schreiben von Gedichten, wie das Herausgeben von Zeitschriften, nicht auch eine recht unzeitgemäße, (fast) nichts einbringende Tätigkeit?
Im jüngsten Heft der Grazer manuskripte gedenken österreichische Künstler des 1932 geborenen und 2004 gestorbenen Otto Breicha, um den es in letzter Zeit still geworden war. Dabei hat Breicha 32 Jahre lang mit den Wiener protokollen ein höchst lebendiges Periodikum für Literatur und Kunst herausgegeben, das - wie die meisten österreichischen Zeitschriften - vom Staat gefördert wurde. Die protokolle waren ein Ort, an dem sich die sprachverrückte Avantgarde ebenso darstellen konnte wie eine traditionellere Schreibweise. Man publizierte regelmäßig Texte von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker, Gerhard Rühm und H.C. Artmann, erinnerte an Albert Paris Gütersloh und hielt auch die Augen nach Deutschland offen, etwa in Richtung auf Arno Schmidt und seine Anhänger. Von Anfang an fanden Essays in den protokollen Platz, unter denen die Kommentare zu bildenden Künstlern von Otto Breicha herausragten. Den Grund, die Zeitschrift Ende 1997 einzustellen, wollte Breicha weniger in deren ökonomischer Dauermisere als im Altern der Avantgarde sehen, mit der er einst aufgebrochen war.
Nun, in den überlebenden manuskripten, bekennt deren Herausgeber Alfred Kolleritsch: "Die protokolle und die manuskripte erschienen lange Jahre nebeneinander, letztlich war es ein unausgesprochenes Miteinander." Den oft mürrisch wirkenden Breicha charakterisiert Günter Brus als "Kenner und Genießer aller Kunstsparten." So habe er in seiner Zeitschrift sämtliche Bereiche der österreichischen Gegenwartskunst zu einem "einzigartigen Nachschlagewerk" versammelt: Architektur, Fotografie, Malerei, Musik, Bildhauerei und Literatur - alles in bester Auswahl. Und Friederike Mayröcker erklärt, Breicha sei schuld daran, "dasz ich meine langen Prosabücher geschrieben habe, weil der Anlasz war immer, dasz ich 1 Text für die protokolle zu schreiben hatte, und ich schreibe 1 Text nach dem anderen für ihn." Redakteure wie Breicha, der seine Besucher mit der Frage konfrontierte: "Wollen´S reich werden oder ein Künstler?" gibt es nicht mehr.
Von ganz anderer Art, zumindest auf den ersten Blick, ist die anarchistische Zeitschrift Die Aktion, die es bereits auf 208 Ausgaben gebracht hat, doch dürfte sich deren Herausgeber Lutz Schulenburg mit seiner Vorliebe für linksradikale Außenseiter von Breicha gar nicht so sehr unterscheiden. In ihrem jüngsten Heft bringt Die Aktion ein Porträt des "letzten wahren Kommunisten" und talentierten Schriftstellers Christian Geissler, der trotz seiner 75 Lebensjahre kein bisschen weise oder wenigstens klug geworden zu sein scheint, ein Ideologe von bemerkenswertem Starrsinn. Davon zeugt nicht nur sein Roman kamalatta aus dem Jahr 1988 mit seinem Bekenntnis zum bewaffneten Kampf. Noch in der Flugschrift winterdeutsch, die 1992 als Heft 89 der Aktion herauskam, geht es Geissler bitterernst um die Beschwörung seiner Solidarität mit der RAF, der er gar mit dem Vorschlag einer "permanenten kommunistischen Konferenz" den Weg zu neuen Ufern zu weisen versucht, wohin ihm freilich die demoralisierten Kämpfer nicht folgen wollten.
Das Porträt, das Detlef Grumbach nun in der Aktion von Geissler entwirft, ist die überarbeitete Fassung eines Rundfunk-Features aus dem Jahr 1998 und mit freundschaftlicher Milde getränkt. Irgendwie scheint selbst Geissler, nach längeren Aufenthalten in Schottland und Portugal, von bittersten Niederlagen gezeichnet, so etwas wie Heimat zu vermissen: "er sehnt sich nachhaus / ins regenplatschen / ins ofenbullern /ins gänsegeschrei überm tee", bekennt er in einem Gedicht. Er lebt wieder in der norddeutschen Kindheitslandschaft, will aber in Deutschland, wo einem "ständig in die Birne gefasst wird", auf keinen Fall begraben werden. Der Zusammenbruch des Sozialismus hat bei ihm die Furcht vor einem "neuen Faschismus" ins Paranoide gesteigert.
Geissler berichtet von seiner Jugend in Hamburg, dem nazihaften, aber gutartigen Vater und der unglücklichen polnischen Mutter, dem abgebrochenen Studium, dem Eintritt in die illegale KPD, die er wieder verließ, als die neu gegründete DKP sich aufs Grundgesetz verpflichtete. Seither steht im Mittelpunkt seiner Arbeit die Frage nach der politischen Gewalt - eine "Klassenfrage". Doch die Widersprüche leben fort. Schon der junge Dichter suchte die Einsamkeit und wollte gleichzeitig in einer Gruppe aufgehoben sein, ja sich dem Kollektiv masochistisch opfern.
Die Frage nach der Berechtigung von politischer Gewalt stelle sich, so Grumbach, Christian Geissler nicht, "weil die Gewalt ja schon da ist - auf Seiten des Eigentums, der Kriegstreiber, der modernen Kolonialisten." Folglich: Militanz gegen Militanz, Tote gegen Tote; ein Krieg hinter der Hauptfront, im Zentrum der Macht selbst, inhuman, desaströs. Zurück bleibt eine verschärfte Ohnmachtserfahrung. Denn zum einen hat das verhasste "Schweinesystem" gesiegt, zum anderen ist der (immer nur verbal) kämpfende Poet ein alter Mann geworden, dem keiner mehr zuhört.
Michael Buselmeier
manuskripte: Nr. 163, März 2004 (Sackstraße 17, A-8010 Graz), 10 EUR
Die Aktion: Nr. 208, April 2004 (Alte Holstenstraße 22, 21031 Hamburg), 7 EUR
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