Dämon der Seele

Zeitschriftenschau Gab es, fragt Michael Krüger in einer Vorbemerkung zum 55. Jahrgang der Akzente, in der Nachkriegsgeschichte "schon einmal ein Jahr, in dem die ...

Gab es, fragt Michael Krüger in einer Vorbemerkung zum 55. Jahrgang der Akzente, in der Nachkriegsgeschichte "schon einmal ein Jahr, in dem die deutsche Literatur so ausführlich und enthusiastisch gelobt und gefeiert wurde wie im letzten?" Ähnlich euphorisch hat kürzlich auch Sigrid Löffler die Lage beurteilt. Allerdings vergisst Krüger nicht hinzuzufügen, dass wieder einmal auffallend wenig von der Lyrik die Rede war, der es schon immer an einflussreichen Fürsprechern mangelte. Sie muss sich auch weiterhin mit einer "stabilen Leserschaft von ein paar hundert Verschworenen" begnügen, glaubt indes - so Krüger - fest "an ihren Nachruhm."

Zum Glück existieren noch Zeitschriften wie die Akzente, in denen sich Heft um Heft Beispiele gelungener Poesie einfinden. "In meinem verwelkenden / Zustand fast keine Flamme mehr und die Funken und Wolken be- / wegen sich kaum bin tief gebeugt", klagt beispielsweise Friederike Mayröcker in einem Melancholia genannten Gedicht, vom Frost des Alters gekrümmt und doch unentwegt produktiv. Hingegen gelingen dem auch nicht mehr jungen Günter Herburger immer wieder boshaft-aufmüpfige Märchenbilder. Da steckt etwa der Sohn seiner Mutter, / die keinen Mund mehr hat, / eine angezündete Zigarette / in den verschorften Rumpf. / Sie raucht, als esse sie Aspirin". Anders der 1945 geborene niederländische Dichter Frans Budé, dessen Zyklen über Stadt und Landschaft aus sensilben kleinen Beobachtungen aufgebaut sind: "Die Stille tragen wir mit Fassung. / Mitten am Tag verneigen sich die Sträucher."

Eine Entdeckung bedeutet der 1950 geborene amerikanische Dichter und Essayist Edward Hirsch, der im Mittelpunkt des jüngsten Akzente-Hefts steht. Seinen alltagsnahen Gedichten ist zu entnehmen, dass seine Eltern deutsche Juden waren: "Gib mir meinen Vater wieder, der durch die Hallen / der Wertheimer Kartonagen- und Papierfabrik / schritt, Sägespäne an seinem Schuh."

Hirsch glänzt auch als Poetologe, ein profunder Kenner der europäischen wie der amerikanischen Tradition. Sein Aus dem Stundenbuch der Poesie überschriebener Essay folgt dem Ablauf der Tageszeiten. Da ist das Lied der Morgendämmerung, eine Variante des mittelhochdeutschen Tagelieds, schwer lesbar auf eine leere Seite gekritzelt. Sodann der Morgen des Gedichts, der uns in den Garten der Neuen Welt einlädt und für den "unser Vater Walt Whitman" steht. Der Nachmittag des Gedichts ist die skeptische Zeit des Fragens und Nachdenkens, "die Stunde von Emily Dickinsons forderndem Intellekt", aber auch die der engagierten Lateinamerikaner oder der dem Kollektivdenken abgeneigten Polen. Das Sonnenuntergangsgedicht gibt dem Unbewussten Raum, dem "dunklen Bereich der Seele", wofür Lorca den Begriff "duende", also "Dämon" benutzt.

Um Freundschaft, genauer: Männerfreundschaft, drehte sich im George-Kreis und dessen Folgekreisen immer schon alles. So ist es eigentlich nicht ganz einsichtig, weshalb die jüngste Ausgabe von Castrum Peregrini das Phänomen Freundschaft einer besonderen Beleuchtung aussetzt, zumal frühere Hefte dies implizit schon eindrucksvoller getan haben. Schließlich konnte die Gründergeneration des Castrum während der Besatzungszeit der Niederlande nur durch engen geistig-seelischen Austausch, Georges Gedichte memorierend, überleben, und diese gemeinsame Erfahrung hielt jahrzehntelang vor.

Neuerdings fällt auf, dass die gegenwärtig für Castrum Peregrini Verantwortlichen gewillt zu sein scheinen, das Spektrum der Zeitschrift zu erweitern, also die Dominanz von Themen aus dem George-Kreis zu beschneiden und sukzessiv immer mehr (Freundes-) Stimmen von außen zu Wort kommen zu lassen. So findet man im jüngsten Heft etwa eine geheimnisvolle Erzählung von Sibylle Lewitscharoff und ein Gespräch, das Christoph Buchwald mit Cees Nooteboom und Rüdiger Safranski führte.

Mit der ausführlichen Besprechung von Thomas Karlaufs vielgerühmter George-Biographie kehrt Castrum Peregrini zu seinen Fundamenten zurück. Freilich ist der Gegenstand etwas heikel, war doch Karlauf viele Jahre lang Redaktionsmitglied und hat gleichwohl, so nüchtern und klar wie noch keiner vor ihm, das im Kreis selbst weitgehend tabuisierte Phänomen der Homosexualität dargestellt. Überraschend auch, dass die Rezension einem außenstehenden Intellektuellen, Joachim Kalka, übertragen wurde.

Kalka preist Karlaufs Buch zunächst seines stilistischen Duktus wegen, der sich radikal von dem so oft in der Georgeliteratur anzutreffenden "Erhabenheitston" absetze. Auch die Detailkenntnisse des Autors seien beeindruckend. Sodann arbeitet Kalka drei die Biografie strukturierende Hauptakzente heraus: Die vollkommene Offenheit in (homo-) sexuellen Dingen, die Übertragung des von Max Weber geprägten Begriffs der "charismatischen Herrschaft" auf den George-Kreis und schließlich die Spätzeit im Zeichen der Begegnung Georges mit den Brüdern Stauffenberg. Karlauf folge also "den erotisch-privaten, den soziologischen und den politischen Implikationen" des Werks. Dabei werde auch Georges "verhängnisvoll uneindeutige Haltung" gegenüber dem Nazireich evident.

Akzente Heft 1, Februar 2008 (Vilshofener Straße 10, 81679 München), 7,90 EUR

Castrum Peregrini Nr. 279-280, 2007 (Postbus 645, NL-1000 AP Amsterdam), 24,50 EUR

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