Ein gern bemühtes Narrativ der deutschen Corona-Krise lautet: die Ministerpräsidenten hätten der Bundeskanzlerin das Heft des Handelns aus der Hand genommen. 16 mitunter unvernünftige Partikularinteressen stünden einer Beendigung der Pandemie mittels einer entschlossenen Lockdown-Politik Angela Merkels im Weg. Das lässt sich auch als geschichtsvergessene Föderalismus-Lästerei lesen.
In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz scheint dieses Narrativ nicht sonderlich verfangen zu haben. Denn mit Winfried Kretschmann und Malu Dreyer reüssieren an diesem Wahlsonntag ein Ministerpräsident und eine Ministerpräsidentin, die sich in der jüngeren Vergangenheit durchaus in Opposition zum Kanzleramt begeben haben, etwa in Bezug auf die Öffnung von Schulen oder von Geschäften. Das lässt sich auch als Bestätigung für einen Föderalismus lesen, in dem Länderchefs angesichts der Nebenrolle der Parlamente als letztes Korrektiv einer ansonsten voll auf die Bundesregierung zugeschnittenen Pandemie-Politik fungieren.
Wie die praktische Pandemie-Politik manch eines Unions-Parlamentariers aussieht, wird derzeit immer klarer: Wären schamlose Provisionsabgreifer wie der Mannheimer CDU-Mann Nikolas Löbel früher aufgeflogen, wie viel weniger Briefwähler im Südwesten der Republik (etwa zwei Drittel in Rheinland-Pfalz und die Hälfte in Baden-Württemberg) hätten ihr Kreuz dann wohl bei der CDU gemacht? Der Auftakt ins Wahljahr wäre für den neuen CDU-Chef Armin Laschet wohl noch verheerender ausgefallen.
Fest verankerte AfD
Doch auch so verschärft das Schrumpfen von Landtagsfraktionen in Stuttgart und Mainz die prekäre Lage der Union sechs Monate vor der Bundestagswahl. In Ländern, in denen die CDU in alten bundesrepublikanischen Zeiten Wahlergebnisse jenseits der 40 oder gar 50 Prozent holte, steht sie nun bei 20 plus X, das machtpolitische Mantra „Es darf keine Regierungsbildung gegen uns möglich sein“ verblasst zum Gruß aus der Vergangenheit. Gut möglich, dass bald nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern auch in Baden-Württemberg eine Ampel-Koalition regiert.
Sozialdemokratische Hoffnungen auf ein solches Modell auch im Bund erscheinen noch nicht sonderlich realistisch, vor allem bleibt die SPD den Nachweis schuldig, hierfür einen substanziellen Beitrag in Form eines Stimmenzuwachses liefern zu können. In Rheinland-Pfalz verliert sie sogar leicht, in Baden-Württemberg etabliert sie sich als Unter-15-Prozent-Partei. Während die Linkspartei in westdeutschen Flächenstaaten politische Relevanz weiterhin nur im außerparlamentarischen Bereich besitzt, deutet der Zuwachs der FDP in Baden-Württemberg auf das Reservoir an Wählern, die sich von der Union ab-, nicht aber den Grünen zuwenden wollen. An der Verankerung der AfD im deutschen – eben auch im westdeutschen – Parteiensystem vermag auch nichts zu ändern, dass just vor den Wahlen bekannt wird, dass der Verfassungsschutz sie nunmehr bundesweit als Verdachtsfall behandelt; sie verliert, bleibt aber in beiden Ländern (fast) zweistellig.
Ihr direkter Widerpart im neuen Parteiensystem, die Grünen, sind erwartungsgemäß der große Sieger dieses Starts ins Superwahljahr, so wie schon jüngst bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen oder der Bürgerschaftswahl in Hamburg. Winfried Kretschmann regiert in Stuttgart unangefochten und sollte sich bei der Vorbereitung eines Übergangs wohl nicht an Angela Merkel orientieren, sollen seine Grünen über seine Zeit als aktiver Politiker hinaus Volkspartei im Ländle bleiben. In Rheinland-Pfalz werden die Grünen zwar nur vom Juniörchen- zum Juniorpartner der Koalition, feiern aber den mithin stärksten Zuwachs aller Parteien, neben dem der in den Landtag einziehenden Freien Wähler. Selbiges bleibt den Klimalisten verwehrt, die für die Grünen oberhalb der kommunalen Ebene noch keine gefährliche Konkurrenz darstellen. Auch bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt im Juni dürfte Bündnis 90/Die Grünen zu den Gewinnern zählen.
Sachsen-Anhalt folgt
Die dortige Regierungsbildung wird unüberhörbare Begleitmusik für den Bundestagswahlkampf liefern – ist doch kaum eine Alternative zur Wiederaufnahme einer Kenia-Koalition in Sicht, in der sich die Grünen dann wieder mit einer CDU-Fraktion zusammentun müssten, die es in Teilen hin zur AfD zieht.
Wie die Grünen es im Allgemeinen mit der angeschossenen Union halten werden, ist die spannende Frage der kommenden Monate. Sie scharf zu attackieren, dafür gäbe es allen Grund, trägt doch das Versagen auf allen Ebenen und vor allem beim Corona-Impfprogramm ein Parteibuch: von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über Kanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn, Wirtschaftsminister Peter Altmaier, die Parteichefs und Kanzlerkandidaturkandidaten Armin Laschet wie Markus Söder bis hin zum (inzwischen Ex-) CSU-Parteifreund des Letzteren, Georg „660.000 Euro“ Nüßlein. Doch dafür müsste mancher Grüne seine seit Jahrzehnten liebgewordenen Träumen von Schwarz-Grün zumindest einmal gedanklich zur Seite legen.
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