De Maizière steigt auf den Lerchenberg

Asyl Flüchtlinge touren teuer per Taxi durchs Land und die Türkei braucht deutsche Unterstützung: So sieht der Innenminister das Land, dessen Politik er bestimmt
Unter anderem dieser Mann gibt der Kanzlerin den Weg vor
Unter anderem dieser Mann gibt der Kanzlerin den Weg vor

Sean Gallup/Getty Images

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Zeit der großen Gesten in Sachen Flüchtlinge vorbei ist, dann hat ihn am Donnerstagabend Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erbracht. Im ZDF-heutejournal hatte de Maizière den zweiten großen Auftritt des Tages nach seiner Rede im Bundestag zur ersten Lesung des „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes“.

„Bis zum Sommer waren die Flüchtlinge dankbar, bei uns zu sein“, sagte der Innenminister. Jetzt aber glaubten viele, sie könnten sich ihren Aufenthaltsort einfach selbst aussuchen. „Sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren. Sie streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt, sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt, sie prügeln in Asylbewerbereinrichtungen.“

Taxi-Boom durch Geflüchtete?

Abgesehen davon, dass das deutsche Taxigewerbe sich über seine angebliche neue, zahlungskräftige, gerade zwischen Flensburg und München vagabundierende Klientel freuen dürfte: Nachrichten von Schlägereien in einigen Massenunterkünften gibt es in der Tat schon seit Tagen, die Bild lieferte in ihrer Freitagsausgabe Material zur Unterfütterung von de Maizières Proklamation – aus Hamburg, wo 200 Syrer und Afghanen aufeinander losgegangen waren. Das Blatt fand eine Überschrift zu den Bildern, die es trifft: „Lagerkoller!“

Es gibt diese Gewalt, und sie hat nicht nur mit katastrophal beengter Unterbringung, völlig unsicheren Zukunftsperspektiven und nachhaltiger Traumatisierung Geflüchteter zu tun. In ihr kommen zugleich politische, soziale und ethnisch-religiöse Konfliktlinien zum Ausdruck. Das ist so problematisch wie es vorhersehbar war angesichts der vielen Menschen, die sich in Deutschland in Sicherheit zu bringen versuchen, und der Heterogenität ihrer Biographien.

Dass aber nun mit de Maizière ausgerechnet ein kühler Technokrat die Klaviatur der Vereinfachung, Schuldzuweisung und hetzerischen Zustimmungshascherei bedient, statt besonnen zu moderieren und zu regieren, das zeigt eines: Die Bundesregierung gedenkt die bemerkenswerten Worte von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus den vergangenen Wochen eben nicht in politisches Handeln zu überführen. De Maizière galt stets als loyaler Diener Merkels, doch inhaltlich war er in Asyl-Fragen schon immer näher beim harten Kurs der CSU. Es stellt sich die Frage, ob Merkel tatsächlich noch die aalglatte, kluge Strippenzieherin ist, für die sie viele halten. Oder ob sie nicht vielmehr zum Feigenblatt, zum Ablenkungsmanöver einer Altherrenriege der Union um de Maizière (61) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (73, CDU) geworden ist. Eine Kanzlerin, die die Richtlinien der Politik nicht mehr vorgibt, sondern verschleiert.

Wie bei Griechenland

Wie es in Sachen Griechenland Schäuble war, der mit seinem Vorschlag eines Grexits auf Zeit Fakten schuf und die Syriza-Regierung zu einem neuerlichen Sparprogramm zwang, so ist es jetzt de Maizière, der den Status quo sicherstellt: Deutschland setzt auf Abschottung. Das in Sachen Grundrechte höchst fragwürdige Flughafenverfahren könnte, so der Innenminister im ZDF, nach Möglichkeit auch Anwendung an anderen Landesgrenzen finden. Vordergründig geht es dabei um das Herausfiltern von Menschen, die angeblich ohnehin keine großen Aussichten auf Asyl haben: Geflüchtete aus Albanien, Montenegro und dem Kosovo etwa, den Staaten also, die mit der Asylrechtsreform zu so genannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollen. Sie an einer europäischen Außengrenze abzufangen und gar nicht erst EU-Boden betreten zu lassen, das gleicht der Idee, für die de Maizière in Bezug auf Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern schon lange wirbt: Aufnahmezentren in Nordafrika.

Und er kann sich bei seinem Vorgehen auf einen strategisch klug agierenden Stab verlassen – ein Bundesminister ist nicht alle Tage live und vor Ort im Nachrichtenstudio eines Fernsehsenders zu Gast. Zumal nicht, wenn dieses Studio, wie beim heutejournal, in Mainz steht. Vom Bundestag in Berlin innerhalb weniger Stunden auf den Lerchenberg in Mainz: Da hatte einer der Nation etwas Wichtiges zu verkünden. Immerhin steckt hinter diesem Trip kein ausgefeiltes Strippenziehen der Presseabteilung, keine Selbsteinladung des Ministeriums ins öffentlich-rechtliche Fernsehen. Die heutejournal-Redaktion hatte de Maizière für ein Interview angefragt, und weil der am Freitagvormittag eh einen Termin in Wiesbaden hatte, kam er am Donnerstagabend direkt zu Moderatorin Marietta Slomka – so erklären es ZDF und Ministerium auf Anfrage.

Der Termin in Wiesbaden übrigens: „Sicherheitsgespräch zur Sicherheitslage im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingssituation in Deutschland“. Fazit des Treffens mit Behördenvertretern im Bundeskriminalamt: Die Sorge von Bürgern vor erhöhter Kriminalität infolge der vielen Flüchtlinge sei verständlich. „Man könne aber bisher sagen, dass bei den syrischen Flüchtlingen keine erhöhte Kriminalität feststellbar gewesen sei. Diejenigen Flüchtlinge, die besonders auffällig seien, habe man im Auge, mit gezielter Ermittlungsarbeit und der vollen Härte des Rechtsstaates.“ Was denn nun? Berechtigte Sorge oder ausbleibende Kriminalitätserhöhung? Oder sind nur nicht-syrische Flüchtlinge kriminell?

Der Türkei entgegenkommen

Verquere Logiken macht sich de Maizière gerade nicht nur auf dem innenpolitischen Feld zu eigen. Er bemüht sie auch bei seinem Ausflug in die Außenpolitik während des ZDF-Auftritts. Während Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei den Vereinten Nationen in New York weilte, sagte de Maizère am Donnerstagabend: „Ich glaube, wir brauchen ein neues Verhältnis zur Türkei. Wir beschimpfen die Türkei mit allem und jedem. Die Türkei ist Nato-Partner. Und wenn wir etwas von der Türkei wollen, dann müssen wir auch auf die Türkei zugehen.“ Was de Maizière von der Türkei, die gerade im eigenen Land mit aller Härte Kurden bekämpft und bürgerkriegsähnliche Zustände hervorruft, will: „Wenn wir jetzt über Grenzen und über Zuzugsbegrenzungen reden, dann wird das nicht an der deutsch-österreichischen Grenze sein müssen, sondern im Bereich Türkei/Griechenland.“

Wohl ist es aber nicht verquere Logik, sondern wohlüberlegte Kalkulation, die de Maizière hier leitet. Über die Türkei kommen nicht die für unerwünscht erklärten Flüchtlinge aus Albanien, Montenegro und dem Kosovo Richtung Zentraleuropa. Sondern vor allem syrische und irakische Kriegsflüchtlinge. Nach der Argumentation des Innenministers gelten also auch ihnen die Pläne für „Grenzen und „Zuzugsbegrenzungen“.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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