Noch laufen die Verhandlungen hinter geschlossenen Türen. Noch halten Bundesfinanz- und Bundesverkehrsministerium an ihren Plänen für die Privatisierung deutscher Autbahnen fest. Aber noch ist ja auch diese Erzählung in der Welt: Die wackeren Sozialdemokraten werden die Privatisierung verhindern! Vielleicht wird sich diese Erzählung sogar über den 19. Mai hinaus halten – jenen Tag, an dem der Bundestag über die Änderung des Grundgesetzes in mehr als einem Dutzend Artikeln entscheiden soll. Die Zukunft des 12.949 Kilometer langen Autobahnnetzes ist dabei mit einem "Reformpaket" verflochten, in dessen Zentrum die Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs steht und das die Große Koalition in Gänze nicht scheitern lassen wird.
Mitglieder der SPD-Fraktion arbeiten deshalb fieberhaft an einem Änderungsantrag, der die Autobahnen, wie geplant, aus der Hoheit der Länder in die des Bundes bringen, dabei eine Privatisierung aber ausschließen soll – ohne das große Ganze, die "größte" und "komplizierteste" Reform der laufenden Legislaturperiode, zu riskieren.
"Loch der Löcher"
Einen Entwurf für diesen Änderungsantrag hat die Berliner Zeitung veröffentlicht. Schon dessen erster Absatz verdeutlicht: selbst, wenn der Entwurf zum parlamentarischen Beschluss würde, ist und bleibt das Vorhaben eine Privatisierung. "Die Verwaltung der Bundesautobahnen wird in Bundesverwaltung geführt", heißt es dort, und weiter: "Der Bund kann sich zur Erledigung seiner Aufgaben einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen."
"Gesellschaft privaten Rechts" statt, wie bisher, "bundeseigene Verwaltung", das bedeute "Gewinnmaximierung vor Gemeinnutzen", sagt Carl Waßmuth von der Nichtregierungsorganisation Gemeingut in BürgerInnenhand. Für ihn ist dieser Paragraph das "Loch aller Löcher" in der angeblich Privatisierungs-festen Mauer, die zu errichten die SPD behauptet.
Ein weiteres Loch: "Die Gesellschaft steht im unveräußerlichen Eigentum des Bundes. Eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Privater an der Gesellschaft und ihren Tochtergesellschaften ist ausgeschlossen." Das klingt gut. Die beiden Sätze sollen aber nicht im Grundgesetz stehen, für dessen Änderung es einer parlamentarischen Zwei-Drittel-Mehrheit bedarf, sondern im "Gesetz zur Errichtung einer Infrastrukturgesellschaft für Autobahnen und andere Bundesfernstraßen". Ein einfaches Gesetz, zu ändern mit einer einfachen Mehrheit, vielleicht schon nach den anstehenden Bundestagswahlen. Als einer der für die kommende Legislatur am heißesten gehandelten Kandidaten für eine Regierungsbeteiligung gilt schließlich die FDP.
Doch selbst, wenn es nicht zu diesem Szenario kommen sollte: ein privatrechtliches Unternehmen kann auch anderes verkaufen als die eigenen Anteile, etwa Grundstücke, Rechte und Aufträge. Und auch eine Beteiligung privaten Kapitals an der Gesellschaft selbst hält Waßmuth nicht für ausgeschlossen – über Genussscheine oder stille Beteiligungen.
Gegenwart und Zukunft: ÖPP
Aber das ist es nicht, was dem Privatisierungskritiker die größten Kopfschmerzen bereitet. Die Zeit direkter Privatisierungen der Anteile sei vorbei, sagt Waßmuth, die Devise für Gegenwart und Zukunft laute: Öffentlich-Private-Partnerschaft, kurz: ÖPP. Unermüdlich läuft etwa der Bundesrechnungshof Sturm gegen diese Art der Beteiligung Privater an Gemeinwohl-Aufgaben über Kooperationen und Konzessionen, weil sie die öffentliche Hand allen Erfahrungen nach viel mehr kosten als wenn sie diese Aufgaben in Eigenregie übernimmt. Die Sozialdemokraten jedoch wollen an ÖPP festhalten.
Sie wollen letztere zwar auf Abschnitte von weniger als 100 Kilometern einschränken, doch darauf angesprochen lächelt Waßmuth nur gequält: "Alle bisherigen ÖPP im deutschen Autobahnnetz liegen unter 100 Kilometern. Und teurer wird es auch bei 50-Kilometer-Stücken." 65 Kilometer lang sei der A7-Abschnitt in Niedersachsen, bei dem das Modell zuletzt zum Einsatz kam, Kostenpunkt: 1,6 Milliarden Euro. "Bei 100 Kilometern wären es, proportional hochgerechnet, 2,5 Milliarden", sagt Waßmuth.
Zu den größten Kritikern der Privatisierung gehört der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Dessen Abteilungsleiter Struktur-, Industrie- und Dienstleistungspolitik, Frederik Moch, sagte dem Freitag: "Wir erkennen an, dass es ein Bemühen gibt, die Autobahn-Privatisierung auszuschließen. Ob bei dem jetzigen Verhandlungsstand alle Hintertüren geschlossen sind, bleibt aber offen. Wir lehnen jede Form der Privatisierung ab. Zudem ist die Frage der Beschäftigungssicherung ungeklärt. Wir erwarten eine gesetzliche Verpflichtung, dass die Tarifparteien die Überleitung der Beschäftigten, wie auch die geplante Gesellschaft selbst, tarifvertraglich ausgestalten."
Letzte Chance
Es gäbe eine Möglichkeit, die Privatisierung vollumfänglich zu stoppen. Das Thema Autobahnen, deren Zentralisierung beim Bund das Grundgesetz in seiner jetzigen Form ohnehin ermöglicht, wird vom Rest des Grundgesetzpakets abgetrennt und separat zur Abstimmung gestellt, bei der die SPD dann ablehnt. Hierfür müssten SPD-Fraktionsvorstand und die Haushälter der Großen Koalition bei ihren Treffen in den kommenden Tagen die Weichen Stellen.
Zur Profilierung in der Wahlkampfphase taugt die Zukunft der Autobahnen allemal, gerade in Zeiten, in denen das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium das Land an Maut-Gebühren zu gewöhnen versucht, indem es selbige zunächst nur von Ausländern kassieren will. Und in denen das unter anderem von den DAX-Konzernen Daimler und Telekom getragene Lkw-Maut-Konsortium Toll Collect von einer Razzia wegen Betrugsverdachts heimgesucht wird. Doch dafür müsste sich der kleine Koalitionspartner von dieser Rolle emanzipieren und Kante zeigen.
Die Privatisierungsgegner von Gemeingut in BürgerInnenhand jedenfalls haben ihre Vorlage für einen Brief, wie ihn jede Bürgerin und jeder Bürger an Abgeordnete des Bundestages schicken kann, aktualisiert. Ein Satz darin lautet: "Es ist ausgeschlossen, dass eine einzige Sitzungswoche Ihnen genug Gelegenheit gibt, die Sachverhalte, über die Sie abstimmen sollen, ausreichend und adäquat zu durchdringen."
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