Es ist nicht Andrej Holm, dem die Glaubwürdigkeit fehlt
Bild: Christian Ditsch/imago
Fangen wir bei der Wohnungspolitik an. Was hat Andrej Holm vor, könnte er mehr als einen Monat Staatssekretär für Wohnen im Berliner Senat bleiben? In einem Interview mit den Journalisten Lorenz Maroldt und Christoph Twickel hat er es erklärt: „eine ganz klare Priorisierung von sozialen Funktionen des Wohnens gegenüber privaten Profiten oder privaten Interessen“ strebt er an, eine Überarbeitung des Zweckentfremdungsverbots, „sodass es tatsächlich hilft“, und seine Erweiterung von Ferienwohnungen auf spekulativen Leerstand. Eine Ausweitung der Milieuschutz-Satzungen, stärkere Nutzung des Vorkaufsrechts, Eigenkapitalaufstockung und mehr Grundstücke für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, 400.000 statt heute 30
enwohnungen auf spekulativen Leerstand. Eine Ausweitung der Milieuschutz-Satzungen, stärkere Nutzung des Vorkaufsrechts, Eigenkapitalaufstockung und mehr Grundstücke für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, 400.000 statt heute 300.000 landeseigene Wohnungen, Sicherung von 100.000 Sozialwohnungen, „Mitsprachemöglichkeiten der Bewohnerschaft wie im dänischen Genossenschaftswesen“. Und jetzt?Jetzt zwingt Berlins Regierender Bürgermeister den von ihm Mitte Dezember ernannten Holm, 1989 Anwärter auf eine Offizierslaufbahn im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR, aus dem Amt. Rot-Rot-Grün droht früh an einem „Stasi-Problem“ zu zerschellen. Im Jahr 2017. Man müsste lachen, wenn es nicht so traurig wäre.Es fehlt an allemNein, die Immobilienwirtschaft hat nicht im Springer-Verlag angerufen, um dessen Redakteure auf die Stasi-Akte eines Mannes anzusetzen, der sich „Mitsprachemöglichkeiten der Bewohnerschaft wie im dänischen Genossenschaftswesen vorstellen kann“. Dass BZ und Bild Holms Akte vor seiner Ernennung veröffentlichten, das ist keine Hetzkampagne oder Verschwörung, sondern nachvollziehbares journalistisches Handwerk.Leider versteht sich die Politik des Stadtstaates Berlin nicht annähernd so gut auf ihr Handwerk wie die Journalisten. Souveränität, Selbstbewusstsein, Sicherheit im Bezug auf die eigene Agenda – es mangelt in Berlin nicht nur dem Regierenden Bürgermeister an allem, was es braucht, um in diesen Zeiten ein progressives Reformbündnis zum Erfolg zu machen. Ein derartiger Testlauf für den Bund bleibt tatsächlich nur den politischen Gegnern willkommenes Material für eine Agitation der Abschreckung. Und die verwegene Hoffnung einiger linker Zweckoptimisten.Was Rot-Rot-Grün aber braucht, das ist Glaubwürdigkeit – nicht nur bei einigen, sondern bei vielen. Darum ja wirkte zunächst allein die Nominierung Holms als Staatssekretär auf progressive Milieus so beglückend, stiftete solche Hoffnung: „Leute, die Linke Berlin meint es wirklich ernst: Andrej Holm wird Staatssekretär bei Bausenatorin Lompscher“, machte der Journalist Jan Thomsen den Coup via Twitter publik. Glaubwürdigkeit besitzt Holm als Stadtsoziologe und Aktivist bei den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die an Berlins Basis, in ihren Kiezen, seit Jahren gegen Zwangsräumungen, Wohnungs- und Grundstücksprivatisierungen kämpfen, die jüngst schon mit einer ersten Runde Unterschriftensammeln für ein Volksbegehren den alten rot-schwarzen Senat zu einigen wohnungspolitischen Zugeständnissen zwangen. „Soziale Funktionen“ statt „private Profite“ – Holm nimmt man das ab, selbst wenn er in jenem Interview erklärt: „Das Eigentum wird nicht infrage gestellt.“Eine andere GlaubwürdigkeitGerade die Glaubwürdigkeit sprechen Holm seine Kritiker nun ab. Schon klar, es geht um eine andere Glaubwürdigkeit: „Früher und entschlossener“ hätte er sich ja erklären können, und dann sind da ja noch die unvollständigen Angaben auf einem – arbeitsrechtlich höchst fragwürdigen – Einstellungs-Fragebogen der Humboldt-Universität 2005. Letztere drehen sich um den Unterschied zwischen „hauptamtliche Tätigkeit beim MfS“ und „Ausbildung zur Vorbereitung auf eine hauptamtliche Tätigkeit beim MfS“. Zu ersterem: Hätte sich Holm überhaupt früh und entschlossen genug in Schutt und Asche werfen können? Er beschreibt die DDR als „autoritär“, „repressiv“, „die schlechteste Lösung, Gesellschaft zu organisieren“ und die Stasi als „Überwachungs- und Repressionsapparat“, ein „große“ Monstrum“, das „Menschen überwacht und zersetzt“ hat, „Teil eines Unrechtssystems und ein zentrales Instrument, um Leid über viele Leute zu bringen“. Und ein eigener Teil dieses Repressionsapparats sei er selbst gewesen und trage daher „historische Schuld“ und „strukturell Verantwortung.“Es wird in diesen Fragen nie früh und entschlossen genug gewesen sein können. Da können DDR-Oppositionelle, mit denen Holm später befreundet war, in noch so vielen offenen Briefen betonen, wie offen „Andrej“ stets auf ihre Fragen zu seiner Biographie geantwortet hat. Es findet sich am Ende immer noch irgendein Detail, irgendein kritischer Zugang zur Tonlage des Beschuldigten, der für dessen Erledigung ausreicht.Hoffnungslos naivEs ist nicht Andrej Holm, dem die Glaubwürdigkeit fehlt. Es sind Vertreter von SPD, Linker und Grünen, die so hoffnungslos naiv wie fatal vielstimmig in ihre Legislatur gestartet sind. Eine Stimme aus drei Mündern, eine konzertierte, den Politiker wie die Person Andrej Holm verteidigende Argumentation hätte es gebraucht, um nicht schon bei der ersten Böe Gegenwind umzuknicken. Freilich, Rot-Rot-Grün in Berlin steht jetzt unter verschärfter wohnungspolitischer Beobachtung und das Gemeinwohl auf dem Wohnungsmarkt kann auch jemand anderes als Holm stärken. Dass dies aber in einem Bündnis mit solch offenkundigem Mangel an Einigkeit, Strategie und Professionalität gelingt, darf bezweifelt werden.Außerdem: wer sich Rot-Rot-Grün im Bund vorstellt, der muss Stand heute erwarten, dass jener Mangel kaum ein Alleinstellungsmerkmal der Koalition im Land Berlin sein würde.
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