Für einen „Milchsee“ würden 28.000 Tonnen Milchpulver schon reichen. 28.000 Tonnen Milchpulver, so viel schickt Deutschland in diesem Jahr als Nahrungsmittelhilfe nach Italien – als Teil eines Programms, das die EU 1987 auflegte, um damit die „Milchseen“ und „Butterberge“ abzutragen, die ihre riesigen Agrarsubventionen verursacht hatten. Dieses Nahrungsmittelhilfsprogramm, das Bedürftigen in den Mitgliedstaaten zugute kommt, steht jetzt jedoch vor dem Aus – wenn es nach dem Willen Deutschlands und sechs anderer EU-Staaten geht.
Seit die EU nämlich aufgehört hat, die Überproduktion von Milch, Butter und Getreide in riesigem Umfang zu belohnen, sind die Nahrungsmittellager fast leer. Das EU-Hilfsprogramm speist sich
eide in riesigem Umfang zu belohnen, sind die Nahrungsmittellager fast leer. Das EU-Hilfsprogramm speist sich inzwischen nicht mehr nur aus dem Überschuss, sondern vorwiegend aus Einkäufen auf dem freien Markt. Dafür gab die EU zuletzt 500 Millionen Euro pro Jahr an Wohltätigkeitsorganisationen in 21 Mitgliedstaaten – aus ihrem Agrar-Budget. 18 Millionen Menschen versorgte die EU so mit Nahrung.Hilfe ohne RechtsgrundlageDoch Deutschland klagte erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof. Die Richter stellten fest, dass Hilfen für das Programm gemäß dessen gesetzlicher Grundlage nur aus den Beständen kommen dürfen. Das gilt für die 28.000 Tonnen Milchpulver, die italienische Organisationen 2011 aus Deutschland erhalten. Doch auch hier sind die Bestände bald aufgebraucht. Für 2012 veranschlagt die EU-Kommission die Milchpulvervorräte in der gesamten EU auf nur noch 54.000 Tonnen.Als Lösung schlägt Brüssel vor, den Organisationen künftig legal Geld zukommen zu lassen, mit dem sie Nahrung für die Armen einkaufen können; eine entsprechend geänderte Rechtsgrundlage für 2012 und 2013 hat die Kommission vorgelegt. Im neuen Haushalt, der von 2014 an gilt, will sie den Posten dann vom Agrar- ins Sozialressort verschieben. Doch auch dagegen sträubt sich die Bundesregierung, die das Programm Ende 2011 auslaufen lassen will. „Es geht dabei hauptsächlich um sozialpolitische Ziele, aber Sozialpolitik ist nicht Aufgabe der EU und daher auch nicht von dieser zu finanzieren“, sagt ein Sprecher des Bundesagrarministeriums.Das Ministerium tut sich leicht mit seinem Standpunkt: Deutschland zählt traditionell nicht zu den Empfängerländern. Hier kümmern sich die Tafeln um die Versorgung Bedürftiger mit Essen. Die entstanden aber erst, nachdem die EU das Hilfsprogramm Ende der 80er Jahre gestartet hatte. Die deutschen Tafeln stützen sich auf Partnerschaften mit dem Handel und der Gastronomie - anders als Hilfsorganisationen in Frankreich, Spanien, Italien und Polen, die die EU-Mittel nutzen. Trotzdem hat sich der Bundesverband Deutsche Tafel solidarisiert: „Als Europäer kann uns die Armut unserer europäischen Nachbarn nicht egal sein. Gerade die Finanzkrise zeigt doch sehr deutlich, dass wir alle in einem Boot sitzen“, sagte der Vorsitzende Gerd Häuser.Polen setzt auf AufmerksamkeitIn die gleiche Kerbe schlägt EU-Sozial-Kommissar László Andor. Soziale Solidarität sei unabdingbar im gegenwärtig schwierigen wirtschaftlichen Klima sowie unmittelbar vor Beginn des Winters, der Bedürftige besonders schwer treffe. Und auch das EU-Parlament hat Deutschland, England, Dänemark, Tschechien, Schweden und Holland aufgefordert, ihre Blockade des Programms im Europäischen Rat zu beenden. Denn Sozialpolitik sei heute durchaus auch Sache der EU, meint die grüne EU-Parlamentsabgeordnete Elisabeth Schroedter: „Europa hat sich in seiner 2020-Strategie zum Ziel gesetzt, 20 Millionen Bürger aus der Armut zu holen – da können sich die Mitgliedsstaaten nicht so einfach aus der sozialpolitischen Verantwortung stehlen.“ Tafeln und Essensausgaben seien zwar keine nachhaltige Art der Armutsbekämpfung. „Aber den Menschen, die auf diese Feuerwehr-Maßnahme angewiesen sind, ist das erstmal egal. Darum können wir nicht von heute auf morgen damit aufhören“, meint Schroedter.Größtmögliche Aufmerksamkeit will die polnische Ratspräsidentschaft dem Thema nun zukommen lassen: Das Treffen der Agrarminister am Donnerstag in Luxemburg wird öffentlich sein; die Fortsetzung des Streits um das Hilfsprogramm wird live im Internet übertragen werden. Die Befürworter hoffen, dass wegen des öffentlichen Drucks eines der kritischen Länder seinen Widerstand aufgibt; das würde reichen, um deren Sperrminorität zu brechen. Vielleicht überlegen es sich ja die Tschechen noch mal: Organisationen aus ihrem Land haben in der Vergangenheit Mittel aus dem Programm abgerufen, wenn auch in kleinem Umfang.