Vor Weihnachten, da nimmt sich Wolfgang Schäuble Zeit, um etwas für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu tun: als Bundesfinanzminister stellt er dann die Sonderbriefmarke zu Weihnachten vor; einen Euro kostet sie, 30 Cent davon gehen an gemeinnützige Projekte. 2015 kamen so zehn Millionen Euro zusammen.
Wehe aber, es wollen politische Gegner Schäubles vor dem Fest des Friedens Wohltaten verteilen, noch dazu diese Griechen! Dann wird er schnell wieder hochgefahren, der Apparat zur Entmündigung einer Regierung, zur Fremdbestimmung eines ganzen Landes. Nächstenliebe hat ihre innereuropäischen Grenzen.
617 Millionen Euro für die Armen
Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras hatte vergangene Woche in einer Live-Rede im Fernsehen angekündigt, den diesjährigen griechischen Haushaltsüberschuss zu nutzen, um 617 Millionen Euro an arme Rentnerinnen und Rentner auszubezahlen. Profitieren sollen etwa 1,6 Millionen Menschen, 60 Prozent aller Griechen im Ruhestand. Sie müssen von weniger als 850 Euro im Monat leben. Eine Einmalzahlung zwischen 300 und 830 Euro sollen sie erhalten, je nachdem, wie niedrig ihre reguläre Rente ausfällt. Tspiras nennt es die Erfüllung eines Wahlversprechens zur langsamen Wiedergutmachung der von der Troika diktierten sozialen Verwerfungen.
Am Donnerstagabend stimmte das griechische Parlament dem Plan mit großer Mehrheit zu. Neben den Regierungsparteien Syriza und ANEL sprachen sich unter anderem auch die oppositionellen Kommunisten dafür aus. Die Abgeordneten der konservativen Nea Dimokratia, größte Oppositionsfraktion und in Meinungsumfragen derzeit 13 Prozentpunkte vor Syriza, enthielten sich, unterließen es aber, gegen Tsipras zu stimmen. Dass auch die neofaschistische Goldene Morgenröte für den Regierungsplan votierte, zeigt nur, wie bedacht alle darauf sind, die griechische Öffentlichkeit nicht zu brüskieren, sollte der Ministerpräsident entgegen seiner bisherigen Beteuerungen doch Neuwahlen ausrufen. Eben in einem Land, in dem die Hälfte aller Haushalte von Rentenzahlungen abhängig ist, und die Ruheständler noch die mobilisierungsfähigste Gruppe zu sein scheinen – 5.000 von ihnen protestierten am Donnerstag in Athen gegen die Rentenkürzungen der Vergangenheit.
Schäuble kümmert das nicht. "Um das Hilfsprogramm zum Erfolg zu führen, ist es unerlässlich, dass Maßnahmen nicht einseitig beschlossen oder ohne Ankündigung rückgängig gemacht werde", ließ er einen Sprecher des Bundesfinanzministeriums schon am Mittwoch sagen.
Hilfe für die Inseln
Gemeint ist damit neben der Einmahlzahlung für Rentner auch Tsipras Ankündigung, geplante Mehrwertsteuer-Erhöhungen auf einigen Ägäis-Inseln wie Kos und Samos auszusetzen. Letztere trügen schwer an den Kosten der Unterbringung von Flüchtlingen – wobei sie vom Rest des Kontinents sträflich im Stich gelassen werden – weitere Belastungen seien nicht zumutbar.
Doch der Bundesfinanzminister hat längst die Zügel anziehen lassen. Eine Prüfung der Einmalzahlungen und der Insel-Pläne soll stattfinden. Die am 5. Dezember von der Eurogruppe gebilligten kurzfristigen Schuldenerleichterungen von eh schon minimalinvasivem Ausmaß wurden von den Technokraten des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) vorerst auf Eis gelegt. Oder "teils" in den "silent mode" versetzt, wie es der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos, für eine Podiumsdiskussion nach Berlin gekommen, am Donnerstagnachmittag bei einer Pressekonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung ausdrückt.
"Kein großes Ding" seien die Spannungen wegen der Renten-Einmalzahlungen und der ausgesetzten Steuererhöhungen, beruhigt er einen Spiegel-Online-Journalisten. Der hatte sinngemäß gefragt, ob die Regierung in der Vergangenheit nicht schon genug Ärger vom Zaun gebrochen habe, indem sie ohne Rücksprache mit den Geldgebern einfach selbst Gesetze verabschiedete.
Tsakalotos sagt: Langfristige Schuldenerleichterungen, eine Einigung bei den Zielen für die in Zukunft zu erreichenden Primärüberschüsse, ein Zugang für Griechenland zum Quantitative-Easing-Programm der Europäischen Zentralbank – das seien die echten Herausforderungen. Er keilt noch einmal gegen den Internationalen Währungsfonds (IWF), über dessen von der Union in Deutschland sehnlichst erhoffte Beteiligung am sogenannten Rettungsprogramm weiter nicht entschieden ist.
In einem Blogbeitrag hatten der Leiter der IWF-Forschungsabteilung, Maurice Obstfeld, und der Europa-Direktor Poul M. Thomsen Anfang der Woche behauptet, selbst keinesfalls noch größere Einsparungen von Griechenland zu verlangen. Vielmehr müssten sich die europäischen Gläubiger von unrealistischen Primärüberschuss-Zielen verabschieden und Schuldenerleichterungen gewähren. Im gleichen Zug kritisierten die Autoren "die zögerliche Haltung der Regierung, wenn es darum geht, die Beschränkung von Massenentlassungen aufzuheben".
Das Tarifsystem ist zerstört
Nicht nur Tsakalatos wirft dem IWF Doppelzüngigkeit vor, auch die mit nach Berlin gekommene Arbeitsministerin Eftychia Achtzioglou: Im Zeichen der angeblich gefährdeten "Wettbewerbsfähigkeit" betreibe der IWF auch Anstrengungen, das eh weitestgehende zerstörte Tarif-System weiter zu schwächen. Branchentarifverträge würden in dem Land kaum mehr abgeschlossen, Unternehmensverträge wenn, dann meist zum Nachteil der Beschäftigten. Dabei bestätige doch selbst der Unternehmerverband, dass ein weiteres Erodieren nur schaden, aber kein Wachstum erzeugen werde.
Euklid Tsakalotos muss dann weiter, das Podium wartet. Nein, Wolfgang Schäuble werde er nicht treffen. Schließlich sei ja der Premierminister bei "Miss Merkel" angekündigt.
Tatsächlich wird Alexis Tsipras an diesem Freitag in Berlin nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) treffen, sondern auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Gabriel kann dann zeigen, wie ernst seine Kritik an der von Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verfochtenen Sparpolitik in Europa bei einem Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung Ende November gemeint war: Man müsse sich die Frage stellen, ob der politische Schaden jener Sparpolitik nicht schwerer wiege als die Einhaltung von Prinzipien, hatte Gabriel damals gesagt.
Er war da gerade von einem Treffen mit den sozialdemokratischen Regierungschefs aus Österreich und Schweden gekommen, wo die drei Anstrengungen für eine neue, soziale Richtung in Europa vereinbart hatten. Auch die französischen Genossen haben dieses Bonmot zu Ende ihrer Regierungszeit wohl vernommen: Präsident François Hollande stellte sich an diesem Donnerstag hinter Tsipras, sekundiert von seinem Parteifreund, dem EU-Währungskommissar Pierre Moscovici.
Schäubles Buchempfehlung
Ein sozialdemokratisches Erwachen zu später Stunde? Wer nicht vollends dem Zynismus verfallen ist, hofft das lieber – im Angesicht von bevorstehenden Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich, die noch ganz andere Finanzminister und Regierungschefs als Jeroen Dijsselbloem und François Hollande auf die europäische Bühne treten lassen könnten.
Derweil ist Wolfgang Schäuble nur zu wünschen, dass er zwischen den Jahren das Buch noch einmal genau liest, das er im Manager Magazin jüngst für eben diese Zeit empfohlen hat – Höllensturz: Europa 1914 bis 1949 von Ian Kershaw. Aus diesem "europäischen Lehrbuch" ließe sich lernen, schrieb Schäuble, "dass wir in einer Welt leben, die noch immer von den Folgen missglückter Ordnungsversuche der Vergangenheit geprägt ist."
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