Leere Glühweintassen und Bio-Bier-Flaschen stehen auf den Tischen, Helfer tragen Tische weg und räumen Stühle auf – gerade ist der "Heimat-Kongress" der Bayerischen Grünen in Regensburg zu Ende gegangen. Als sich Margarete Bause an einem Tisch setzt, der noch stehen bleiben durfte, hat sie neun Stunden lang den Kongress moderiert: die Eröffnungsrede gehalten, Volksmusik-Einlagen angesagt und eine hitzige Diskussion geleitet, darüber, ob die Sudetendeutschen denn nun Bayerns "vierter Stamm" oder die "Ewiggestrigen" sind. Dafür ist Bause erstaunlich konzentriert, sie wird viel lachen während des Gesprächs. Und sie hat Zeit: Heim nach München gehen bis spät in die Nacht Züge. In ihren nur etwa eine Stunde entfernt liegenden Hei
Grün mit dir!
Porträt Margarete Bause verkörperte als grüne Landtagsabgeordnete der ersten Stunde in Bayern den Kulturschock. Heute ist sie stolz auf ihre Heimat. Was ist passiert?
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den Heimatort würde sie an einem Samstagabend schwerer kommen.Der Freitag: Frau Bause, können Sie eine Kuh melken?Margarete Bause: Aber natürlich.Und einen Stall sauber ausmisten?Freilich, das habe ich oft genug gemacht.Sie sind so aufgewachsen, wie man sich eine solide bayerische Kindheit vorstellt: In Niederbayern, wo Zugereiste den Dialekt nur schwer verstehen, in einem Dorf, auf dem Bauernhof.Nein, nicht in einem Dorf. Sondern auf einem Einödhof. Da gab’s keinen Bus, das nächste Nachbarkind wohnte einen Kilometer weiter weg. Natürlich bin ich im Ort zur Schule und in die Kirche gegangen. Aber schon als Kind hatte ich eher das Gefühl von Fremdheit.Warum?Meine Familie wurde sehr kritisch beäugt. Allein schon deshalb, weil wir den Hof nicht seit Generation besaßen, sondern ihn Ende der Fünfziger gerade gepachtet hatten. Mein Vater kam aus Thüringen , war aus der DDR geflohen und meine Eltern sind neu in die Gegend gezogen. Sie hatten kein Geld, drei kleine Kinder und dann lief mein Vater als Bauer auch noch am Stock, wegen eines schweren Unfalls. Das alles fanden die Leute in der Gegend sehr komisch, es war zu spüren, was sie dachten: Dieser Bause, der hat jetzt den Hof, aber was soll daraus bloß werden?Der bayerische Schriftsteller Carl Amery hat es einmal als Vorzug Bayerns beschrieben, dass die Menschen dort miteinander reden – über alle noch so rigide trennenden Grenzen hinweg.Solch eine Erfahrung habe ich damals nicht gemacht. Ja, ich wurde höflich behandelt und gegrüßt, hatte meine Freunde in der Schule. Aber das Gefühl, dort im Dorf in einem kommunikativen, grenzüberschreitenden Miteinander aufgehoben zu sein, das hatte ich nie.Manchmal finden die abseits der Mehrheit Stehenden zusammen: Sie sind später zu den Grünen gegangen.Es gibt tatsächlich viele ähnliche Biografien bei den bayerischen Grünen. Was uns verbindet, ist die Erfahrung, dass wir ausgegrenzt wurden. In dem Augenblick, in dem man sich als Grüner zu erkennen gab, gehörte man nicht mehr dazu.Aber Sie wollten doch gar nicht "dazugehören".Naja, das war natürlich unsere Reaktion: Das Nicht-Dazugehören als Unabhängigkeit zu interpretieren. Nicht zu sagen: Gemein, die wollen uns nicht. Sondern: Wir sind selbstständig, unabhängig, wir haben einen eigenen Kopf. Bei mir war das gewissermaßen durch den Einödhof vorgeprägt. Dort konnte die soziale Kontrolle, die im Dorf vorhanden ist, nicht zuschlagen. Das war die positive Kehrseite der Abgeschiedenheit.Wie hat die sich geäußert?Wenn wir als Teenager tanzen waren und uns danach die älteren Freunde, die schon Autos hatten, heimgebracht haben. Bei meiner Freundin im Dorf, da gingen dann überall in der Nachbarschaft die Vorhänge auf und am nächsten Tag hat das halbe Dorf darüber getratscht, dass sie einen neuen Freund hat. Ich war da richtig frei: Wenn ich vor der Tür noch rumgeknutscht habe, war das kein Problem. Da war ja niemand.Außer den Eltern.Bei uns war es eher so, dass man Unabhängigkeit und Eigenständigkeit sehr groß geschrieben hat. Auch das hat mich bis heute geprägt. Mein Vater zum Beispiel war immer schon jemand, der nicht im großen Strom mitgeschwommen ist, sondern seinen eigenen Kopf hatte, widerständig war. Das war eigentlich auch der Grund für meine kurzzeitige FDP-Mitgliedschaft. Wie bitte?Er wollte politisch wirksam sein und hat sich der FDP angeschlossen. Als niederbayerischer Bauer! Das hat seine Aufnahme in die bäuerliche Gemeinschaft dort nicht gerade verbessert. Da waren natürlich nicht viele Leute dabei, bei der FDP. Und um den Kreis zu vergrößern, hat mein Vater seine ganze Familie als Parteimitglieder eingeschrieben. Ich war damals 17 und hatte nichts dagegen.Die FDP ist heute Regierungspartei in Bayern. Wären Sie nur dabei geblieben!Oh, als er mich das erste Mal zu einer FDP-Veranstaltung mitgenommen hat, habe ich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und ihm gesagt: Mach so etwas nie wieder!So schlimm?Lauter alte Männer. Es war langweilig, uninteressant, unattraktiv. Ich fühlte mich auch da absolut als Fremdkörper, bin nie wieder hingegangen. Aber die Mitgliedschaft habe ich erst später beendet, als die FDP 1982 die sozialliberale Koalition verlassen hat und von der SPD zur Union gewechselt ist. Da wurde mir meine passive Mitgliedschaft wieder bewusst und es war mir sehr peinlich. Deshalb habe ich dann sogleich ein empörtes Austrittsschreiben verfasst.Sie waren zuvor schon nach München gegangen, um dort zu studieren.Ja, ich habe da ein Zuhause gefunden.Sie kehren nicht zurück zur Natur und gründen später eine Landkommune auf dem Einödhof?Um Gottes Willen! Wann immer das in Mode war, zurück zur Natur, Schafe züchten und so was, habe ich mir an den Kopf gelangt und gesagt: Leute, ich komme vom Land, ihr wisst gar nicht, was euch da erwartet! Viele Landkommunen haben ja dann auch nicht lange überlebt. Kein Wunder, wenn man gar keine Ahnung von Landwirtschaft hat. Nur aus einer romantischen Vorstellung heraus kann das nicht gut gehen. Von dieser romantischen Vorstellung war ich geheilt.Was war denn an München so viel besser?Ich hatte dort meine politische Heimat gefunden: zunächst in der Frauenbewegung. Das war genau das, was ich unbewusst immer gesucht hatte: einen wirklichen Zusammenhang von Gleichgesinnten. In dem ist mir sehr viel bewusst geworden, darüber wie unsere Gesellschaft tickt, über die Zumutungen an Frauen. Da sind jeden Tag gleich fünf Groschen gefallen.Ihre politische Heimat ist in einer Partei aufgegangen, und diese Partei versucht in Bayern gegenwärtig mit einigem Aufwand, sich den Heimatbegriff anzueignen. Muss das sein?Bisher hatte Heimat hier immer etwas Ausgrenzendes: Die einen gehören dazu und die anderen gehören nicht dazu. So hat das die CSU praktiziert und versucht, den Heimatbegriff politisch zu instrumentalisieren: Ihre Protagonisten treten meist im Trachtenjanker auf, versuchen sich durch Kleidung zugehörig zu zeigen. Aber bei vielen ist das nicht authentisch. Anbiederung ist immer spürbar.Und Sie verkörpern stattdessen ein authentisches Heimatgefühl?Schon beim Kampf gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf in den Achtzigern haben wir gesagt: Wir wollen unsere Heimat bewahren. Da hat die oberpfälzer Bevölkerung Seite an Seite mit dem schwarzen Block demonstriert, und die oberpfälzer Bäuerin hatte überhaupt kein Problem, mit irgendeinem Berliner Antifa-Aktivisten untergehakt zu laufen. Das war ein unglaublich spannendes Bündnis.Wackersdorf haben Sie verhindert. Aber die CSU regiert heute immer noch Bayern, seit nunmehr 55 Jahren.Im Moment ist viel frische Luft in Bayern spürbar, jede Menge Dynamik und Aufbruch, weil es nicht mehr unrealistisch ist, die CSU bald in die Opposition zu schicken. Das käme einer Revolution für Bayern gleich. Aus Bayern ist in den vergangenen 30 Jahren ein anderes Land geworden. Wir haben durch unser politisches Handeln unser eigenes Land in unserem Sinne verändert. Bayern ist heute: Offener. Vielfältiger. Pluralistischer. Demokratischer. Ökologischer. Darum empfinden wir Grüne keine Fremdheit mehr gegenüber Bayern noch wird eine solche uns gegenüber empfunden.Dazu, dass die bayerischen Grünen einen Heimatkongress veranstalten, hat der CSU-Generalsekretär gesagt: "Sie haben die bayerische Heimat nie verstanden. Wer Kruzifixe aus den Klassenzimmern holen und islamische Feiertage einführen will, der will unsere bayerische Heimat nicht bewahren, sondern verfälschen."Ach, wissen Sie, die Zeiten der Gleichsetzung Bayern gleich CSU, die sind vorbei. Es ist nicht mehr das Land, in dem uns der Ministerpräsident "Ratten" und "Schmeißfliegen" nennt wie einst Strauß. Wir haben erfolgreich gegen dieses Negativbild von Bayern, wie es die CSU definiert hat, angekämpft. Wir haben unser Land zu einem Land gemacht, auf das wir "stolz" sein können.1990 haben die Grünen plakatiert: "Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter." Und jetzt sind Sie stolz auf ihr Land?Ja, ich verwende diesen schwierigen Begriff. Weil unsere Arbeit und unsere Leistung in der positiven Veränderung drin steckt. Heimat ist nicht etwas, in das du hineingeboren wirst und das immer so bleibt. Sondern Heimat ist das, wo es mir nicht egal ist, was um mich herum passiert. Wo ich mir mein Umfeld gestalte. In Bayern haben wir uns durch unsere politische Arbeit in unserem eigenen Land beheimatet. Jetzt geht es darum, diesen hochgradig belasteten Begriff "Heimat" aus dieser giftigen Tradition herauszukriegen.Es gibt da einen interessanten Vorschlag von einem grünen Kommunalpolitiker aus Schleswig-Holstein, wo der Landesverband eine ähnliche Heimat-Debatte führt. Er schreibt: "Heimat meint Weicheres, Weibliches, zielt auf Nähe und Geborgenheit."Einspruch. Das sind schon wieder solche Klischees: Geborgenheit, Wärme, Dazugehören, Angenommensein. Die als weibliche Eigenschaften zu deklarieren, schiebt das Thema gleich wieder ab: Die Frauen sollen sich drum kümmern. Das ist doch Quatsch. Die Fähigkeit, ein solches Gefühl von Geborgenheit, nach dem sich Menschen sehnen, geben zu können, die wünsche ich mir von allen Menschen, unabhängig von Rolle und Geschlecht.Haben Sie eigentlich ein Dirndl?Ich habe lange Zeit mit mir gehadert, ein Dirndl zu tragen. Doch auf dem Oktoberfest kommt man kaum drum rum. Aber den Bann so richtig gebrochen, hat im Grunde genommen Edmund Stoiber, 2003. Bis dahin habe ich auch beim Oktoberfest kein Dirndl getragen.Was hat Edmund Stoiber mit Ihrem Verhältnis zum Dirndl zu tun?2003 wurde er mit Zweidrittelmehrheit gewählt und meinte dann, er kann jetzt alles machen. In seinem Sparwahn hat er in allen Bereichen gekürzt und dabei alle rasiert: aus Versehen auch die Trachtenverbände. Die liefen dagegen Sturm und drohten, nicht mehr beim Oktoberfestumzug mitzulaufen. Das hat einen solchen Schock ausgelöst, dass Stoiber einlenkte und die Rücknahme dieser Kürzungen verkündete.Und aus Sympathie mit dieser Aktion tragen Sie heute Dirndl?Angesichts der Kürzungen bei Bildung, Sozialem und Umwelt war dann klar: Trachtler müsste man sein – dann würde man verschont bleiben. Und so zogen wir in Dirndl und Lederhose vor die Staatskanzlei und protestierten gegen Stoibers Spardiktat. Nur: Mein Vorstandskollege und ich, wir hatten kein Dirndl und keine Lederhose im Schrank. Also sind wir zum Kostümverleih und haben uns eine Tracht besorgt. Bei dieser Aktion habe ich dann gemerkt: Das macht Spaß, hat etwas Spielerisches.Jetzt werfen Sie sich aber den heimatlichen Trachtenjanker über.Ich habe diese spielerische Haltung weiterentwickelt. Ein Spiel mit Kleidung und Verkleidung. Ich fragte mich: Wenn Frauen aus Australien und Japan damit rumlaufen, was habe ich dann eigentlich für ein Problem damit? Ich bin schließlich hier aufgewachsen.Jetzt hängt also ein Dirndl in Ihrem Schrank?Drei. Und eine Lederhose.Das Gespräch führte .
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