Hauptsache reibungslos spekulieren

Regulierung Die USA machen vor, wie man das Rohstoffgeschacher eindämmt. Die EU-Kommission und die G20 tun es trotzdem nicht

Das Gesicht von EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier erkennen nicht viele. Kein Wunder, dass Foodwatch nicht ihn, sondern Josef Ackermanns Konterfei für eine Kampagne gegen Nahrungsmittelspekulation gewählt hat: ein breites Grinsen, zwei zum Victory-Zeichen geformte Finger, ein Slogan („Hände weg vom Acker, Mann“) – schon hat das Böse ein Gesicht, das jeder kennt.

Spekulanten wie die Deutsche Bank und deren Vorstandsvorsitzender Ackermann treiben die Preise für Essen in die Höhe und verursachen so Hunger: Als Adressat dieser Botschaft eignet sich auch Barnier. Denn er könnte die Spekulation mit Nahrungsmitteln eindämmen, tut dies aber nicht wirklich. Das wurde vergangene Woche deutlich, als Barnier vorstellte, wie die Kommission die EU-Finanzmarktrichtlinie zu überarbeiten gedenkt. Zwar sollen künftig sogenannte Positionslimits für Rohstoffderivate möglich sein, die den Marktzugang von Spekulanten eingrenzen würden. Dies entspricht einer Forderung von Nichtregierungsorganisationen. Erlassen dürfen diese Limits aber nur die Mitgliedsstaaten und nicht, wie einmal angedacht, die neue EU-Aufsichtsbehörde für den Wertpapierhandel ESMA. Regulierungsgegner Großbritannien kann damit gut leben. Zudem sollen die Positionslimits nur zeitlich befristet und für einzelne Händler gelten. „Das öffnet einer Umgehung Tür und Tor“, sagt Markus Henn, Finanzmarktexperte der Nichtregierungsorganisation WEED. „Solche Limits müssten ganze Händlerklassen betreffen, damit sie wirklich wirken.“ Für die Deutsche Bank etwa ist es ein Leichtes, ihr in Rohstoffen angelegtes Kapital auf Tochterfirmen zu verteilen.

Ausgerechnet an den USA hätte sich Barnier ein Beispiel für weitergehende Regulierung nehmen können: Dort hatte die Commodity Futures Trading Commission, zuständig für die Aufsicht des Rohstoff-Terminhandels, kurz vor der EU-Kommission dargelegt, wie sie die Vorgaben des Senats zur Finanzmarktregulierung umsetzen will: Ein Händler darf künftig Verträge für maximal 25 Prozent des vorhandenen Rohstoffs abschließen. Dabei müssen Händler ihre unterschiedlichen Anlagen zusammenfassen. Die in Europa kritisierte Umgehung soll so ausgeschlossen werden. Gut möglich, dass Investoren ihre Rohstoffgeschäfte nun zunehmend in Großbritannien statt in den USA abwickeln.

Eine Jahresernte an einem Tag

Trotzdem greifen die USA durch und kehren damit zu alten Regelungen zurück: Positionslimits gab es seit den 1930er Jahren. Erst die Deregulierung des Markts um das Jahr 2000 und der Einstieg von Banken, Versicherungen und Hedgefonds sorgten dafür, dass Warenterminbörsen heute eher dem Profit von Spekulanten denn ihrer eigentlichen Bestimmung dienen: den Produzenten und Abnehmern von Rohstoffen Preissicherheit zu gewähren. Inzwischen übersteigt die an einem Börsentag gehandelte Menge eines Rohstoffes wie Weizen oft dessen gesamte Jahresernte.

Dass dies die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe treibt – allein 2010 stiegen sie um ein Drittel –, haben Banker und viele Politiker lange bestritten. „Dafür gebe es keine wissenschaftlich fundierten Beweise, hieß es immer“, sagt WEED-Experte Henn. Doch zahlreiche Studien belegen mittlerweile, dass Essen nicht nur teurer wird, weil die Nachfrage analog zur Weltbevölkerung wächst und der Klimawandel Ernteausfälle verursacht. Sondern auch weil Finanzmarktakteure Weizen, Mais oder Zucker als Anlageobjekte entdeckt haben und diese massiv bewerben (siehe Text oben). Sogar einen mit der Materie befassten Agrarökonomen der EU-Kommission zitiert der Journalist Harald Schumann in einem gerade veröffentlichten Foodwatch-Report: „Es gibt immer mehr Belege, aber die interessierte Industrie leugnet, solange es geht.“ Sie haben damit Erfolg: Pensions- und Versicherungsfonds, denen NGOs den Rohstoffhandel untersagen lassen wollen, bleiben unangetastet.

Mitte Oktober wandten sich 450 Wirtschaftswissenschaftler aus aller Welt an die G20-Staaten, um sie zur Beschränkung der Spekulation aufzurufen. Angesichts einer Milliarde hungernder Menschen weltweit seien zumindest Positionslimits auf den Rohstoffmärkten unumgänglich.

Beim derzeitigen G20-Präsidenten Nicolas Sarkozy rennen die Ökonomen damit offene Türen ein: Vollmundig hatte der französische Präsident im Januar die Eindämmung der Nahrungsmittelspekulation zu einem Schwerpunkt für die G20 erklärt. Bleiben wird davon nach dem G20-Gipfel in Cannes Anfang November nicht viel; schon die Finanzminister der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer haben das Thema bei ihrem Treffen in Paris Mitte Oktober abblitzen lassen. In der Abschlusserklärung heißt es lapidar, für ein nachhaltiges Wachstum der Weltwirtschaft sei zentral, dass „die Rohstoffmärkte reibungslos funktionieren“.

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er beschäftigt sich mit Politik und Ökonomie, Steuer- und Haushaltsfragen von Hartz IV bis Cum-Ex und Ideen für eine enkeltaugliche Wirtschaft.

Sebastian Puschner

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