Schmerzlich betroffen

CSU Wie es um die Partei steht, zeigt sich an einem Sonntagvormittag im Bierzelt
Ausgabe 38/2018
Wenn der „Tempel der Politik“ nicht in Stimmung kommt, beschleichen den Animateur Zweifel
Wenn der „Tempel der Politik“ nicht in Stimmung kommt, beschleichen den Animateur Zweifel

Foto: Sebastian Widmann/Getty Images

Saftgulasch vom Allgäuer Jungrind mit Spätzle, Krautschupfnudeln, Leberkässemmel: Nein, das ist nicht das Menü für einen Brunch oder eine Vernissage in München, das ist ein Auszug aus der Speisekarte im Festzelt Wertach, an dessen 2.000 Insassen Markus Söder an diesem Sonntagvormittag sein Wort richtet.

Was er denn nach dem Parteitag in der Landeshauptstadt mache, hätten ihn Journalisten gefragt, so schildert es Bayerns Ministerpräsident, ob er vielleicht zu einem „Brunch“ oder einer „Vernissage“ gehe. „Lähmendes Entsetzen“ habe die Journalisten heimgesucht, als er vom anstehenden Besuch im Bierzelt, hier im Oberallgäu, erzählt habe.

Den Argwohn der Landbewohner gegenüber den Schickimicki-Städtern zu bedienen, das ist keine Erfindung Söders. „Ich habe am Münchner Marienplatz selten einen echten Bayern gesehen“, sagt er, und: „Der ländliche Raum ist der einzige Zukunftsraum für bayrische Identität.“ So etwas gehört zum CSU-Repertoire, ebenso wie das Schimpfen auf den Länderfinanzausgleich, die verächtliche Nennung des Namens Claudia Roth, die Warnung vor „Berliner Verhältnissen“. All das spult auch Söder im 3.000-Einwohner-Ort Wertach ab. Das Neue ist: Es zündet nicht mehr so richtig.

„Berliner Verhältnisse“ stehen im Freistaat heute nicht mehr nur für das, was Söder meint: Kriminalität, den Flughafen BER, einen unfähigen linken Senat. Sie stehen längst auch für eine Bundesregierung, die zu nichts fähig scheint als zu Streit über das Interview eines Geheimdienstchefs oder „Zurückweisungen an der Grenze“, zu denen es dann eh nicht kommt. An dieser Regierung ist die CSU beteiligt, zuvorderst mit ihrem Parteichef Horst Seehofer. Dessen Kapriolen nehmen im öffentlichen Diskurs so viel Raum ein, dass dort nicht einmal mehr einer der größten bisherigen CSU-Erfolge gebührend vorkommt: das gerade gestartete Baukindergeld, ein öffentliches Subventionsprogramm für die wohlhabende Klientel auf dem Land. Geschweige denn die zusätzlichen Wohltaten Söders zu Hause: bayrisches Baukindergeld, bayrisches Familiengeld, Landespflegegeld.

Wer glaubt, dass der 69-jährige Seehofer insgeheim hofft, sich nach der Landtagswahl am 14. Oktober aus Berlin zurückzuziehen, um im Süden endlich Ruhe zu finden, sollte nicht zu sicher sein. In Bayern erwartet ihn kein herzlicher Empfang. Viele sind nicht gut auf ihn zu sprechen, wie die CSUlerin Ende 40 beim Parteitag in München am Samstag: „Was er da in Berlin abzieht, das finde ich schlimm.“ Der spärliche Applaus nach Seehofers Rede spricht Bände. Schon vor dem Parteitag war von Erwin Huber, den Seehofer 2008 nach zwei kurzen Jahren an der CSU-Spitze abgelöst hatte, im SWR zu hören: „Das Erscheinungsbild der CSU auf Bundesebene seit einem halben Jahr ist miserabel, und Horst Seehofer hat durch seine Aktivitäten nicht dazu beigetragen, das zu beruhigen. Deswegen sind wir davon schon sehr schmerzlich betroffen.“

Ferngesteuert aus Berlin

Wenn Bayern bald einen neuen Landtag wählt, droht die CSU sogar das für sie desaströse Ergebnis der Bundestagswahl 2017 zu unterbieten: 38,8 Prozent. Dann winkt ihr die zweite Koalitionsregierung seit 1966, womöglich mit Partnern, die sie durch und durch für ferngesteuert aus Berliner Parteizentralen hält. Eine CSU, die ihre Dependance in Berlin selbst nicht recht in den Griff kriegt.

Seehofer ist im Bierzelt in Wertach ebenso wenig ein Thema wie Hans-Georg Maaßen. Söder ruft konsequente Abschiebungen straffälliger Migranten aus, es ist eine der wenigen Stellen, bei denen sich mal einer klatschend erhebt. Der breite Mittvierziger im karierten Hemd steht bald noch mal auf und klatscht heftig: als Söder zum Kampf gegen die Seit‘ an Seit‘ mit Neonazis marschierende AfD bläst und an den Straußschen Grundsatz erinnert, der dieser Tage so sehr verblasst: Rechts von der CSU darf es nichts geben.

In der aktuellen Ausgabe des Bayernkuriers, der Parteizeitung, widmen sich zweieinhalb Seiten der AfD, einer „zutiefst unbayerischen Partei“. Dass sich die CSU nun dazu herablässt, die AfD direkt anzugreifen, ist ein Indikator für die Stärke letzterer.

Ein Indikator für die Stärke der CSU ist die Reaktion des Publikums im Bierzelt, dem „Tempel der Politik“, wie Söder es nenne. So ist es nachzulesen in der Biographie Markus Söder. Politik und Provokation. Dessen Mentor Edmund Stoiber hat es den Autoren Roman Deininger und Uwe Ritzer erklärt: Das vordere Drittel der Bierbänke im Zelt füllt Parteivolk, viele Funktions- und Mandatsträger. Die zu animieren, sei keine Kunst. Vielmehr gelte es, die hinteren zwei Drittel zu begeistern.

Als Markus Söder nach etwa einer Stunde in Wertach mit seiner Rede endet, steht das vordere Drittel auf. Die hinteren zwei Drittel bleiben sitzen. Der Applaus dauert keine Minute. Dann wird die Bayernhymne gesungen. Jetzt stehen auch die hinteren zwei Drittel auf.

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er beschäftigt sich mit Politik und Ökonomie, Steuer- und Haushaltsfragen von Hartz IV bis Cum-Ex und Ideen für eine enkeltaugliche Wirtschaft.

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