Franz Josef Strauß und die Grüne Jugend Bayern wären sich wohl einmal einig gewesen, einig im Urteil über diese Veranstaltung: unerträglich. Ein bayerischer "Heimat-Kongress", mit Podien zu Dialektförderung, Denkmalschutz und Volksmusik-Boom – veranstaltet von der Grünen-Fraktion des bayerischen Landtags, nicht etwa von der Hüterin des heimatlichen Glaubensbekenntnis von Laptop und Lederhose, der CSU. Strauß nannte die Grünen seinerzeit noch "Schmuddelkinder" und ließ sie per Erlass von allen Staatsakten ausschließen, nachdem sie 1986 erstmals in den Landtag eingezogen waren.
So „reaktionär und gefährlich“ wie Strauß selbst ist schon allein das Wort „Heimat“ für die Jung-Grüne Jana Kehl. Den Kongress an diesem Samstag hält sie für eine „Anbiederung an konservative Wählerschichten“. Verzweiflung klingt in ihrer Stimme mit. Sie steht in einem umgebauten Salzspeicher in Regensburg, über ihr eine rustikale Holzdecke, neben ihr ein Ständer mit Lebkuchenherzen: „Heimat“ steht auf diesen, dazu das Parteilogo. Als „Tapferkeitsmedaille“ bezeichnet Kongress-Organisator und Landtagsabgeordneter Sepp Dürr die Lebkuchenherzen später, „fürs Durchhalten“.
Kampf um die Deutungshoheit
Im Grunde ist der ganze Kongress eine Belohnung, die sich Dürr, Jahrgang 1953, und seine Generationsgenossen gönnen: Jahrzehntelang fochten sie gegen die CSU-Definitionshoheit, zu bestimmen, was bayerisch ist und was nicht. „Wir haben früh gemerkt, dass wir die von der CSU betriebene Identifikation mit Bayern aufbrechen müssen, wenn wir im Land einen Fuß auf den Boden bekommen wollen“, sagt Dürr.
Inzwischen stehen die Grünen mit beiden Füßen auf bayerischem Boden und sind mit 19 Abgeordneten im Landtag. Selbst Pessimisten wollen nicht mehr ausschließen, dass nach den Wahlen 2013 ein Bündnis aus SPD, Freien Wählern und Grünen die CSU erstmals seit 1957 in die Opposition schicken könnte. Zeit also, der CSU ihr ureigenstes Terrain, das chronisch positive Verhältnis Bayerns zu sich selbst, auch offiziell streitig zu machen.
Und so erklären auf dem Kongress zwei Forscherinnen vom Unterfränkischen Dialektinstitut, dass es sinnvoll sei, den Kindern ihre Mundart nicht auszutreiben, sondern die „Zweisprachigkeit“ zu fördern. Der Generalkonservator des Landesamtes für Denkmalpflege beklagt die Deregulierung der Denkmalpflege unter Edmund Stoiber. Er bekommt Applaus dafür, dass ihm bei Landschaften mit Windrädern ebenso das Herz aufgeht wie beim Anblick schneebedeckter Alpengipfel. Widerspruch regt sich nur, als er die Fläche denkmalgeschützter Gebäude, die sich für Solarmodule eignen, als kleiner beziffert als manch anderer hier. Aber nachdem er Bilder von Kirchen und Bauernhäusern gezeigt hat, bei denen Solarkollektoren „ästhetisch besonders gelungen“ angebracht wurden, endet der Workshop harmonisch.
Den Klimaschutz hat längst auch die CSU für sich entdeckt. Aber sie kann nicht mehr einfach ein Thema für sich okkupieren. Denn die Bevölkerungsstruktur hat sich verändert. In der Überzahl seien nun jene, die die CSU mit ihrem Heimatverständnis immer ausgegrenzt habe, sagt Sepp Dürr, „Frauen, Eingewanderte, Menschen, die nicht heterosexuell verheiratet oder nicht in der CSU sind“.
Das schlägt sich auch im Alltag eines grünen Basismitglieds nieder. Sepp Baumann steht in der Mittagspause an einem Bistrotisch, vor sich einen Teller mit Schupfnudeln und Sauerkraut, daneben eine Unterschriftenliste gegen den Bau einer dritten Startbahn für den Münchner Flughafen. Baumann, graue Haare, grauer Vollbart, kommt aus einem 4.000-Seelen-Dorf in der Oberpfalz. Sein Vater war dort Bürgermeister, für die CSU. Bei den Familienfeiern kam es nicht gut an, wenn der Sohn mit Stoppt-Strauß-Ansteckern auftauchte.
Und Baumanns Tochter konnte später ihre Grundschulfreundin nicht mit nach Hause bringen, weil deren Eltern der grüne Baumann nicht geheuer war. Inzwischen, sagt Baumann, sei es schon eine Weile her, dass er den letzten anonymen Schmähbrief bekommen habe. Neulich am Stand ihrer Ortsgruppe beim Adventsmarkt hätten Nachbarn ihn erstaunt gefragt, warum er denn nicht in Gorleben demonstrieren sei. „Mit viel Sympathie in der Stimme.“
In den Achtzigern kämpften Bayerns Grüne mit gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf ebenso wie später gegen den Transrapid in München. Bauern, Grüne und Punks demonstrierten zusammen. Den Sound zum bayerischen Block lieferten Liedermacher und Kabarettisten: „Was man liebt, das betoniert man nicht“, zitiert Dürr Bayerns oberste kabarettistische Instanz Gerhard Polt.
Linke Volksmusik
„Was hätten wir nur ohne die Biermösl Blosn gemacht?“, fragt eine Frau beim Forum zum „Bayerischen Volksmusik-Boom“. Seit 35 Jahren stellen die Biermösl Blosn nicht nur die Obrigkeiten des Freistaats mit Volksmusik bloß, sondern kommen auch zum Benefiz-Konzert, wenn eine Schule die NS-Vergangenheit ihres Ortes erforschen will und daran gehindert wird. Ende des Jahres gehen die Biermösln auseinander, sie haben ihr Werk vollbracht, „bayerische Volksmusik ist heute ja fast schon linke Subkultur“, sagt eine Teilnehmerin.
Auf dem Kongress singt das Volksmusik-Quartett „Zwirbeldirn“ etwa Geschichten von einer Tochter, die die Familienmetzgerei übernimmt, weil sie das Schlachten ebenso liebt wie das Dichten. „Wurst Poesie“ heißt das Stück. „Zwirbeldirn“ sind drei Frauen an Geigen und Bratsche, ein Mann am Kontrabass, bayerische Mundart, kein Dirndl, keine Lederhose.
Bayerischer Volksmusik wie dieser als Grüne begeistert lauschen zu können, das sei, wie sich in eine „Hängematte“ sinken zu lassen, sagt eine Frau. Franz Josef Strauß wird wohl im Grabe rotieren. Aber das machte er vermutlich auch schon im Oktober 1988. Seine Beerdigung war der erste bayerische Staatsakt, an dem die Grünen teilnehmen durften.
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