Only Lindner could go to Kreditaufnahme

Ampel Vor allem Linke sind empört, dass der FDP-Chef Finanzminister werden wird. Doch daran sind sie selbst nicht unschuldig. Zudem ist seine Nominierung gar keine so schlechte Idee
Die Ministerien für Justiz, für Verkehr und Digitales sowie für Bildung und Forschung hat Christian Lindner für die FDP herausverhandelt –  und das Bundesfinanzministerium
Die Ministerien für Justiz, für Verkehr und Digitales sowie für Bildung und Forschung hat Christian Lindner für die FDP herausverhandelt – und das Bundesfinanzministerium

Foto: Filip Singer - Pool/Getty Images

Es ist passiert. Christian Lindner wird in der Ampel-Koalition das Bundesfinanzministerium übernehmen. Die Vorstellung des rot-grün-gelben Koalitionsvertrags und Kabinetts an diesem Mittwoch bestätigten: die FDP erhält die Zuständigkeit für die Finanzen; der Parteichef besetzt den zentralen Posten. Damit tritt das ein, wovor in den vergangenen Wochen viele eindringlich gewarnt hatten – vor allem Linke.

„Das hat Athen nicht verdient“, beschwor der Ökonom Adam Tooze fatale Folgen einer marktliberal geprägten deutschen Finanzpolitik für Europa in Guardian sowie Freitag, legte mit seinem Kollegen Joseph E. Stiglitz in der Zeit dann noch nach: „Es wäre ein Fehler, ihm seinen Wunsch zu erfüllen.“ Auf Meinungs-Plattformen wie Twitter hatte manch einer schon kurz nach der Bundestagswahl das Schreckgespenst an die Wand gemalt, ein Finanzminister Lindner als Bremse für alle progressiven Projekte dieser Regierung erschien spätestens in den vergangenen Wochen unausweichlich. Eisenharter Verteidiger der Schuldenbremse in Zeiten höchster Notwendigkeit von Investitionen nicht nur für die Klimapolitik, Vertreter einer Steuerpolitik zugunsten der Reichen inmitten polarisierender Ungleichheit – die Vorwürfe gegen Christian Lindner lagen auf der Hand.

Linke Eifersucht

Die Nominierung des FDP-Chefs ist zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung geworden, der Ökonom Jens Südekum („Schulden entlasten kommende Generationen!“) hat Recht behalten mit seiner Warnung an die Warner: Je höher Lindner-Kritiker die Lautstärke drehten, desto größer wurde der Druck auf diesen, in den Koalitionsverhandlungen das Finanzministerium „jetzt erst recht“ zu ergattern. Ab einem bestimmten Punkt hätten die eigenen Reihen ihm alles andere nur noch als kolossale Niederlage ausgelegt und den Eintritt der Liberalen in diese Regierung möglicherweise sogar in Zweifel gezogen.

Gerade bei Finanzpolitikern der Linkspartei ist hier womöglich eine mehr oder weniger unterbewusste Eifersucht im Spiel: während das parteiinterne Interesse an Fiskalpolitik unter Linken eher defizitär ausgeprägt ist, besitzt es bei der FDP höchsten Stellenwert. Ähnlich bei der SPD: deren größter Coup bei Neuaufnahme der Großen Koalition 2017/2018 war es, der CDU und Wolfgang Schäuble das Finanzministerium abgenommen zu haben.

Aus diesem zieht Olaf Scholz nun um ins Kanzleramt. Wird sein Nachfolger Christian Lindner nun alles in Schutt und Asche legen, was der SPD-Mann unter den Erfordernissen der Corona-Krise aufzubauen begonnen hat? Den Schritt hin zu einer Vergemeinschaftung der Kreditaufnahme innerhalb Europas, das vielzitierte „Hamilton-Momentum“, nach dem US-Finanzminister benannt, der Selbiges einst für die Staatenunion der USA auf den Weg gebracht hatte? Kehren wir zurück unter die Fuchtel der schwäbischen Hausfrau, zur schwarzen Null, zum Schuldenbremsen-Regime?

Kredit-Garant Corona

Das ist alles andere als garantiert. So lange die Corona-Pandemie Deutschland im Griff hat und partielle oder weitgehende Lockdowns nach sich zieht, bleibt die Ausreichung staatlicher Hilfen alternativlos, will die neue Regierung nicht eine soziale Explosion provozieren. Daran kommt auch Christian Lindner nicht vorbei, und die dafür nötige Aufnahme von – für den deutschen Staat sehr vorteilhaft konditionierten – Krediten hat die Schuldenbremse auch in den vergangenen knapp zwei Jahren nicht verhindert.

Ähnlich ist es mit der Klimakrise: Zwar steht nicht in Aussicht, dass die Ampel nun plötzlich beginnt, verstärkt deren Hauptverursacher – vermögens- und einkommensstarke Haushalte – steuerpolitisch in die Verantwortung zu nehmen. Innovations- und technologiebasierte Wege aus dem Klimakollaps aber, wie sie die FDP favorisiert, kosten Geld – wie die Digitalisierung und wie überhaupt alles, was „Aufbruch“ oder „Modernisierung“ darstellen soll – mit Einlösung eben dieser Versprechen steht und fällt der Erfolg der Ampel-Koalition in den nächsten Jahren.

Es liegt deshalb nah, für Lindners Amtszeit die Devise „Only Nixon could go to China“ in den Raum zu stellen – wie nur ein strammer Republikaner wie Richard Nixon eine diplomatische Offensive der USA gegenüber dem kommunistischen China realisieren konnte, so vermag womöglich nur ein seinem Image nach „solider“ Finanzminister das „stabilen Finanzen“ sehr zugewandte deutsche Wahlvolk mit Investitionsausgaben ungeheuren Ausmaßes zu versöhnen.

Schulden im Schatten

Woher aber soll das Geld kommen, wenn doch die FDP Staatsschulden ebenso ablehnt wie Steuererhöhungen für Reiche oder neue Steuern wie eine zuletzt gehandelte Zuckersteuer auf besonders gesüßte Getränkefür eine solche hätte es auch abseits der Einnahmenerfordernisse des Staates allzu gute Gründe gegeben. Gereicht hätte deren Aufkommen natürlich nicht, um die Transformation der Republik zu finanzieren.

Was dabei helfen soll, das pfiffen die Spatzen längst von den Dächern und der Koalitionsvertrag bestätigt es: Investitionen werden einfach abseits des Bundeshaushalts in staatliche Unternehmen und öffentliche Fonds ausgelagert.

Derlei Vorgehen ist bedenklich in Hinblick auf die Demokratie – beschneidet es doch faktisch das Parlament in seinem Königsrecht, der Entscheidung über die Finanzen. Doch längst hat sich eine Stimmung breitgemacht, die staatliches Handeln vor allem wegen der Klimakrise für so überfällig hält, dass sie sich mit Sorgen um demokratische Standards nicht lange aufhalten will. Zumindest verspricht die Ampel, „bei staatlichen Gesellschaften die parlamentarische, öffentliche und exekutive Kontrolle“ auszubauen.

So soll nun der Energie- und Klimafonds zu einem Klima- und Transformationsfonds werden, vor allem aber die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) „stärker als Innovations- und Investitionsagentur wirken“. Staatliche Garantien für die Kredite einer öffentlichen Institution, mitsamt der Hebelung privaten Kapitals – schon SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hatte den Weg der KfW „zur Investitions- und Innovationsagentur für neue Infrastruktur, Digitalisierung und Dekorbanisierung“ während der Koalitionsverhandlungen skizziert, er weiß sich dabei mit Olaf Scholz im Bunde, der seine Zuarbeiter genau das längst hat modellieren lassen. Progressive Ökonominnen wie Mariana Mazzucato betonen schon seit langem, welche Potenziale Deutschland mit einem Akteur wie der KfW an der Hand hat.

Der Staat baut selbst

Zudem wollen die Koalitionäre laut ihrem Vertrag „bestehende staatliche Gesellschaften wie die Deutsche Bahn AG (Infrastrukturbereich) oder die BImA“ in ihren Finanzierungsmöglichkeiten stärken: „Dafür können von Fall zu Fall Instrumente wie Kreditermächtigungen und Eigenkapitalstärkung genutzt werden.“

Die BIma, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, soll „selbst investieren und bauen“ – der Staat als Bauherr, das spricht nun mal so gar nicht dafür, dass sich in den Koalitionsverhandlungen einzig und allein die FDP durchgesetzt hat. Entsprechend übernimmt die SPD ein eigenes Ministerium für Bauen. Übrigens hat Olaf Scholz an den Spitzen sowohl der KfW als auch der BIma in jüngster Zeit ihm gut vertraute Weggefährten installiert.

Derweil harren ja andere finanzpolitisch entscheidende Stellen als die des Finanzministers weiter einer Neubesetzung – bei der Nominierung der künftigen Spitze der Bundesbank etwa dürfte die FDP jetzt kaum mehr entscheidend Einfluss nehmen können, nachdem sie den Finanzminister stellen darf. Wie der mit dem Personal umgeht, das er in seinem Hause vorfindet, wird jetzt spannend zu beobachten sein. Olaf Scholz hat in seiner Zeit als Minister einige finanzpolitisch progressive Köpfe mit höchster Qualifikation in die Wilhelmstraße 97 geholt – etwa Jakob von Weizsäcker als Chefökonomen. Auch Scholz hielten ja viele einst für einen finanzpolitischen Betonkopf.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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