So zerstören sie sich selbst

CDU Annegret Kramp-Karrenbauer und ihre Partei geben ein schlechtes Bild ab. Dahinter steckt mehr als Unbeholfenheit im Umgang mit Youtubern
Den Blick abwärts gen Zukunft: Annegret Kramp-Karrenbauer
Den Blick abwärts gen Zukunft: Annegret Kramp-Karrenbauer

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Es schien sich für die CDU alles so schön zu glätten, Ende 2018: Annegret Kramp-Karrenbauer hatte Friedrich Merz geschlagen, die ideale Erbin Angela Merkels übernahm das Konrad-Adenauer-Haus, und wann sie ins Kanzlerinnenamt einziehen würde, das schien nur noch eine periphäre Frage des Zeitpunkts und der koalitionären Grundierung (Schwarz-Grün? Jamaika?) zu sein.

Nun, nach dem ersten Wahltag, für dessen CDU-Ergebnis die neue Parteichefin verantwortlich zeichnet, könnte man fragen: ist das Kanzlerinnenamt jemandem anzuvertrauen, der schon aus einer Parteizentrale heraus dermaßen desaströs agiert?

Was für ein Desaster

Wir erinnern uns: Das Video des 26-jährigen Youtubers Rezo, Die Zerstörung der CDU, wollte letztere mit einer Antwort ihres 26-jährigen Abgeordneten Philipp Amthor kontern, zog dann aber zurück. Stattdessen veröffentlichte die Partei Kramp-Karrenbauers ein elfseitiges pdf-Dokument, was schon der Form nach Spott garantierte – Youtube vs. pdf, höhöhö. Reichweitenstarke Youtuber legten mit einem weiteren Video nach. Das wiederum verleitete Kramp-Karrenbauer am Tag nach der Wahl zu einem weiteren in Sachen Format und Medium fragwürdigen Vergleich: Mehr als 90 Youtuber verglich sie mit „sagen wir mal, 70 Zeitungsredaktionen“ und fragte, was wohl im Land losgewesen wäre, hätten diese Redaktionen „zwei Tage vor der Wahl erklärt, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: wählt bitte nicht CDU und SPD“. Was die CDU-Chefin in Bezug auf „Meinungsmache“ räsonieren ließ: „Was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich, und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich, ja oder nein?“

Seitdem läuft eine Debatte, in der Kramp-Karrenbauer die Absicht zur Beschneidung der Meinungsfreiheit unterstellt, die damit aber an Punkten vorbeigeht, die durchaus interessant zu diskutieren wären.

Denn zum ersten ist die Frage nach Regulierung, die Kramp-Karrenbauer so nicht gestellt hat, die aber ihre Kritiker nun in den Raum stellen, hinsichtlich der digitalen Sphäre ja durchaus virulent. Sie sollte sich aber vielmehr um die Macht und Monopolstellung digitaler Plattformen wie Youtube, Google und Amazon drehen; daran, „soziale Medien als eben die öffentlichen Einrichtungen zu regulieren, die sie sind“, hat aber unter anderem die CDU kein Interesse, denn da wäre man schnell beim Thema Vergesellschaftung. Statt Macht und Eigentum der Digitalkonzerne grundsätzlich zu diskutieren, durchströmt einschlägige Internetseiten ein unfundiertes Raunen über das Rezo-Video als vermeintliche grüne Auftragsarbeit. Und im Übrigen steckt der Diskurs darüber, wie öffentlich regulierte Alternativen zu Youtube, Facebook & Co. konkret aussehen könnten, von einigen zarten Ansätzen abgesehen, noch in den Kinderschuhen.

Jenes poröse Versprechen

Zum zweiten steckt in den Aussagen der CDU-Chefin bei ihrer Pressekonferenz Stoff, der aufmerksamkeitsökonomisch weniger attraktiv sein mag, als sich über vermeintliche Zensurpläne zu erregen oder sich über das Irrlichern alter Parteien im Zuge des Wandels der medialen Öffentlichkeit lustig zu machen. Der aber lohnenswert zu analysieren ist, weil er die schon lange geführte Debatte über den „Niedergang der Volksparteien“ CDU und SPD aktualisiert.

„Als Volkspartei“, sagte Kramp-Karrenbauer, hat „für uns eben auch die Frage von Sozialverträglichkeit, von Arbeitsplätzen eine Relevanz. Und wir wollen eine Antwort darauf geben, die beides in den Blick nimmt und nicht sagt, wir gehen da ganz radikal nur in die eine Richtung.“ – „Die eine Richtung“, das wäre dann wohl – mit Blick auf das bei der Europawahl für die Wählenden maßgebliche Thema, die bedinungslose Priorisierung von Klima- und Umweltschutz – und, auch in Erinnerung an Rezos Video, die entschlossene Bekämpfung der sozialen Ungleichheit.

Was die CDU-Chefin meint, das wird beim Blick auf das am Mittwoch noch immer ganz oben im Youtube-Kanal platzierte Europawahl-Video der Partei deutlich: Die Rede ist dort von einem Europa, das die Wirtschaft stärke und zugleich die Umwelt schütze, das kraft der Christdemokratie Wohlstand, soziale Sicherheit und gute Jobs garantiere. Eben dies ist das porös gewordene Versprechen, aus dem sich bis in die 1980er Jahre die „stabilisierende Logik der Volksparteien“ (Oliver Nachtwey) speiste und in dem sich CDU wie auch SPD „als Sozialstaatsparteien“ verstanden, „die durch ihren Beitrag zum Auf- und Ausbau des Wohlfahrtsstaates großes Vertrauen in der Bevölkerung genossen“.

Kühnert? Merz?

Dass dieses Vertrauen dahin ist, wird in Deutschland, wo der Neoliberalismus im Vergleich etwa zu Großbritannien später und abgeschwächter Einzug hielt, eben auch später spürbarer als anderswo – nunmehr verstärkt durch die immer sicht- und spürbarer werdenden Folgen des Klimawandels, resultierend also aus einer auf fossilem Brennstoff beruhenden und allein auf quantitatives Wachstum zielenden Wirtschaftsweise. Jenes Versprechen von starker Wirtschaft und geschützter Umwelt zieht nicht mehr, was nun besonders stark im tatsächlichen Wahlverhalten junger Menschen deutlich wird und noch deutlicher werden dürfte bei der Stimmabgabe künftiger Wähler.

Das sind allesamt keine neuen, sondern absehbare Entwicklungen, die aber eben wohl in diesem Wahlmonat Mai 2019 eine bundesweit nie zuvor dagewesene Zuspitzung erfahren haben und massenmedial vermittelt noch von der offensichtlichen Unbeholfenheit begleitet wurden. Eben diesen Entwicklungen von Seiten der einstigen Volkspartein doch noch entgegenwirken zu können – dafür gab zuletzt höchstens der Sozialdemokrat Kevin Kühnert mit seinen Überlegungen zu neuen Formen öffentlichen Eigentums Hoffnung. An der Wahlurne hat sich dies am vergangenen Sonntag aber überhaupt nicht materialisiert, zu marginal wohl auch seine Position als Chef der Jusos; aber wenn die SPD schon personalpolitische Neujustierungen in Aussicht stellt, dann sollte sie wohl mit ihm planen – weit und breit ist sonst absolut niemand in Sicht, der die Frische mitbringt, um den sozialen und ökologischen Herausforderungen zu begegnen. Ob auf Seiten der CDU indessen der sich zu Wort meldende Friedrich Merz die Verheißung auf den Fortbestand als Volkspartei ist, darf bezweifelt werden. Läuft bei Schwarzen und Roten alles weiter wie bisher, und danach sieht es aus, werden sie damit nur einlösen, was der Youtuber Rezo eben attestiert hatte: den Selbstvollzug ihrer Zerstörung.

Bleiben die Grünen als der eine große Wahlgewinner (neben, vielerorts wie in Görtlitz, der AfD), deren Parteivorsitzender Robert Habeck zumindest zur Zukunft des Sozialstaates Radikal-Neues vorgelegt hat, wie bisher sonst kaum jemand von Relevanz. Klima- und Umweltkompetenz billigen – nicht nur, aber vor allem – die Jüngeren den Grünen ohnehin zu wie keiner anderen Partei. Weigern sie sich aber weiter, ihrer Wählerschaft „nun die Wahrheit zu sagen“, könnte aber auch diese zunehmend ungeduldigere Hoffnung, nun endlich mehr als die schwarz-rote Verwaltung des Staus quo zu sehen, brüchig werden.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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