„Starre Denkmuster bringen uns nicht weiter“

Interview Antje von Dewitz leitet die Bergsportfirma Vaude. Deren Image könnte grüner und sozialer nicht sein. Warum kooperiert Vaude jetzt mit Aldi und Lidl?
Ausgabe 39/2015

Bauernhöfe, Kirchtürme, Hopfenfelder und dann, mitten in der schwäbischen Provinz: ein Unternehmen mit 500 Mitarbeitern, in dem 38 Prozent der Führungskräfte Frauen sind. Im Weiler Obereisenbach, nahe des Bodensees, hat der Bergsport-Ausrüster Vaude seinen klimaneutralen Firmensitz mit Bio-Kantine und Reparaturservice für kaputte Produkte. 1974 von Albrecht von Dewitz gegründet, führt dessen Tochter Antje heute die Geschäfte. Sie gründete hier 2001 ein Kinderhaus mit Krippe, Kita und Hort, machte Teilzeit zur Normalität und heimst Preise ein: für Familienfreundlichkeit und für die hohen ökologischen und sozialen Standards, mit denen Vaude seine Zelte, Rucksäcke und Wetterjacken produzieren lässt. Auf dem Weg zu Antje von Dewitz, im Flur der lichtdurchfluteten Zentrale, sagt eine Mitarbeiterin zur anderen: „Komm heute bitte vor 14 Uhr zu mir, ich habe etwas Dringendes zu besprechen.“ Antwort: „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“ Darauf die erste: „Du musst, ich bin ab zwei weg!“

der Freitag: Frau von Dewitz, bis 2015 wollte Vaude die nachhaltigste Outdoor-Firma Europas sein. Wie sieht’s aus?

Antje von Dewitz: Wir müssen das jedenfalls nicht mehr selbst von uns behaupten, das tun andere: In zahlreichen Umfragen, ob unter Kunden oder Händlern, werden wir als der nachhaltigste Ausrüster gesehen. Aber die ganze Branche hat sich geändert! Sie war in den letzten Jahren unter starkem Beschuss einiger Nichtregierungsorganisationen. Das hat dafür gesorgt, dass sich viele Firmen nun stärker engagieren und Outdoor heute der Vorzeigebereich innerhalb der Textilbranche ist.

Heute macht jeder auf ökologisch und sozial gerecht.

Aber das ist gut so, denn nur gemeinsam können wir etwas bewegen. Nachhaltigkeit ist kein Einzelwettbewerb, sondern ein Teamsport. Uns unterscheidet von anderen, dass wir nicht punktuell und projektbezogen auf das reagieren, was gerade öffentlich relevant ist, sondern dass wir in allem, was wir tun, nachhaltig sind.

Zur Person

Antje von Dewitz, 43, ist studierte Kulturwirtin und hat über „Leistungsstarke Arbeitsverhältnisse in kleinen und mittelständischen Unternehmen“ promoviert. Ihr Vater, aus Norddeutschland nach Württemberg gezogen, gründete 1974 Vaude, was für die Initialen des Familiennamens steht. Antje von Dewitz absolvierte Praktika bei Medien, NGOs und Vaude. Dort blieb sie, übernahm 2005 die Marketingleitung und 2009 die Geschäftsführung. Sie hat vier Kinder

Aber um wetterfeste Taschen und Jacken zu produzieren, sind Sie wie andere auf giftige Chemikalien angewiesen.

Jein. Nehmen Sie das Beispiel PVC: Das macht eine Satteltasche sehr langlebig, robust und schön weich. Aber leider sind da krebserregende Weichmacher drin, die bei der Entsorgung als Sondermüll gelten, außerdem werden für die Produktion von PVC schädliche Chemikalien eingesetzt. Ersatz zu finden war schwierig, das Material kostet 100 Prozent mehr und das bezahlt uns kein Mensch. Wir haben aus der laufenden Kollektion trotzdem alles bis auf eine Tasche umgestellt.

Jetzt kostet alles das Doppelte?

Nein, denn die Bereitschaft, mehr zu zahlen, liegt nur zwischen fünf und acht Prozent. Im Schnitt kostet es uns 10 bis 15 Prozent, ein Endprodukt auf nachhaltige Basis umzustellen. Leisten können wir uns das nur, weil irgendwann klar war, dass wir es nur ganz oder gar nicht machen können.

Ganz oder gar nicht?

Anfangs haben wir für einzelne ökologische Projekte viel Geld ausgegeben. Beim Kunden kam das aber nicht an, wir konnten so keine großen Veränderungen bewirken und unsere Mitarbeiter wurden eher demotiviert. Uns war klar: Die ganze Marke muss ausstrahlen, dass wir uns von Kopf bis Fuß auf Nachhaltigkeit einstellen und damit auch etwas erreichen. Genau das erleben wir jetzt: Vaude hat hohe Vertrauens- und Sympathiewerte, wir wachsen seit Jahren über europäischem Durchschnitt.

Ohne Wachstum wäre Ihre Transformation nicht zu haben.

Wir können sie uns leisten, weil wir die höheren Kosten durch mehr Umsatz kompensieren, aber auch weil wir höhere Preise erzielen können. Das sind dabei nur zwei Bausteine von mehreren.

Bis 2011 war Ihr jährliches Umsatzplus stets zweistellig, 2014 lag es bei nur noch zwei Prozent.

Die Outdoor-Branche ist relativ jung, 40 Jahre etwa. Sie macht eine typische Entwicklung durch: Erst gab es wahnsinnige Wachstumsraten, das hat viele Finanzinvestoren angezogen. Jetzt sind wir in der Konsolidierungs- und Konzentrationsphase: Survival of the Fittest. Quasi monatlich kommt es zu Übernahmen, es tobt ein unheimlich preisintensiver Wettbewerb.

Wie oft bekommen Sie denn Übernahmeangebote?

Regelmäßig, allerdings früher häufiger. Vielleicht habe ich zu deutlich gemacht, dass das für uns keinesfalls eine Option ist.

Im Gegensatz zur Konkurrenz veröffentlichen Sie keine absoluten Geschäftszahlen, dafür aber eine Bilanz nach den Kriterien der Gemeinwohlökonomie.

Ja, ich finde die Philosophie dahinter großartig: Unternehmen nicht allein nach finanziellen Kennzahlen zu bewerten, sondern nach allem, was sie tun. Nach sozialer, ökologischer und genauso nach demokratischer Verantwortung.

Der Bilanz nach ist die soziale Gestaltung der Produkte eine Ihrer Schwachstellen. Sie haben keine billigeren Preise für eine weniger zahlungskräftige Klientel.

Das stimmt, und es ist ja sogar umgekehrt: Wir müssen globalen Handelskonzernen, die unsere Produkte kaufen, billigere Preise machen. Aber das Konzept der Gemeinwohlökonomie hat auch Extreme, die fern meines wirtschaftlichen Alltags liegen.

Welche?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass eines Tages die Mitarbeiter die Führungskräfte wählen oder wir unsere Firma vergesellschaften.

Wieso nicht?

Weil es ein Familienunternehmen ist, an dem mein Vater, meine Schwestern und ich beteiligt sind und für das wir seit vielen Jahren die Verantwortung tragen. Schwer vorstellbar, dass wir uns davon lösen, vor allem für meinen Vater, der alles selbst aufgebaut hat.

Er hat ja heute ein neues Betätigungsfeld gefunden.

Ja, er hat eine Produktionsstätte für Rucksäcke in Vietnam gegründet.

Ein Drittel Ihrer Produkte beziehen Sie aus eigener Produktion, zwei Drittel von unabhängigen Herstellern. Wer garantiert Ihnen da einen wirklichen Überblick über die Arbeitsbedingungen?

Erst einmal arbeiten wir nicht nach dem Prinzip fast fashion. Das heißt, wir sind nicht in Bangladesch, um dort Aufträge zu versteigern und so von Produzent zu Produzent zu hüpfen. Wir brauchen hochwertige Maschinenparks und qualifizierte Mitarbeiter, was die Gefahr von Kinderarbeit minimiert. Wir arbeiten sehr, sehr langfristig mit unseren Produzenten zusammen, haben persönliche Teams vor Ort, die in die laufende Produktion reingehen. Und wir sind seit 2010 Mitglied der Fair Wear Foundation.

Einer Initiative, die Labels für faire Arbeitsbedingungen vergibt.

Es ist die strengste Organisation dieser Art. Wir mussen in drei Jahren mindestens 90 Prozent unserer 60 Produktionsstätten auditieren lassen. Normalerweise haben wir mit zwei bis zehn Prozent, die wir als Auftraggeber in einer Produktionsstätte ausmachen, keinen kompletten Einblick in Sachen Arbeitsverträge, Überstunden und Versicherung. Genau das ist es, was die Fair Wear Foundation macht. Sie führen Audits in den Firmen durch, befragen die Mitarbeiter in der Landessprache, kontrollieren Sicherheitsstandards, Verträge, Überstunden. In den Betrieben hängen Telefonnummern aus, unter denen sich Mitarbeiter anonym beschweren können. Vor allem aber werden wir selbst überprüft.

Inwiefern?

Wir müssen unsere Prozesse so planen, dass vor Ort verantwortungsvoll produziert werden kann: Material muss rechtzeitig eingekauft und zur Verfügung gestellt werden, wir müssen den Produzenten genügend Zeit einräumen. Bei vielen Herstellern gehen die Bestellungen hoppla hopp raus, sodass die Produzenten die viel zu kurzen Lieferzeiten nur mit Überstunden einhalten können. Oder es wird nur auf den Preis geschaut, um ihn immer weiter zu drücken.

Für die meisten in der Branche sind diese Praktiken Usus. CSU-Bundesentwicklungsminister Gerd Müller will das mit einem „Textilbündnis“ ändern. Zu den Mitgliedern zählen Lidl, Aldi, C&A, H&M – und Vaude. Warum?

Weil es nie gegeneinander, nur miteinander geht. Ein Freund-Feind-Denken bringt uns in Sachen Nachhaltigkeit nicht weiter.

Sie waren eines der ersten Mitglieder. Große Unternehmen und Verbände zierten sich zunächst.

Das Ganze wurde anfangs als Elitebündnis angesehen für alle, die sich bereits engagieren. Die Textilverbände haben sich das erst genau angesehen und geprüft und dann sind auch sie beigetreten. Das ist ein wichtiger Schritt, der zu wachsender Bewusstseinswerdung in der Öffentlichkeit beiträgt. Ein Baustein vonseiten der Politik, der vielleicht bisher noch gefehlt hat.

Am Ende könnte trotzdem lediglich der schöne Schein einer PR-Kampagne stehen.

Das glaube ich nicht, denn das Wissen um Produkte und Arbeitsbedingungen wird bei Handel und Kunden immer größer. Ein Schritt zurück ist schlicht nicht möglich. Das zeigt mir die Erfahrung aus anderen Bereichen wie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

43 Prozent Ihrer Belegschaft arbeiten in Teilzeit.

Es sind schon über 50 Prozent.

Aber die Frauen sind dabei immer noch in der Überzahl?

Ja, doch die Männer holen auf. Ich habe schon drei Abteilungsleiter, deren Frauen Karriere machen und deshalb unter der Woche in einer anderen Stadt leben. Die Kollegen müssen um 17 Uhr ihre Kinder aus unserem Kinderhaus abholen. Wissen Sie, in Deutschland kommen auf 1.000 Einwohner acht Kinder, bei unseren 500 Mitarbeitern sind es heuer schon 23.

Sie haben mal gesagt, Sie würden zweimal pro Woche um 17 Uhr zu Hause sein und sich die Wochenenden frei halten. Ist das noch so?

Ja, das klappt eigentlich sehr gut.

Weil Ihr Mann Teilzeit arbeitet?

Nein, wir haben ein klassisches Modell, nur gerade vertauscht: Seit über zwei Jahren ist er zu Hause.

Wie geht es ihm damit?

(lacht) Das kommt darauf an, an welchem Tag man ihn fragt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Sebastian Puschner

stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

Sebastian Puschner

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