Fremdgelesen: Der neoliberale Teufelskreis

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"Am Ende gewinnt immer die Bank" so das Fazit von Kerstin Kohlenberg, Mark Schieritz und Wolfgang Uchatius am Ende ihres Dosiers in der neuen ZEIT (3/ 14.01.2010), in dem sie der Frage nachspüren, wo all das Geld geblieben ist, das anläßlich der Welt-Finanz-Krise in Form von 1,5 Billionen Euro "vom Himmel fiel".

Folgt man den Autoren, dann kam das Geld nicht da an, wohin es im Auftrag der Steuerzahler hingehen sollte, nämlich in den Teil der Wirtschaft, der neben der Zerstörung der Umwelt auch unser Leben und dessen Qualität sichern und verbessern soll, sondern da, wo es zur Zerstörung des Wirtschaftssystems eingesetzt wird, das diese Ziele anstreben und erreichen soll. Da verweigern Banken wie die Commerzbank oder HypoVereinsbank als Hausbanken einem gesunden Unternehmen die nötigen Kredite und treiben es so in die Pleite. "Er habe nie zuvor ein so gesundes Unternehmen pleitegehen sehen", zitieren die Autoren den Insolvenzverwalter. Und weisen später daraufhin, dass so (ohne Sinn und Verstand) zerstört wird, was den Kapitalismus allein am Leben erhält: der Konsum.

Stattdessen scheinen die Milliarden, die die Zentralbanken den Banken vorübergehend zu deren "Rettung" und der Rettung des Wirtschaftssystems überließen, von diesen für neue Einsätze im "Casino" eingesetzt worden zu sein, beispielweise in die Spekulation mit Rohstoffen, deren Preise damit hochgetrieben wurden - was die reale, weil produzierende Wirtschaft zusätzlich belastet. Nun möchte man gerne hören, dass wenigstens im Rohstoffbereich - also vorwiegend in der sogenannten Dritten Welt - das Geld dahin gelangt, wo es Lebensqualität und Wohlstand schafft. Aber dafür fehlt offenbar das nötige sozialstaatliche Regulativ, wie die Autoren am Beispiel einer Kupfermine in Sambia aufzeigen: Wohlstand für amerikanische, britische und kanadische Ingenieure und Manager; Dividenden für Aktionäre, Investmentfonds und Banken; ein bißchen was für Straßen und Stromleitungen vor Ort; Hungerlöhne für diejenigen, die vor Ort die Schwerstarbeit leisten.

Und während bei uns kurzgearbeitet oder "freigesetzt" wird und in der Dritten Welt weiter gehungert wird, werden "allein die 23 größten amerikanischen Banken ihren Mitarbeitern in diesem Jahr Gehälter in Höhe von 95 Milliarden Dollar" zahlen. In einem "Terrarium der Reichen" in Honkong, wo die Investmentbanker - wie anderswo auch - aus der Schockstarre wieder erwacht sind und auch wieder "konsumieren", geht, wie gehabt, nach Geschäftsschluß die Flasche Bordeaux für 245 Euro über den Tresen, bevor man sich im Porsche oder Mercedes nach Hause chauffieren läßt. Hier geben Banker schon mal "an einem Abend mehr Geld aus, als manche Menschen in ihrem Leben verdienen." Aber sie geben es immerhin noch aus.

Andere lassen es für sich "arbeiten". Will sagen: sie bringen es ins Casino... Er ist frappierend, dieser Kontrast von den edelsaufenden Superreichen auf der einen und den zurück bleibenden Massen auf der anderen Seite. Denn dieses Bild entspricht genau jenem Geburts-Bild zu Beginn der sogenannten "neo-liberalen" Ära die mit dem Putsch in Chile ihren weltweiten Siegeszug begann. Unter der Überschrift "Champagne and death in Santiago" veröffentlichte damals der britische Observer einen Telephonbericht seines Korespondenten vor Ort, Hugh O'Shaughnessy:

" In the second basement of the Carerra Hotel, which is still run by ... ITT ... the international jet set ...managed a cheer when the radio announced that the last attack (auf den Präsidentenpalast, der 50 yards entfernt lag - SG) was being mounted...Up the road at the Hotel Crillon they drank champagne....On Wednesday night when most of the 213 guests of the Carerra were grouped round a television set .... they cheered again when ....General Gustavo Lee Guzman....announced how the Government was to extirpate the 'cancer of Marxism to the last consequences'. The cooks and cleaners grouped rightly around the service door, impassive and silent. Most of them were on the losing side...." (The Observer, 16 September 1973)

Das war nicht die Schrift, sondern das Bild "an der Wand", das uns bereits damals zeigte, wie es weltweit aussehen würde, wenn wir den psychopathischen Teufelskreis des "Neo-Liberalismus" bis zum bitteren Ende würden rasen lassen.

Links zur Vertiefung (Der Zieltext ist leider (noch) nicht online verfügbar):

www.zeit.de/2008/49/DOS-Wo-steckt-das-Geld

www.spiegel.de/spiegel/print/d-41986615.html

www.spiegel.de/spiegel/print/d-41972594.html

www.spiegel.de/spiegel/print/d-41897974.html

www.matices.de/37/kissinger_chile/

en.wikipedia.org/wiki/Neoliberalism

www.zeit.de/2000/52/Das_Neuseeland-Experiment

www.zeit.de/2008/33/A-Neoliberalismus

www.zeit.de/2008/46/Keynes

www.zeit.de/2008/46/Habermas

www.zeit.de/2008/42/A-Weitling

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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