Summerhill School: 90 Jahre und kein bisschen Scheiße....

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So könnte man zusammenfassen, was Zoe Readhead, Tochter des Summerhill-Gründers und derzeitge Schulleiterin gegen Ende eines Films über die Schule sagt. Seit der Gründung von Summerhill im August 1921 haben auch die die staatlichen Schulen in Deutschland zahllose „Reform“- und Restaurationsversuche über sich ergehen lassen müssen. Summerhill ist in all diesen Jahren sich selbst und seinem erzieherischen Kern treu geblieben und trotzdem immer noch revolutionär – was man vom Mainstream weiß Gott nicht sagen kann. [1]

Anlässlich des 90sten Geburtstags der Schule veröffentlichte der Guardian am 19.8.2011 einen umfänglichen Bericht von Angela Neustatter, Enkelin einer Mitbegründerin der Schule und der späteren zweiten Ehefrau von Neill, in dem sie über die Geschichte der Schule schreibt, die sie auch selbst besuchte, und schildert, wie es dort zuging. Außerdem berichten noch 6 weitere ehemalige Schüler zwischen 84 und 26 kurz über ihre Erfahrungen.[2]

Summerhill, im englischen Leiston gelegen, wurde durch seine freiheitliche Erziehung und das gleichnamige Buch ihres u.a. von Wilhelm Reich inspirierten Gründers und ersten Leiters A.S.Neill weltberühmt – und zwischendurch immer wieder mal vergessen. Nicht nur angesichts der Missbrauchskatastrophe an der Odenwaldschule, auch angesichts der jüngsten Gewaltausbrüche in GB und der Reaktionen in Teilen von Medien, Politik und Justiz darauf, gewinnt das Stichwort „Summerhill“ nun plötzlich wieder eine ganz aktuelle Bedeutung. Und der Artikel empfiehlt sich auch sonst als etwas andere Sommer-Lektüre – sofern man damit umgehen kann, dass er auf Englisch geschrieben ist.

Aktuell besonders passend und aufschlussreich für Neills praktische „Erziehung“ fand ich das Beispiel eines von seiner früheren Schule geflogenen Teenagers, der zur Krönung seines Einstandes 23 Fenster einwarf. Bevor er das 24. einwerfen konnte, kam ihm Schulleiter Neill zuvor und warf das Fenster selbst ein. Dieses „Erziehungs“verhalten ist so sicher nicht verallgemeinerungsfähig. Es kommt wohl auf den Einzelfall an. Hier scheint es Wunder gewirkt zunhaben:

Angus warf keine Fenster mehr ein, wurde ruhiger und war eines der nettesten Mitglieder in der Schulgemeinschaft [one of the sweetest members of the community]. Später produzierte er Schallplatten für Pink Floyd.“

Vielleicht kann man es so formulieren: es macht in der Sozialisation offenbar einen Unterschied, ob Banker, Politiker und Medien ungebremst und skrupellos ihren kriminellen Machenschaften und anderen asozialen Schweinereien nachgehen, während sie nach unten den Moralapostel spielen. Oder ob ich als Erzieher einem Underdog zu verstehen gebe, dass er einer ist wie wir anderen auch, indem ich es ihm bei einem seiner Verstöße gegen die Kodizes gleich tue, ansonsten aber selbst ein untadelliges Vorbild dessen bin, was ich einfordere.

Sympathisch schien mir auch der ehemalige Soldat, der als Englischlehrer schon mal mit Büchern warf. Bitte beachten: den Unterschied macht die Begründung!

Even so, I got a book flung at me for talking in class by our inspirational English teacher, an ex-army man. "You don't have to come," he said, "but if you do, you must not spoil it for others."

Schön auch die Story über das nunmehr in Schande verschiedene News Of The World, dessen schmierige Reporter offenbar den Schülern schon mal ein Pfund Belohnung anboten, falls sie reißerische Sexgeschichten von Minderjährigen ausplaudern würden, die es nur in ihrer eigenen Phantasie gab. Oder dass die Gossenpresse über Lehrer berichtete, die auf einem nicht vorhandenen Rasen vor dem Schulgebäude in flagranti ertappt worden seien.

Weniger schön die Tatsache, dass ausgerechnet die Blair-Regierung die Schule schließen wollte. Sie lieferte offenbar das falsche Menschenmaterial für Blairs Kriegsgelüste.

In ihrem persönlichen Resümee räumt Neustatter ein, dass sie kein Mathegenie geworden sei, aber sie habe ein erfülltes Leben gehabt und von Summerhill habe sie viel Optismus und Lebensfreude mitgenommen [I've had a fulfilling career and overwhelmingly, the thing Summerhill gave me is optimism and pleasure in just being].

Und danach folgen, wie gesagt, noch 6 weitere Ehemalige.[2]

Aber auch in Deutsch gibt es was zu lesen. Der östrreichische Standard hat die derzeitige Schulleiterin und Tochter von Neill interviewed.[3] Das Wutbürger-Magazin SPIEGEL hat zuletzt (?) 2007 ausführlich über Summerhill geschrieben. [4] Und außerdem gibt es auch noch viel Akademisches online und auf Deutsch. [5]

[1] Video (English,) ca. 21'):

video.google.com/videoplay?docid=351862798006272328

[2] www.guardian.co.uk/education/2011/aug/19/summerhill-school-at-90/print

www.guardian.co.uk/uk/2007/dec/01/ofsted.schools

www.summerhillschool.co.uk/

de.wikipedia.org/wiki/Summerhill

summerhill.paed.com/phshill/i-shill.htm

[3] derstandard.at/1280984121225/Summerhill-Mainstream-Schulen-machen-es-falsch

[4] www.spiegel.de/spiegel/print/d-51448996.html

[5] Doktorarbeit von Axel Kühn über Alexander Neill an der Uni Tübingen 2002:

summerhill.paed.com/summ/dissak/inhalt.htm

Wissenschaftliche Arbeit über Summerhill am IFE an der Uni Heidelberg:

www.ph-heidelberg.de/org/ife/zulas/summerhill/Inhaltsverzeichnis.pdf

www.ph-heidelberg.de/org/ife/zulas/summerhill/Inhalt.pdf

Jürgen Oelkers

Erziehung und Freiheit: Ein Widerspruch?:

paed-services.uzh.ch/user_downloads/1832/HerschVortragVHSdef.pdf



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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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