Der Social Media Berater.

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Niemand hatte ihn auf Liste, aber plötzlich war er da: der Social Media Berater. Seit ab 2006 die sozialen Netzwerke ihren Siegeszug durch das Internet antraten, ist er eine besondere Spezies in Werbeagenturen, die scheinbares Expertenwissen mit völliger Ahnungslosigkeit vereint. Viele hängen an seinen Lippen, aber man fragt sich: Warum?

Werbung sehnt sich nach Gewissheiten, aber nirgends ist sie ferner als hier: Denn niemand kann sagen, wie Werbung wirkt. Daher gibt es eine Heerschar von Strategen, Plannern, Consultants und seit neustem: Social Media Beratern. Ihre größte Errungenschaft: Meetings dauern jetzt noch länger, weil die ja auch irgendwas sagen müssen. Meistens Sätze wie „Da muss man vorsichtig sein.“ oder „Auf Facebook hat gerade Firma XY diese Aktion gestartet.“ oder „Man muss ehrlich mit dem User umgehen.“ Im Grunde hat der Social Media Berater - wie eigentlich alle Consultants - nicht viel mehr Ahnung als der Rest der Truppe. Aber er kann seine Unwissenheit für teure Tagessätze an den Mann bringen. Ein Wunder des Eigenmarketings.

Der Social Media Berater stand irgendwann in der Tür der Werbeagenturen. Er kam gerade aus dem St. Oberholz in Berlin-Mitte. Dort schreit er gewöhnlich „Free W-LAN!“, wie eine Generation vorher Menschen „Free Mandela“. Für beide bedeutet es eine irgendwie geartete Errungenschaft in Richtung Freiheit. Er ließt einschlägige Seiten wie Techcrunch oder Mashable auf seinem iPad2. Der Tiefgang seines Wissens orientiert sich dabei meistens an der Form seines Gadgets: ziemlich flach. Sein Expertenwissen eignet er sich vorzugsweise beim Doddle Jump spielen oder Xing-Seminaren wie „So verdient man Geld mit Social Media – im Handumdrehen.“ Man fragt sich immer, warum die Seminarleiter solcher Kurse nicht selbst jede Menge Profit mit Twitter machen, sondern in uncharmanten Seminarräumen vor Flipcharts stehen. Die könnten doch im nu Millionäre werden.

Was den Social Media Berater so wertvoll macht ist sein klares Auftreten: eine Mischung aus digitaler Boheme und realem Dienstleistungsdenken der Freelancer-Gesellschaft. Sein Arbeitscredo-Credo: Wir nennen es Farmville. arum hat er den Schweinezyklus des Internets vollkommen verstanden: heute iPhone, morgen Android und dann wieder imgekehrt. Ein Social Media Berater ist bei mindestens 25 Web2.0 Seiten angemeldet. Von 23 hat er die Benutzernamen und Passwörter vergessen. Denn in Wahrheit ist das Internet ein Friedhof von Profilen die man einmal aus Early Adopter Gründen angelegt hat – und dann schnell vergaß. Man nennt dies auch die Googleplusification des digitalen Raums.

Der Social Media Berater ist im Grunde seines Herzens (welches unter einem American Apparel T-Shirt schlägt) ein armes Schwein: funktioniert seine Aktion ist er ein Held. Geht sie in die Hose (vorzugsweis Röhrenjeans) oder ins Auge (hinter Nerdbrille), hat man einfach nicht auf ihn gehört. Dann sagt er Dinge wie „man muss den Nutzer ernst nehmen“ oder „Ehrlichkeit und Transparenz sind das Gebot der Stunde“ beziehungsweise „möchte noch jemand Glücksnüsse?“. Vieles von dem, was uns ein Social Media Berater sagt, könnten wir auch selbst wissen. Aber einerseits würde dies nicht der immensen Bedeutung von Seiten wie Facebook oder Twitter gerecht werden und andererseits wird jedes Meeting durch einen Social Media Berater geadelt. Alleine seine Anwesenheit sagt: „Wir wissen, wie Social Media geht, Freunde“

Dabei kann niemand sagen, wie Menschen reagieren. Eine harmlose Scheibe Wurst ist der Schmetterlingsflügel aus dem ein Shitstorm entsteht. Ein Knaller für die Offensive wird zum digitalen Knallfrosch für den FC Bayern und der Manager Nerlinger darf Kröten schlucken. Und mal Hand aufs Herz: Hätte McDonalds nicht wissen können, dass es vielleicht da draußen den einen oder anderen Menschen gibt, der den Burger-Brater nicht soooo knorke findet.

Zum Schluss sei gesagt: der Social Media Berater ist im Grunde die Krönung und Perversion des Consulting-Unwesens. Es werden Unmengen von Geld ausgeben, um sich Ratschläge zu holen. Viele dieser Ratschläge könnten wir aber auch selbst beantworten. Nur wäre man dann ja vielleicht selbst Schuld – und nicht der Social Media Berater. Der blickt aber dann aber schon wieder wissend im St. Oberholz auf seinen iPad und denkt: Warum haben die nicht auf mich gehört. Ja, warum?

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Geschrieben von

siegstyle

Framstags kommt das Frams.

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