Ein bisschen Freiheit

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Es war ziemlich spät abends. Ich lag auf der Couch im Haus meines türkischen Schwiegervaters irgendwo an der Küste der Ägäis. Der Wind vom Meer wehte durch Haus und vertrieb die Hitze des Tages, wie eine lästige Fliege. Alle lagen schon im Bett, ich zappte mich gelangweilt durch das Satelliten-Fernsehen und war überrascht, was sich da alles bot. Jede Menge arabische Erotik-Sender mit Frauen, die nicht nur auf den Schleier verzichteten. Welche Bigotterie. Ich konnte die arabischen Einblendungen zu dem Damen nicht entziffern, aber wahrscheinlich wurde da das übliche ausgelobt: „Einsame Hausfrau (1 von 6 im Haushalt) will es mal so richtig besorgt bekommen.“ Sind die Araber nicht so reich, dass sich die sich alles Mögliche besorgen lassen können: Pferde, Schmuck, Elektroautos. Naja. Letzteres besser nicht.


Auf meinem Weg durch die Fernsehlandschaft der Welt entdeckte ich auch georgische Soaps, sowjetische 2. Weltkriegsfilme mit Propaganda-Overflow, US-Filme in der alle Schauspieler von einem Mann synchronisiert wurden – auch die Frauen – und selbstverständlich: Werbung, Werbung, Werbung. Man fragt sich, was unsere Welt im innersten zusammenhält? Sind es 30-Sekünder? Sind es Frühstücks-Cerealien, Color-Waschmittel oder Wohnungseinrichtungen aller Art? Sind das die Träume, die überall gleich sind und uns mehr oder weniger raffiniert präsentiert werden: Hübsche Frau, schönes Auto, fröhliche Kinder mit einer gesunden Kalorienbombe in der Hand. Aber lieber die Kalorienbombe im Magen, als den Sprengstoffgürtel um den Bauch. Das wäre dann die konsumkritische Alternative. Jedenfalls war ich gar nicht so überrascht, wie ähnlich wir uns alle sind.


Schließlich blieb ich bei der Nachrichtensendung des aserbaidschanischen Staats-TVs hängen. Sie übte auf mich ­– den durchpluralisierten Westmenschen – eine eigenartige Faszination aus. Dikaturen mögen zwar keinen Sex-Appeal haben, aber sie haben hübsche Nachrichtensprecherinnen. Ziemlich hübsche sogar. Im Mittelpunkt aller, wirklich aller, Berichte stand ein ziemlich durchschnittlich aussehender Mann mit Schnäuzer. Wäre man auf der Straße an ihm vorbeigegangen, man hätte ihn sofort danach wieder vergessen. So normal, langweilig und bieder kam er daher. Gedeckter Anzug, gedeckte Öl-Schecks, gedeckte Verbrechen. Wahrscheinlich hat das eine mit dem anderen zu tun. Diktatur ist dann am schlimmsten, wenn sie nicht wie ein Operetten-Regime daher kommt. Wie ein Gadaffi, Mussolini oder so etwas. Sondern eher aussieht wie Sigmar Gabriel. Äußerlich Churchill, innerlich Hitler. So in der Art etwa. Jedenfalls konnte man Ilham Alijew, dem Präsidenten Aserbaidschans bei allem möglichen zuschauen: Er eröffnete eine Straße, eine Brücke und ein neues Sportzentrum. Er besichtigte Betriebe und hielt so etwas wie eine Kabinettsitzung ab. Hinter seinem Rücken hing oft ein Bild von seinem Vater, der war vorher für Eröffnungen und Besichtigungen zuständig. Auch in einem gedeckten Anzug. Familientradition verpflichtet.


Ich verstand zwar kein Wort, aber die Bilder sprachen für sich. Hier ist ein lieber Landesvater unterwegs und tut alles erdenkliche, um seinem Volk gutes zu tun. Das Volk überreichte ihm Blumen – das machen in Diktaturen immer süße kleine Mädchen. In der Sporthalle wurde ihm ein aserbaidschanisches Lied vorgesungen, mit dem hätte man aber keinen Eurovision Song Contest gewonnen. Dazwischen wurden immer wieder jubelnde und klatschende Menschen eingeblendet. Alle waren so zufrieden und man merkte: in Aserbaidschan läuft es einfach. Ich stellte mir eine solche Tagesschau vor: Merkel eröffnet den neuen Berliner Flughafen (nur wann?), Merkel hält eine Rede vor dem fertiggestellten Bahnhof Stuttgart 21 (in dem Fall wir die Ansprache auf jeden Fall unterirdisch) und Merkel eröffnet eine Sporthalle (wo auch immer). Die Menschen jubeln und klatschen, ein Kinderchor singt „Hoch auf dem gelben Wagen“ und ein süßes Mädchen überreicht Blumen. Die Welt kann so schön sein.


Ich habe mir folgendes für den Eurovision Song Contest überlegt: In einer echten Diktatur geht an einem Sieg Aserbaidschans kein Weg vorbei. Schließlich sorgt dafür schon der Präsident Alijew. In seinem gedeckten Anzug überreicht er den Siegerpokal, während sein Schnäuzer fröhlich auf und ab wippt. Dann würde Aserbaidschan ab jetzt jedes Jahr den ESC ausrichten. So lange bis das Öl aus ist und die Kosten der Veranstaltung das Land in den Ruin treiben. Dann wird es zur Revolution kommen und die Diktatur gestürzt. Auf der Demo am zentralen Platz in Baku singt Nicole: „Ein bisschen Freiheit“ nach der Melodie von „Ein bisschen Frieden“. Und genau dann in diesem Moment wird uns allen klar: der Eurovision Song Contest die politischste aller Veranstaltungen auf die Welt. Bleibt nur die Frage: könnte man Ralph Siegel nicht einfach nach Aserbaidschan abschieben? Nur mal so.


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Geschrieben von

siegstyle

Framstags kommt das Frams.

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