"Treffen sich Würde und Amt: Beide tot."

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Früher, als ich noch ein Kind war, waren Bundespräsidenten Landesväter: Mal ein lustiger Geselle hoch auf dem gelben Wagen, wie Walter Scheel, ein Wandervogel wie Carl Carstens oder die hochintellektuelle Ausgabe eines Richard von Weizsäcker. Oberlandespapa war natürlich Johannes Rau. Der liegt jetzt auf einem Friedhof in Berlin neben dem ich wohne. Ab und an spaziere ich durch die Grabreihen und manchmal bleibe ich auch an der Stelle stehen, am dem der ehemalige Bundespräsident beerdigt wurde. Um seinen Todestag herum liegen dann meist rote Rosen und Nelken der SPD Genossen auf dem Grab.

Gestern konnte man einer weiteren Beerdigung beiwohnen. In einer Aufzeichnung durfte man erleben, wie das Amt oder zumindest die Würde des Amtes zu Grabe getragen wurde. Christian Wulff ist kein Bundespräsident, sondern ein Bundesministerpräsident. Kein Landesvater, höchstens ein Landesonkel. Er steht nicht über den Dingen, er steckt irgendwie in allen Sachen mittendrin. Kein Wunder, er wurde ja von Merkel auch abrupt aus seiner Karriereplanung herausgerissen – wie er im Interview selbst zugab. Interessanter ist noch: der Bundespräsident wurde unfreiwillig zu einer Witzfigur - die er im Netz vorher schon war: Herrlich, wie er von seinem Freund mit einem Süßwarenladen auf Norderney berichtete. Wie er mit Bettina Schausten ernsthaft die Frage diskutieren musste, ob man gute Freunde für eine Übernachtung bezahlen lässt (Schausten nimmt 150 Euro). Ein wahrer Schenkelklopfer war die naive Feststellung von Wulff: "In welchem Land leben wir, in dem wir uns nicht mehr von Freunden Geld leihen können." Vielleicht in einem Land, in dem Korruption und Vetternwirtschaft keinen Platz hat - vielleicht. Der Auftritt bewies einmal wieder: die Realität schreibt die besten Satiren. Deutschland war das prall gefüllte Olympiastadion und Christian Wulff der Mario Barth der immer wieder "Kennste, kennste" den Journalisten entgegenrief, wenn es um Frau und Familie ging.

Es ist ja nicht so, dass nicht alle Bundespräsidenten das Zeug zu einer Witzfigur hatten: Man erinnre sich an Heinrich Lübke und seiner legendären "Meine Damen und Herren, liebe Neger" Ansprache. Das war eigentlich nicht lustig gemeint, sondern präsidial. Und mal ganz ehrlich: Wer sich mit "Hoch auf dem gelben Wagen" lächerlich macht, den kann man den Rest der Amtszeit nicht mehr ernst nehmen. Man darf aber nicht vergessen, dass der Bundespräsident das wichtigste unwichtigste Amt in Deutschland ist. Man hat nichts zu entscheiden und muss Gesetze unterschreiben, die man manchmal sogar ablehnt. Daher macht es nichts, wenn man sich - einen alten Schlager trällernd - zum Affen macht. Schließlich ist man im Grunde nur der Grüß-August der Nation. Auch Carl Carstens war ja eher die Sorte "lustiger Wandervogel". Während seiner Amtszeit besuchte er lieber Bad Harzburg als Moskau oder Warschau. Soviel zum Horizont dieses Präsidenten – nicht intellektuell gemeint, sondern eher im Hinblick auf seine Weltläufigkeit. Aber auch dieser Bundespräsident wusste, wohin er gehörte: nicht aus die große Bühne, sondern eher ins Kleinkunsttheater. Bei den beiden Präsidenten war das aber gar nicht so schlimm. Sie hatten ihre Karrieren hinter sich und wussten, dass man als Bundespräsident - ob freiwillig oder unfreiwillig - eine Lachnummer sein kann. Ohne sein Gesicht zu verlieren.

Horst Köhler war im Grunde ein sehr ernsthafter Präsident. Nur sein Abgang hatte slapstickhafte Züge. Bis heute weiss niemand so recht, warum er mit staatstragender Stimme seinen Abschied verkündet. Fast tränenerstickt und mit Pathos garniert. Bei dem Witz fehlte leider die Pointe. Die Mailboxnachricht oder der Hauskredit. Es wäre als wenn man eine Scherz beginnen würde: "Treffen sich 2 Jäger." Und dann auf die Auflösung verzichtete. Hatte Köhler vielleicht was mit einer Angestellten im Schloss Bellevue und seine Frau zwang ihn zum Abgang? Wir werden es nie erfahren. Dabei ist an einem guten Witz die Pointe das wichtigste.

Apropos Pointe. Auf die warten wir bei Wulff irgendwie auch noch. Jetzt hat das ganze die Züge einer tragischen Komödie. Man hat das Gefühl, der Bundespräsident ist nicht mehr Herr seiner Entscheidungen. Merkel verbietet ihm die Pointe. Trotzdem: Wulff ist nur noch eine Witzfigur, keine landesväterliche wie Scheel oder Carstens oder mit Abstrichen Köhler. Wulff ist eine tragische Witzfigur. Das ist das unlustigste an der ganzen Geschichte.

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Geschrieben von

siegstyle

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