Vorwärts zu den Wurzeln oder zurück zur Machtpolitik

Ein grüner Parteitag: Verpasste Chancen und unerfüllte Träume

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Die Oliv-Grün-Verschiebung


Mein Eindruck ist, dass die Grün-Oliv-Verschiebung bei der Klientel der Grünen noch gar nicht richtig durchgedrungen ist!

Das Waffen-Geklirre und Energieembargo-Getöse nicht nur der Hofreiters, Bruggers und Konsorten hat offensichtlich bei den Grünen die moralische Verantwortung für die nachfolgenden Generationen im Hinblick auf das Überleben auf einer vom Klimawandel geschundenen Erde vernebelt und ihren moralischen Kompass in Bezug auf Krieg und Waffen durcheinander gebracht.

In der Energiepolitik wäre - anstelle des Ersetzens der Förderungsquellen der fossilen Energie - also derzeit vorwiegend in Russland - durch alternative Förderungsquellen fossiler Energie außerhalb Russlands, für die die Förderungsinfrastrukturen erst noch aufzubauen sind, der forcierte Ersatz durch nichtfossile Energiequellen zielführend, auch wenn die Zeitdauer hierfür länger wäre! Stattdessen wird mit noch mehr Tempo das neue alte fossile Zeitalter zurückgeholt - zu Lasten von Kindern und Kindeskindern und zu Lasten der erforderlichen Investitionen in die Energiewende, für die dann erst mal kein Geld mehr da ist!

Wir müssen ja das weitere Wachstum sicherstellen, läßt Habeck verkünden. Und die fossile Energieindustrie feiert ihre Sonderkonjunktur! Von einer Abwägung dieser konträren Zielsetzungen habe ich von den Grünen nichts konkretes gehört! Eine derartige, zur versprochenen Klimapolitik kontraproduktiven Substitution hatte Habeck noch vor zwei Jahren ultimativ ausgeschlossen. Konsequenter Klimaschutz steht derzeit bei der Förderung und dem Transport von Erdgas hintenan! Manche Grüne nennen das übrigens „Realitätsanpassung“.

Ganz abgesehen von der Verlängerung der Laufzeiten der AKWs, die sich die Grünen mittlerweile auch noch haben abhandeln lassen - zwecks Machterhalt?

Im übrigen wäre es pragmatischer und im Sinne der deutschen und europäischen Interessen gewesen, alles zu tun, um die Lieferung russischen Gases ohne Unterbrechung noch 2-3 Jahre sicherzustellen. Das hätte nicht zu einer jetzt inflationären Ausweitung der fossilen Industrie geführt. Aber Habeck hatte dafür nicht mal ein Konzept, geschweige denn, dass er dafür nennenswerte Aktivitäten - außer wenig hilfreiche an Putin gerichtete Vorhaltungen - entwickelte! Diese Unterlassung wird ihm noch schwer auf die Füße fallen!

Dazu paßt auch die von Habeck signalisierte Kompromissbereitschaft in Richtung FDP-Lindner bei der Frage des Hinausschiebens des Termins für das Ende des Verbrennungsmotors. Und bei der von Lindner - wegen dessen Underperformer Wissing im Verkehrsministerium - zur Verschleierung von dessen Arbeitsverweigerung gewünschten Abkehr von sektoralen Co-2-Einsparungszielen im Klimaprogramm der Bundesregierung werden die Grünen möglicherweise auch noch einknicken!

Dass darüberhinaus die Nichtinbetriebnahme von Nordstream-2 ein strategischer Fehler war, begreifen die Grünen auch noch nicht. Hätte Nordstream-2 doch einen kriegsbedingten Ausfall der Gasförderung durch die Ukraine und wartungsbedingte Ausfälle der Gasförderung über Nordstream-1 abgesichert. Zumindest bis zum Sabotageakt auf die Nordstream-Pipelines, dessen Durchführung Habeck - ohne Beweise - bei den Russen verortet, was auch ausschließt, dass sich Habeck in irgendeiner erkennbaren Weise um die Reparatur bemüht.

Und auch in der neuen schwarz-grünen Regierung in NRW zeichnet sich eine Abkehr von den engagierten grünen Zielen zur Bekämpfung des Klimawandels ab. Nur die Begründung ist eine andere: hier Kompromisse mit der CDU, dort mit der FDP und Regierungs-Posten, darüber hinaus das böse Russland bzw. die gute, geschundene Ukraine. Nach rund 100 schwarz-grünen Regierungs-Tagen herrscht selbst in Teilen der eigenen Basis Kater- statt Aufbruchstimmung! Da helfen auch keine Nebelkerzen a la Vorziehen des Ausstiegs aus der Braunkohle!

Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die Grünen bei der Pro-Waffen-Anti-Scholz-Kampagne, anstatt sich zurückzuhalten bzw. dagegen zu halten, diese noch befeuerten und immer noch befeuern. Dem Kanzler in den Rücken zu fallen, scheint bei manchen Grünen eine gern gepflegte Disziplin.

Durch schöne Habeck- und Baerbock-Worte ablenken vom Aufgeben der ursprünglichen Ziele der Energiewende. Ablenken vom Erkennen der Naivität, dass die Energiewende über Markt- und Demokratie- Mechanismen herbeiführbar wäre, ohne dass sich die fossilen Energie-Kapitalisten dagegen wehren würden, notfalls auch mit Gewalt. Und wenn es dann zu Gewalt kommt, wird deren Bekämpfung mit Gewalt absolute Priorität über die Klimapolitik eingeräumt!

Ähnliches zeichnet sich bei der überfälligen Agrarwende und dem Natur- und Artenschutz ab wie z.B. beim immer noch fehlenden Exportverbot für Pestizide sowie bei der Stimmenthaltung der Ampelregierung für die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat in der EU.

Dass die Grünen offensichtlich nicht verhindern können, dass in der neuen EU-Taxonomieverordnung auch Atom- und Gaswirtschaft als ökologisch nachhaltig, also klimafreundlich, gelabelt werden, zeigt deren zunehmende Bedeutungslosigkeit.

Und was das EU-Handelsabkommen Ceta mit Kanada betrifft, sind die Grünen auch schon eingeknickt!

Wir erinnern uns: bei den Verhandlungen über die neuen Handelsabkommen wie auch Ceta wurden Wirtschaftsvertreter umfassend einbezogen, während Vertreter der Arbeitnehmer/Verbraucher/Umweltschutzinteressen nur am Rande unzureichend beteiligt wurden. Dementsprechend sind die Ergebnisse.

Meine Hoffnung: Die um grüne Falschspieler - wie Luisa Neubauer - bereinigte Fridays-for-Future-Bewegung wird dieser klimaschädlichen Politik den Garaus machen. Die Grünen werden das an ihren künftigen Wahlergebnissen ablesen können.

Das war‘s wohl dann mit dem Höhenflug der Grünen!



Der moralische Kompass rotiert und ein überforderter Parteitag parodiert


Ein Schwarm vergnügt gurrender Tauben senkt sich auf den Parteitag der Grünen herab, kreist über Hofreiters schütterem Haupt, verkrallt sich in seinen erdverbunden, kampferprobten Körperfalten, um ihn dann mit entschlossenem Flügelschlag pfeilschnell in die Höhe zu hieven und in Richtung „von dannen“ abzudriften. Gerade begegnet er noch der flatterhaft zerzausten, aus Kiew im Windschatten von Waffen-Lobbyisten zurückdüsenden Waffen-Jean-d‘Arc der FDP, ruft dem Kanzler aus der Ferne noch „mehr Kampfpanzer in die Ukraine: jetzt“ zu, um alsbald, hoch über der Ukraine, als ultimativer Kampfpanzer-Grünadier abgeworfen zu werden. Was für eine bombige Signalwirkung!


Erlöst, doch betrübt fliegen die Tauben voller Abscheu zurück und lassen sich auf dem in einen Friedenshain umdekorierten Grünen-Parteitag nieder, um sich an den echten Friedens-Diskussionen zu beteiligen.
Ja, daran hätte man sich noch in Jahrzehnten gerne und stolz erinnert ähnlich wie an Fischers „I‘am not convinced“, wenn nicht der Friedenshain vorab abgeräumt worden wäre.

Aber auch Tauben dürfen träumen.


Verpasste Chancen! Unerfüllte Träume!

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