Über Pumuckl war erst kürzlich wieder viel in der Zeitung zu lesen. Doch was ist ein PUM? Wer den Begriff googelt, bekommt außer einem verbreiteten österreichischen Familiennamen eine Menge bunt gemischter Abkürzungen geliefert von der Montreal´schen Universitätspresse bis zum Palm User Meeting. Weiter hinten auf der Liste erscheint PUM im Kontext des diesjährigen Dokumentarfilmfestival Visions du Réel im schweizerischen Nyon. Dort wurde ein PUM in verschiedener Ausführung vor jedem Wettbewerbsfilm auf die große Leinwand projiziert. Es handelte sich um Mini-Filme, die jeweils eine kurzen Einstellung wiederholen, aufgenommen mit der Video-Funktion von digitalen Fotoapparaten oder Handys.
Das macht Lust zum Nachmachen, sieht aber leichter aus, als es ist. Die in Nyon gezeigten PUMs des französischen Bildkünstlers Jimmy Glasberg jedenfalls waren zartfunkelnde Filmgedichte, die das Bewegte-Bilder-Machen aufs Wesentliche reduzierten: Psychoanalyser Un Monstre zeigt den Kopf des Pumisten selbst beim wassersportlichen Luftschnappen. In Pulsion Ultra Minimaliste ist es ein großer Hund, der immer wieder vergeblich nach einer schwimmenden Maus tappt. Die Häufung von Wasser in den genannten Beispielen ist dem Zufall geschuldet. Die kokette Verspieltheit aber ist Glasbergs minimalistischen Bilder-Loops ebenso wesentlich wie das Spiel mit der Zirkularität der Zeit und der scheinbar intuitiven Direktheit. Glasberg nennt sein Aufnahme-Instrument denn auch "Faustkamera": ein Apparat, der als prothetische Verlängerung des Armes fungiert und sich eher körperlich als visuell-geistig definiert. Eine aus der veränderten Praxis digitalen Filmemachens geborene Neudefinition, die die etablierten theoretischen Diskurse in neues Licht setzt und einer Tendenz Ausdruck gibt, die seit einiger Zeit auch beim Filmen mit konventionelleren Aufnahmegeräten zu beobachten ist.
So spricht der niederländisch-indonesische Filmemacher Leonard Retel Helmrich, dem in Nyon dieses Jahr eines der so genannten Ateliers gewidmet war, von der "winged" (geflügelten) Kamera, um seine eigene Aufnahmemethode zu beschreiben, die mehr eine Philosophie als eine Technik ist und davon ausgeht, dass der Filmemacher selbst wesentlicher Teil des Kräftespiels im gefilmten Raum ist und die Kamera kein kontrollierendes, sondern ein beziehungsstiftendes Instrument. Auch Helmrichs Steady Wing ist eine - allerdings spirituell aufgeladene - Fortsetzung des Körpers. Der Regisseur, der bei den meisten seiner Filmprojekte auch selbst die Kamera führt, hat im Lauf der Jahre einige spezielle Hilfsmittel zur Kamerabeflügelung entwickelt, um seine Philosophie auch von ungewöhnlichen - ja zum Teil waghalsigen - Kamerastandpunkten aus umsetzen zu können. Retel Helmrichs Filme, die bei uns leider fast unbekannt sind, erzählen auf eindringliche Weise aus dem indonesischen Alltag vom Leben der sogenannten kleinen Leute, deren mühselige Überlebenskämpfe immer wieder von religiösen und politischen Konflikten durchkreuzt werden. Dabei versteht er es meisterhaft, die beobachtende Ebene ganz diskret um symbolische Dimensionen zu erweitern und wagt es, so flüchtige und scheinbar undokumentarische Dinge wie Träume oder Phantasmen zu visualisieren. Derzeit arbeitet Retel Helmrich am dritten Teil einer Langzeitstudie über eine in Jakarta gestrandete Großfamilie, die hoffentlich auch bald in Deutschland zu sehen sein wird.
Deutsches Gegenstück solcher Arbeit in Nyon war Gerd Kroskes dritter Teil seiner Trilogie über eine Gruppe Leipziger Aushilfsstraßenfeger, die Arbeits- und Perspektivlosigkeit immer tiefer in Alkoholsucht und Apathie versinken lassen. Kehraus, wieder erzählt von diesen Leben mit nüchternen, doch empathischen Blick und spannt mit Ausschnitten aus den ersten beiden Filmen den Bogen zu hoffungsvolleren Zeiten der zum Teil mittlerweile verstorbenen Protagonisten. Er zeigt auch eine zwischen Profit und Sozialstaatsbürokratie erfrorene Gesellschaft, in der allzu anständige Menschen fast zwanghaft untergehen, wie es die Mitarbeiterin einer Drogenklinik sagt.
Ganz anders der Ansatz der beiden Babelsberger HFF-Studenten Stefan Kolbe und Chris Wright, die vor vier Jahren mit Technik des Glücks große Hoffnungen als neue Dokumentartalente weckten. Nach Nyon kamen sie mit ihrem neuen Film Das Block, einem fast experimentell zugeschnittenen Gruppen-"Porträt" von vier Bewohnern eines sachsen-anhaltinischen Plattenbaus, der sich im Film selbst allerdings kaum zu erkennen gibt. So dicht klebt die unruhige Kamera in den 78 Minuten an den Körpern ihrer Protagonisten, dass einem eigentlich nichts anderes übrigbleibt, um (à la Michel Serres) an den Hautproblemen und Zahnlücken der armseligen Gestalten ihre Leben zu erdeuten. Denn auch erzählerisch bleibt der Film in der Froschperspektive und den von dort sichtbaren Nahst-Problemen hängen, die zwar eindrucksvoll Klaustrophobie und Paranoia vermitteln, viel mehr aber auch nicht. Das ist offensichtlich so gewollt, da die beiden Filmemacher im Gespräch bedeuteten, dass sie sozialen Kontext tunlichst vermeiden wollten und sich auf das "absolut Wesentliche" beschränken. Was aber ist wesentlich? Auch Kolbe und Wright betonen die Körperlichkeit ihrer Kameraarbeit, scheinen dabei aber im Unterschied zu Retel Helmrich auf einen bauchgesteuerten Vitalismus zu setzen, der vermeintlich die gezeigten Verhältnisse auch dem Publikum zum "Riechen und Schmecken" bringt.
Auch Volker Koepp ist einer von den Regisseuren, denen die Beziehungen zu den Heldinnen und Helden der Brennstoff ist, aus der die Arbeit des Filmemachens zehrt. In Söhne musste er seine Sympathien auf fünf Männer gleichmäßig verteilen, dazu kommen noch einige Gattinnen und anderes Familiengedöns. Der Film erzählt in vertraut versöhnlichem Koeppschen Ton eine westpreußische Vertreibungs- und Familiengeschichte, die so dramatisch ist wie ihre Protagonisten scheinbar gelassen mit ihr umgehen: Flucht, Trennung, Vertauschung und Wiederfinden sind die Stichworte. Im Unterschied zu den Protagonisten von Kroske und Kolbe/Wright sind die fünf Söhne der westpreußischen Gutsbesitzerfamilie aber zumindest äußerlich wohlbehalten im bürgerlichen Leben angekommen. Und sie - jedenfalls die vier südwestdeutsch sozialisierten - haben gelernt, das eigene Leben mit protestantischer Ernsthaftigkeit auch sprachlich zu durchdringen, was dem Film eine gewisse Wortlastigkeit gibt. Doch natürlich gibt es auch großartige Wolkenbilder. An der Kamera steht auch diesmal wieder Thomas Plenert, der nicht gerade als Bewegungs-Berserker bekannt ist und sich meist diskret in den Hintergrund zaubert. Dagegen scheint "Volker" selbst zum Familienmitglied zu avancieren. Und in Nyon zum Stammgast: Die Jury, in der auch der deutsche Dokumentarfilmer Andres Veiel saß, hat Söhne mit dem Grand Prix ausgezeichnet, Koepps zweite Auszeichnung hier nach seinem großen Erfolg mit Herr Zwilling und Frau Zuckermann 1999. Leider sind die fünf Brüder längst nicht so charmant wie die resolute Czernowitzer Dame und ihr ewig skeptischer Begleiter.
Ein anderer Stammgast in Nyon, der bei uns leider kaum bekannt ist, ist der französische Filmemacher Alain Cavalier, der in den sechziger Jahren zur Zeit der Nouvelle Vague mit Spielfilmen begann. Mittlerweile arbeitet auch er mit einer kleinen DV-Kamera im Einmannteam und dreht vorwiegend autobiografisch geprägte Filme, die auf geniale und vergnügliche Art vom Banalen zu philosophischen Betrachtungen hüpfen. So verwandelt der Kurzfilm Agonie d´un melon eine verfaulende Melone in das Gehirn von Stalin, Adolf Hitler und Pius XII. Und die halbstündige Pilgerreise zu den Lieux Saints führt von den Toiletten auf einen meditativen Spaziergang in die Rätsel des Universums, der dann in einer Deckenlampe mündet. Lieux Saints wurde in Nyon leider nicht ausgezeichnet. Cavaliers Kurzfilme aber lassen sich auch auf DVD erwerben (Intégrale Autobiographique) und gehören in jede gute Sammlung.
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