Vom Himmel gefallene Götterperle

Im Kino "mongolian ping pong" zeigt auch die weniger idyllischen Momente eines Familienalltags weitab von der Hauptstadt Peking

Das Filmplakat zu mongolian ping pong zeigt einen kleinen Jungen, der mit dem Rücken zum Betrachter auf einem Koppelzaun sitzt und in weites Grasland schaut. Auf einem Pfosten ist ein behörnter Rinderschädel aufgespießt. In der Ferne, irgendwo, bevor sich aus der Ebene einige Hügelketten erheben, steigt mit gleißendem Leuchten ein Regenbogen auf. Ein romantisches Bild. Und der Film hinter dem Plakat wird die Erwartungen nicht enttäuschen. Doch während wir Zuschauer gebannt auf die erhebende Landschaft und die in der kargen Natur wirtschaftenden Nomaden starren, leitet deren Interesse ein umgekehrter Blick: Der fahrende Händler preist einen berühmten amerikanischen Spezial-Tee namens Coffee an. Die Erinnerungsfotos werden vor großen Tafeln mit exotischen Pekinger oder US-Motiven gemacht, die der Fotograf in die Steppenlandschaft stellt. Und auch die kleinen Helden des Films interessieren sich bald nur noch für eine rätselhafte kleine weiße Kugel, die einer von ihnen beim Wasserholen im Fluss gefunden hat. Die Großmutter sagt, es sei eine vom Himmel gefallene Götterperle. Die anderen Erwachsenen sind ratlos. Und die bösen Jungs von der Feindesclique wollen das gute Stück gar zum Verschließen von Rattenlöchern einsetzen.

Erst die mühselige Inbetriebnahme einer Fernsehantenne vor der Jurte bringt die Kinder endlich auf die richtige Spur. Oder doch nicht? Während der Vater auf dem Traktoranhänger die lange Stange in den Himmel balanciert, flackert auf der Mattscheibe die Übertragung eines Tischtennisspiels herein; dabei ist erst vom "Nationalsport", dann gar vom "chinesischen Nationalball" die Rede. National, Ball ...? Die Jungs leben in der chinesischen Inneren Mongolei. Und als verantwortungsvolle Staatsbürger wollen sie der Nation selbstverständlich ihren Ball zurückgeben. Nur wo? Natürlich in Peking, sagt einer, am Tiananmen. Und besang die Großmutter nicht die aufgehende Sonne über den goldenen Bergen der Stadt? Bald also reiten die drei Freunde mit zwei Pferden und einem aufgetunten Moped diesem Sonnaufgang entgegen. Doch die Hauptstadt ist weiter als gedacht.

Man darf davon ausgehen, dass der 1977 geborene und in Peking ausgebildete chinesische Regisseur Ning Hao hier auch ein bisschen am Lack der Zentralmacht kratzen will. Doch vor allem ist Westernfeeling dabei, wenn die Jungen (Mädchen kommen nicht vor) mit ihren Pferden durch die Steppe preschen. Denn mongolian ping pong ist erst einmal ein Film über das Leben an der Grenze der industriellen Zivilisation, die die traditionelle Kultur langsam infiltriert. Ähnlich wie die beiden "Dokumentarfilme" der jungen in München studierten mongolischen Regisseurin Byambasuren Davaa, die erfolgreich ihren Weg in deutsche Kinos fanden, bewegt sich auch Ning Haos Film zwischen nomadischer Lebenswelt und inszeniertem Blick, Realität und Fiktion. Auch hier spielen die Menschen sich selbst; und das Geschehen dürfte, bis auf den anekdotischen Teil, nicht allzu weit von ihren Erfahrungen entfernt sein. Dennoch ist immer auch die von außen projizierte Faszination am fremden einfachen Leben spürbar, wie auch die Rührung, die der Blick auf die verlorene Kindheit mit sich bringt.

Dabei ist mongolian ping pong aber ein Stück weniger sentimental als etwa Die Geschichte vom weinenden Kamel: Fast ganz ohne Tierbabies kommt er aus, und auch die harschen Familienverhältnisse - der Vater trinkt, Prügel sind gang und gäbe - sprechen eine wenig idyllische Sprache. Ein Familiendrama soll der Film aber nicht sein, dafür geht er viel zu sehr auf Distanz: Die präzise Kamera von Du Jie zeigt die - bei uns gerne häuslich genannten und hier draußen vor der Jurte sich ereignenden - Familienszenen gerne aus der Totale, so dass sie ihren beklemmenden Charakter fast ganz an die Lust des Beobachtens verlieren. Beim Kinderspiel tummelt sie sich dafür gerne mittendrin.

Idylle also nicht: Dennoch ist es traurig zu sehen, wie die nomadische Lebensart der Mongolen im grauen Einerlei der Plattenbauten verschwindet. Auf dem Übungsplatz in der Stadt sieht die Volkstanztruppe, die in der Steppe so zauberhaft daherkam, plötzlich abgeschmackt aus wie ein folkloristisches Fernsehballett. Der Vater baut ein festes Haus, das die Großmutter nur verabscheut. Und Bilike wird abgeholt, um in der Stadt in die Schule zu gehen. Im Lichte der neuen Erkenntnisse wird auch der kleine Götterball schnell sein Rätsel an die aufgeklärte Desillusionierung verlieren. Die Magie holen wir uns dann aus dem Kino: Seine kleinen Hauptdarsteller selbst, so berichtet Ning Hao in einem Interview, sehen am liebsten Zeichentrickfilme.


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