Andere über Wasser halten

Resettlement Die Initiative Save me fordert erneut die Aufnahme von Flüchtlingen. Mit einem Flashmob in München und anderen Städten warb sie an diesem Wochenende für Unterstützung

Die ersten Rufe klingen kläglich: „Save me, save me!“ Dann wird aus schüchternen Stimmen ein kraftvoller Chor, der durch die Münchner Fußgängerzone hallt. Vier Ordner halten ein rot-weißes Absperrband in die Höhe, auf ihren dunklen Pullovern steht in weißer Schrift „Frontex“ – die Europäische Grenzschutzagentur. Eingepfercht im Halbrund drängen sich etwa 50 Menschen, recken Schilder in die Höhe und rufen um Hilfe.

Zwei Jugendliche gehen vorbei, FC Bayern-Trikots, bayerischer Akzent: „Ja Herrgott, warum schrein die denn so?“ „Retten soll ma se. Und wovor?“ „Ah geh weida, des is ned ernst gmoant, irgendwas mit Flüchtlingen. Interessiert uns ned.“

Ein Gespräch, das vieles erklärt. Es geht um Flüchtlinge, kaum jemand nimmt Notiz, und genau hier liegt das Problem. Eine der vermeintlichen Grenzbeamten ist Sarah Hergenröther; sie arbeitet für den Münchner Flüchtlingsrat und hat den Flashmob organisiert. „Wir brauchen Aufmerksamkeit, deshalb diese ungewöhnliche Aktion. Bei Infoständen bleibt niemand stehen, Demonstrationen bedeuten Aufwand und Beine-in-den-Bauch-stehen. Ein Flashmob wird wahrgenommen und macht den Beteiligten Spaß.“

Ausweg: Die Flucht nach Europa

Auch wenn es an diesem Samstag regnet – warum haben sich die Flashmobber Schwimmflügel um die Arme gebunden? „Damit zeigen wir Solidarität mit den Flüchtlingen“, erklärt Sarah Hergenröther. „Die Leute sollten alles mitbringen, was einen über Wasser hält: Rettungsringe, Holzplanken und Luftmatratzen. Viele ‚Boatpeople‘ retten so ihr Leben.“

Über 1600 Menschen sind seit Anfang 2011 im Mittelmeer ertrunken. Umstürze in der arabischen Welt, Kämpfe in Libyen und Syrien und die Hungersnot in Somalia lassen die Flüchtlingsströme anschwellen. Viele suchen Schutz in den Nachbarländern, doch die Flüchtlingslager bieten keine Sicherheit. Die Insassen des Lagers Choucha an der tunesisch-libyschen Grenze berichten von Überfällen, Hunger und Krankheit. Sie sehen nur einen Ausweg: die Flucht nach Europa; zurück bleiben Alte, Frauen und Kinder.

Mehrere Flüchtlingsorganisationen gründeten 2008 die Initiative Save me. Die Stadt München feierte ihren 850. Geburtstag, Save me forderte die Aufnahme von 850 Flüchtlingen aus Krisenregionen. Die Grundlage bildet das Resettlement-Programm der Vereinten Nationen. Das Flüchtlingskommissariat UNHCR wählt in den Lagern vor Ort besonders schutzbedürftige Menschen aus, denen sicherer Aufenthalt in einem Drittstaat gewährt wird. Das Resettlement soll nicht als Ersatz für Asyl dienen, sondern akute Krisenhilfe bieten und ein Signal gegen Abschottung setzen.

Kleine Schritte, der Weg ist weit

Mehr als 50 Städte beteiligten sich an der Münchner Kampagne, bis das Bundesinnenministerium Ende 2008 die Aufnahme von 2500 Irakern beschloss. Die Ereignisse in Nordafrika haben den Münchner Stadtrat dazu veranlasst, sich im Juni 2011 für eine erneute Aufnahme von Flüchtlingen auszusprechen. „Das ist ein wichtiges Zeichen“, sagt Sarah Hergenröther, „aber eben auch nicht mehr.“ Solange sich Landes- und Bundesregierung quer stellen, können die Städte nur Symbolpolitik betreiben. Letztendlich entscheiden darüber Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und die Innenminister der Länder.

Je länger der Flashmob dauert, je lauter die „Save me“-Rufe werden, desto mehr Passanten bleiben stehen. Manche irritiert, einige verständnislos, ein Großteil interessiert. Sie lassen sich Sinn und Zweck der Aktion erklären, nehmen Flyer mit und unterschreiben den Appell von Amnesty. In anderen Städten wie Berlin, Freising und Mainz finden zur gleichen Zeit Parallelflashmobs statt. Nach einer Viertelstunde sammelt Sarah Hergenröther einen dicken Stapel Petitionen ein und ist zufrieden: „Klar, es könnten immer mehr sein: Mehr, die mitmachen und mehr, die sich beteiligen. Aber ich glaube, wir haben etwas bewirkt und auf unser Anliegen aufmerksam gemacht. Es sind kleine Schritte, und der Weg ist weit, aber 2008 sind wir ja auch ans Ziel gekommen.“

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