Frauenbund

linksbündig Ein beziehungsreicher Zungenkuss in New York

Auf der Suche nach einer steilen, nicht wirklich ernst gemeinten These könnte man fragen: was haben der 11. September und die Zungenküsse von Madonna, Britney Spears und Christina Aguilera von der MTV-Video-Music-Award-Verleihung in New York am letzten Wochenende gemeinsam? Genau! Die erfolgreiche Unterminierung phallozentrischer Herrschaftssymbolik! Doch das geht jetzt bereits zu arg in die Richtung der aus den USA importierten Geschmacklosigkeiten, die MTV derzeit als gute Unterhaltung über die gesamte westliche Welt ausschüttet: Die Reality-Soap The Osbournes zum Beispiel, wo man regelmäßig Hunden beim Kacken und besoffenen Menschen beim Kotzen zuschauen kann - Verhaltensweisen, die im deutschen Fernsehen ausgerechnet durch den wohlerzogenen Buchhalter der Geistesblitze, Osbourne-Fan Harald Schmidt nämlich, als salonfähig propagiert werden.

Ganz groß ist auch Jackass die Sendung mit den möglichst ekelhaften Mutproben, deren deutsche Variante vom Sohn von Uschi Glas produziert wird. Fast scheint´s, als wären Harald Schmidt und Uschi Glas aufs Alter hin durch MTV auf den Punk gekommen. Eine Altersschwäche, die derzeit absolut anschmiegsam und unpeinlich in die deutsche Unterhaltungslandschaft passt - Nenas Comeback sei Dank. Doch geht es hier nicht um die deutschen Auswüchse einer längst durchglobalisierten Pop-Kultur. Es geht hier um die drei derzeit populärsten (weißen, häufig auch blonden) Damen der Branche, Madonna, Britney und Christina, und von denen hat sich zum Glück in den letzten Jahren keine wirklich geschmacklos verhalten. Verbunden hat sie trotz eines Altersunterschieds von über zwei Jahrzenten (Britney und Chrissy gegenüber Madonna, versteht sich) schon immer recht viel: Ein Hang zum ständigen Imagewechsel, der bei allen dreien mit einer Art verruchtem Schulmädchenlook begann (Madonna: Like a Virgin; Britney: Hit me Baby, one more time; Chrissy: Genie in a Bottle), sich mit gesteigertem Ablegen der Kleider sogenannt "emanzipierte" (Madonna: Erotica; Britney: I´m a slave 4U; Chrissy: Dirrty) und dies auch noch von engen, freundschaftlichen Beziehungen zu ernstzunehmenden Modedesignern begleitete (Madonna: Jean-Paul Gaultier; Britney: Donatella Versace; Chrissy: Donatella Versace) etcpp.

Britney und Chrissy wiederum waren bisher so was wie die Todfeindinnen der Musikindustrie, beide waren schon von klein auf durch Dauerpräsenz in Deutschland sucht den Superstar ähnlichen Unterhaltungsformaten darin trainiert worden, einander auszustechen, der dritte im Bunde war auch schon damals Justin Timberlake, Britneys erste große, inzwischen verflossene Liebe (er wandte sich der besser verdienenden Blondine Cameron Diaz zu), der ja momentan als weißer Michael Jackson gehypt wird. Umso schöner ist es, dass Madonna die beiden Kampfhühner jetzt in einer mütterlichen Aufwallung auf der Bühne miteinander versöhnt und beide gleichberechtigt mit ihrem Speichel geadelt hat. Eine schönere, gleichzeitig feministischere Geste ist kaum vorstellbar. Denn hier geht es endlich einmal um einen demonstrativen Frauenbund. Genauer um einen weiteren demonstrativen Frauenbund. Die amerikanische Popkultur war in diesem Sommer von zwei Mädchentrends beherrscht: Erstens vom pseudolesbischen russischen Schulmädchensex des Duos t.A.T.u., das ein halbes Jahr nach Europa nun auch die USA gestürmt hat, zweitens von einem völlig belanglosen, aber von einer wahnsinnigen Werbemaschinerie getragenen Drei-Mäderln-Actionfilm namens Charlies´s Angels: Full Throttle, in dem auch jene Cameron Diaz mitspielt, die erstens Justin Timberlakes Freundin, zweitens die momentan bestbezahlte Hollywood-Schauspielerin ist. Clever, wie Madonna bekanntlich immer schon war, hat sie nun ihre beiden Nachahmerinnen im pseudolesbischen Powertrio vereint, hat damit die beiden marktführenden sommerlichen Trends in einer selbstbewussten Performance verschmolzen und der Welt wieder einmal gezeigt, wo die wahre Göttin des Styles, der Ironie und der kreativen Zivilcourage hockt. Ein "Jaw Dropper" sei der gemeinsame Auftritt der drei starken Grazien gewesen, ein Kinnladen-Fäller gewissermassen, besonders für Justin Timberlake und auf jeden Fall sensationeller als alles, was sich die Osbournes oder der Sohn von Uschi Glas je ausdenken könnten. Von Nena selbstverständlich ganz zu schweigen.

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